Europa gehen die Bäume aus

Wald bei Pontresina 2022 © copyright Daniela Gschweng

Europa gehen die Bäume aus

Daniela Gschweng /  Höchstens zwei Drittel von Europas Baumarten sind fit für das 21. Jahrhundert.

In Europa heisst es schon heute: Aufforsten, wo immer möglich. Zuerst dort, wo Dürre und Borkenkäfer bereits ihre Spuren hinterlassen haben. Ein Drittel bis die Hälfte der europäischen Baumarten sind jedoch nicht für das sich ändernde Klima geeignet.

Bäume, die bis zum Ende des Jahrhunderts wachsen sollen, werden heute gepflanzt. Das Problem dabei: Bäume wachsen langsam, der Klimawandel aber schreitet schnell voran. 2100 wäre ein Baum, der heute gepflanzt wird, 76 Jahre alt – recht jung für einen Baum. Bis dahin muss er sowohl mit den heutigen Bedingungen zurechtkommen als auch mit denen zum Ende des Jahrhunderts. Das stellt Ökologie und Forstwirtschaft vor einige Probleme.

Durchschnittlich neun Arten sind klimaflexibel

Das schaffen nicht alle Baumarten. Wärmeliebende Bäume, die heute gepflanzt werden, könnten durch Kälte und Frost absterben. Solchen, die mit niedrigen Temperaturen gut zurechtkommen, ist es in 50 oder 75 Jahren womöglich deutlich zu warm.  

Forschende der Universität Wien und der Technischen Universität München haben die 69 häufigsten Baumarten Europas darauf untersucht, wie sie mit dem sich ändernden Klima zurechtkommen. Den Spagat bis zum Ende des Jahrhunderts meistern nur wenige der rund 100 europäischen Baumarten, Europa habe dabei im Vergleich zu anderen Erdteilen Pech, schreiben sie in ihrer Ende April im Fachmagazin «Nature Ecology & Evolution» publizierten Studie. In Nordamerika und Ostasien sei die Artenvielfalt grösser.

Je nachdem, ob man ein moderates oder ein exzessives Klima-Szenario anlegt, schrumpft der verfügbare Baumartenpool bei der Analyse um 33 bis 49 Prozent für die Gegenwart und auf vermutlich 40 bis 54 Prozent für die Bedingungen zum Ende des Jahrhunderts.

Durchschnittlich neun Arten pro Standort in Europa wären noch zukunftsgeeignet. Mit regionalen Abweichungen: in Österreich sind es zwölf, in Grossbritannien vier – darunter die englische Eiche. Für einen artenreichen Mischwald, die beste Garantie für einen stabilen und robusten Waldbestand, ist das wenig.

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Durchschnittliche Anzahl von Baumarten pro Quadratkilometer, die in einem mittlerem Klimawandelszenario (RCP 2.6) für Europa klimatisch geeignet sind.

Und es gibt noch weitere Einschränkungen: Bäume bieten zwar Schatten, nehmen CO2 auf und halten Wasser zurück. Sie bieten Lebensraum für Tiere und produzieren Holz. Aber nicht jede der klimatisch geeigneten Baumarten hat alle diese Eigenschaften und dieselbe Rolle im Waldgefüge. Manche Arten lassen sich nicht forstwirtschaftlich nutzen. Und die Baumsterblichkeit hat in den letzten drei Jahrzehnten in Europa bereits stark zugenommen.

Unter dem Strich blieben der Forstwirtschaft dann drei Arten. «Ein enormer Rückgang», sagt Erstautor Johannes Wessely. Immerhin dürfte sich die Perspektive in einigen Jahren verbessern. Baumarten, die mit den Bedingungen jetzt und 2100 zurechtkommen, werden zunehmen, je näher dieses Datum rückt.

Für die Schweiz haben die Forschenden mehrere klimaflexible Baumarten identifiziert. Dabei ist zum Beispiel die Weisstanne (Abies alba). Diese könne insbesondere auch besser mit Sturm und Trockenheit umgehen als die Fichte, sagt Johannes Wessely auf Anfrage von «Infosperber».

Dazu komme die Rotbuche (Fagus sylvatica) und die Stieleiche (Quercus robur). Die Bergulme (Ulmus glabra), die in ganz Mittel- und Osteuropa vorkommt und die Esche (Fraxinus excelsior) seien ebenfalls geeignet, allerdings sind beide Arten von Krankheiten bedroht.

Auch Edelbaumarten wie die Edelkastanie (Castanea sativa) und die Vogelkirsche (Prunus avium) könnten oft sehr gut mit dem Klimawandel umgehen, seien allerdings forstwirtschaftlich nicht so interessant, sagt Wessely.

Die Forstwirtschaft steht also vor schwierigen Entscheidungen. Neu an der Studie sei, dass der klimabedingte Flaschenhals erstmal abgeschätzt worden sei, sagt Uta Berger, Forschende an der TU Dresden, gegenüber «table.media». Das sei auch wichtig für die Forstwirtschaft, ergänzt Arthur Gessler von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL). Man müsse für die Zukunft auch über nicht-heimische Baumarten reden.

«Die Bergregionen weisen heute noch zum Teil sehr harsche Bedingungen auf, die sich rasant verändern», erklärt Rupert Seidl, einer der Co-Autoren. In den Zentralalpen sei nur eine kleine Zahl von Baumarten zur Aufforstung geeignet.

Klima-Effekt könnte durchaus grösser ausfallen

Andere Forschende wie Henrik Hartmann vom Institut für Waldschutz am Julius-Kühn-Institut im deutschen Quedlinburg kritisieren die Modellierung der Wiener Forschenden als zu konservativ. Die Klimaschäden am Wald könnten durch Folgeeffekte durchaus grösser ausfallen, sagt er.

Die Materie sei zudem komplex – die Anpassung von Bäumen könne sich lokal auch ganz anders entwickeln, gibt Pierre Ibisch, Forscher an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde, zu bedenken.

Auf einen neuen Artenmix verlassen sollte man sich aber lieber nicht, sagt Hauptautor Wessely. Rasche Massnahmen zur Eindämmung des Klimawandels seien essenziell für eine nachhaltige Sicherung der Wälder.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

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5 Meinungen

  • am 26.06.2024 um 11:32 Uhr
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    Moderne KI Wissenschaft:
    Unvollständige Information wird in ein Computermodel eingefüttert und schon denken die «Experten», dass sie mit den Resultaten die Natur verbessern können. Vielleicht sollten wir aufhören die Umwelt zu zerstören und die Regeneration der Natur der Natur überlassen.

    • am 28.06.2024 um 22:02 Uhr
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      Dem möchte ich weitgehend zustimmen.
      Als große Schwäche von Modellierungen in Bezug auf Wälder sehe ich die Tatsache, dass die Ökologie von Wäldern nur in Teilen verstanden ist. Ganz wesentliche Faktoren wie zB. die Bedeutung und die Entwicklung von Ektomykorrhizapilzen oder die Epigenetik sind bisher allenfalls in Ansätzen erforscht.
      Viele Modelle rechnen nur mit wenigen Durchschnittswerten (zB Ds-Niederschläge und Temperaturmittel), für die Bäume ausschlaggebend sind aber besonders auch die Extremwerte. Großen Einfluss auf die Vitalität der Bäume kann zB. auch die Intensität der Nutzung haben, über deren Auswirkung aber Fachleuten völlig uneins sind – und die damit als zuverlässige Eingangsgröße für eine Modellierung ebenfalls ausscheidet.
      Mutmaßlich wesentlich, aber nicht existent, sind vor allem aber auch zuverlässige Informationen zur weiteren globalen Entwicklung des menschlichen Anteils an der krassen Klimaveränderung – diesbezüglich existieren bestenfalls Absichtserklärungen.

  • am 27.06.2024 um 07:42 Uhr
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    «Klima-Effekt könnte durchaus grösser ausfallen»

    Oder deutlich kleiner. Wer weiss das schon so genau? handelt es sich bei dem Inhalt dieses Artikelsum die Kommentierung einer Modellierungsstudie.

    • am 28.06.2024 um 22:41 Uhr
      Permalink

      Darauf weist, wie von Frau Gschweng leider nur kurz erwähnt, auch Prof. Pierre Ibisch immer wieder hin.
      Wälder sind sehr komplexe Ökosysteme aus vielen Tausenden von Pflanzen-, Tier- und Pilzarten sowie Mikroorganismen, die vielfältig miteinander verbunden und voneinander abhängig sind.
      Eine alte Weißtanne in Kalabrien hat völlig andere ökologische Ansprüche als eine junge im Bayerischen Wald!
      Verschwindet eine Baumart, können hunderte oder sogar Tausende Arten direkt oder mittelbar ihre Lebensgrundlage verlieren.
      Die Betrachtung ausschließlich auf die (gegenwärtig ökonomisch interessanten) Baumarten zu beschränken ist in etwa, als würde man die vollständige Anatomie aller Menschen anhand weniger Skelettteile beurteilen.
      Außerdem passen sich Wälder seit Jahrmillionen mittels verschiedener Prozesse (zB. Sukzession oder natürliche Differenzierung) ständig veränderten Umweltbedingungen an. Durch großflächige Aufforstungen stören wir zusätzlich diese natürliche Anpassungsfähigkeit.

  • am 27.06.2024 um 11:41 Uhr
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    Als ich ein kleines Kind war stand im «Schweizer Bauer» ,der Kastanien Krebs werde wie in Nordamerika sämtliche Kastanienhaine im Tessin zerstören.
    In Lattecaldo entstand ein Pflanzgarten, indem man resistente Sorten züchten wollte und in Copera,einem Waldbrand Loch pflanzte die Eidgenossenschaft Bäume aus der ganzen Welt.
    Um herauszufinden mit was man im Tessin in die zukünftigen Öden pflanzen könnte.
    Ich sah noch nie eine resistente Kastanie. Der Krebs wuchert drauf los, je Edler der Baum,je mehr sind Krebsstellen sichtbar.Dazu kam die Tintenkrankheit und am Schluss fiel ein chinesisches Insekt über die Bäume her. Wandere kommst Du in den sonnigen Süden, findest Du alles von von wilden Kastanien überwuchert. Das aktuelle Wetter macht sie grün wie nie.Ihr Motto: «Was uns nicht umbringt , macht uns ( krank ) STARK »
    Gäbe viel zu schreiben, nur fehlt der Platz und es winkt wie immer die Zensur.

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