Mehrere Händler verzichten auf brasilianisches Rindfleisch
Nehmen wir an, Sie betreiben ein Einzelhandelsgeschäft und haben Zweifel, ob in den Produkten eines Ihrer Lieferanten auch wirklich das drin ist, was draufsteht. Vielleicht suchen Sie dann zunächst das Gespräch. Mittel- bis langfristig schauen Sie sich nach einem anderen Lieferanten um, der eher ihr Vertrauen geniesst.
Das Gleiche passiert gerade bei den ganz Grossen: Mehrere grosse europäische Handelsketten haben angekündigt, auf Rindfleischprodukte aus Brasilien künftig ganz oder teilweise zu verzichten. Als Grund führen sie die noch immer zweifelhafte Herkunft von Fleisch und Fleischprodukten aus Südamerika an.
Sechs grosse Handelsketten listen brasilianisches Rindfleisch aus
Albert Heijn, die grösste Supermarktkette in den Niederlanden, Delhaize, eine grosse Kette in Belgien, Carrefour Belgien, die französische Handelskette Auchan und das britische Unternehmen Sainsbury‘s wollen einige Rindfleischprodukte auslisten. Bei Lidl Niederlande soll es ab 2022 gar kein brasilianisches Rindfleisch mehr geben. Davon betroffen sind brasilianische Fleischverarbeiter und -produzenten wie JBS, Mafrig und Minerva Foods.
Dem Boykott voran ging eine Recherche von Repórter Brasil und der Umweltorganisation «Mighty Earth». Letztere ist eine Tochterorganisation des «Center for International Policy» in Washington. Die Reporter untersuchten, woher die Rindfleischprodukte in den Regalen grosser Supermärkte stammten, und konfrontierten damit die Handelsketten.
Garantien für «sauberes» Fleisch sind wenig wert
Die Rinderzucht ist eines der lukrativsten Geschäftsfelder in Brasilien und der Hauptgrund für die Abholzung von Regenwald. Sie bedroht auch den Lebensraum brasilianischer Indigener, deren Territorium teilweise illegal verkauft wird (Infosperber berichtete: «So viel verbrannter Regenwald steckt im Steak» und «Gewissenlose Geschäftsleute verkaufen Regenwald auf Facebook»).
Wiederholte Zusicherungen der brasilianischen Regierung und der Fleischgrosshändler haben daran bisher wenig geändert. Die Konzerne Aldi und Lidl hatten bereits im Mai 2021 mit Auslistung gedroht. Herkunftszertifikate, deckten die Reporter auf, sind noch immer wenig wert. Ein System der «Rinderwäsche», das ganz ähnlich funktioniert wie Geldwäsche, verschleiert die Herkunft von Rindern.
«Rinderwäsche» – ähnlich wie Geldwäsche
Woher das Vieh kommt, das in brasilianischen Schlachthöfen verarbeitet wird, ist grösstenteils intransparent. Die Schlachthöfe, von denen der weltgrösste Fleischverarbeiter JBS in den Rinderzuchtgebieten mehrere führt, überprüfen nur, wo ein Schlachtrind zuletzt gestanden hat.
Vorher ist es durch viele Hände gegangen und hat auf vielen Weiden gestanden – auch auf solchen, die durch illegale Rodung entstanden sind. Deren Eigentümer dürfen keine Schlachtrinder mehr verkaufen, falls das rechtswirksam festgestellt wurde. Am Ende wird das Rind deshalb lebend an einen «sauberen» Betrieb verkauft, der es an einen Schlachthof weitergibt.
JBS, von dem die meisten Produkte aus dem Report «Cattle eating up the world’s largest rainforest» stammen, versicherte, dass alle direkten Lieferanten die Vorschriften einhielten. Aus einem Audit geht hervor, dass JBS 2020 ein Drittel seiner Rinder aus fragwürdigen Quellen bezog. Laut der deutschen «Lebensmittelzeitung» will das Unternehmen bis 2025 ein besseres Kontrollsystem etablieren.
EU ist drittgrösster Abnehmer von brasilianischem Rind
Brasilien exportiert pro Jahr mehr als zwei Millionen Tonnen Rind- und Kalbfleischprodukte wie Steaks, Corned Beef und Trockenfleisch. Davon gingen 2020 laut «Repórter Brazil» und «Mighty Earth» 70‘000 Tonnen an die EU und 25‘000 Tonnen nach Grossbritannien. Von Januar bis Oktober 2021 waren es nach dem «Beef and Veal Dashboard» der EU 66‘000 Tonnen.
Gemessen in Dollar war die EU damit 2019 und 2020 der drittgrösste Abnehmer von brasilianischem Rind. Die EU-Länder bemühen sich, mehr lokale Ware anzubieten, nach einer Schätzung der EU könnte der Pro-Kopf-Konsum von Rindfleisch zudem bis 2030 von 10,6 Kilogramm auf 9,7 Kilogramm pro Jahr sinken.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Wie Kassensturz vor einem Paar Jahren berichtete, besteht auch unser Bündnerfleisch oft oder gar grösstenteils aus Fleisch von Südamerika. Laut Presseberichten, in Italien hat JBS Brasilien zwei Produzenten vom berühmten Prosciutto di San Daniele (Rohschinken) und der geschätz-ten Bresaola von Valtellina akquiriert (https://www.giuseppecaprotti.it/il-caos-del-brasile-e-i-gemelli-miliardari-signori-della-bresaola/). Die Expansion von JBS, heute der Drittgrösste Fleischproduzent der Welt, war atemberaubend und vermutlich gestützt auf die immense Kor-ruption in Brasilien. Die Gruppe ist heute jedoch hoch verschuldet: 40% von der Bilanzsumme! (https://br.investing.com/equities/jbs-on-nm-balance-sheet).
Fleischimporte in die Schweiz schienen jedoch laut Foodaktuell vom 6. Juli. 2011 vorteilhaft zu sein: Importiertes Rindfleisch aus Nord- und Südamerika bietet sowohl kostenmässige wie auch qualitative Vorteile, obwohl Schweizer Fleisch bei der Qualität aufgeholt hat.
Der Statistik halber: JBS ist mittlerweile der grösste Fleischgrosshändler der Welt (dieses und andere interessante Fakten hier: https://www.global2000.at/sites/global/files/Fleischatlas-2021.pdf). Die Schweiz importierte zumindest 2020 kein Rindfleisch aus Brasilien 8https://agrarbericht.ch/de/markt/tierische-produkte/fleisch-und-eier)
Die Schweiz importiert aus den Niederlanden usw. und Rindfleisch aus … verwandelt sich wie durch ein Wunder in Niederländisches Rindfleisch …
Man kann natürlich sein Gewissen beruhigen, indem man kein Rindfleisch aus Brasilien mehr kauft, sondern Fleisch aus der EU und der Schweiz. Dass die Tiere aber mit Soja gefüttert werden, für das in Brasilien in ähnlicher Weise Regenwald abgeholzt wird, macht die Sache dann doch wieder etwas komplexer.
Ist möglicherweise auch bekannt, wer die hauptverarbeitenden Betriebe sind, welche Haut etc. weiter verwerten bzw. verarbeiten?
Ihre Schuhhersteller z.B. …
Laut die Heirich Böll Stiftung, die Lage ist ernst: https://eu.boell.org/en/MeatAtlas?dimension1=ecology
Was wir als Fleisch essen ist in diesem Fleisch Atlas von Böll zusammengefasst: https://eu.boell.org/sites/default/files/2021-09/MeatAtlas2021_final_web.pdf?dimension1=ecology
Die Lage ist nicht ernst, sie ist hoffnungslos. Aber wenn man …, dann geht noch was ….
Aus Sicht des Umwelt-Klima-Schutzes spielt es keine Rolle, ob in den Läden südamerikanisches Fleisch oder Schweizer Fleisch, das mit südamerikanischem Mastfutter erzeugt wurde, verkauft wird. Es geht beides auf Kosten des südamerikanischen Urwaldes und beides hat lange Transportwege. Wem Umweltschutz und Energieersparnis am Herzen liegt kann Biofleisch kaufen, das (so hoffe ich) in Europa mit europäischem Futter erzeugt wurde.