Der Berggorilla und sein Verlust an Lebensraum in Afrika
Red. Hartmuth Attenhofer, Sozialdemokrat, war Journalist, Zürcher Kantonsrat, Bezirksrat und Statthalter. In einer dreiteiligen Serie beschreibt er, wie und wo die wachsende Zahl an Menschen die Natur und wildlebende Tierarten global und regional verdrängt. Seine anschauliche Serie ist zuerst in der Zürcher Wochenzeitung P.S. erschienen. Infosperber übernimmt sie mit dem Einverständnis des Autors.
Vor einigen Wochen sah ich im Fernsehen einen aktuellen Bericht über den Berggorilla (Gorilla beringei beringei) in Uganda. Der Bestand betrage heute etwa 1000 Individuen; er habe sich erfreulich erholt, nachdem er in den 1990er-Jahren auf unter 300 abgesunken sei, hiess es im Bericht. Alles paletti also? Nein! Denn jetzt seien die Tiere wieder bedroht, sie litten unter Überpopulation.
Für die 1000 Tiere reiche der Raum nicht mehr. Der Nationalpark sei voll. Im TV-Bericht sah man tatsächlich Berggorillas, die sich weit in bäuerliche Äcker vorwagten und sich an den Feldfrüchten gütlich taten. Und man sah Menschen, die darob wütend waren und tatenlos zusehen mussten. Die Gorillas seien der Regierung offenbar lieber als die Menschen, schimpften sie in die Kamera.
Vor 52 Jahren war ich genau dort, wo sich die im TV gezeigten Szenen mit den Berggorillas in den Feldern abspielten. Damals musste ich mich einen ganzen Tag lang von Fliegenschwärmen begleitet durch dichtes Gestrüpp und über üppige Vegetation quälen, zum Teil knietief darin versinkend, und unter Geäst hindurchrobben, bis ich eine etwa achtköpfige, nicht habituierte Gruppe Berggorillas überraschte. Eine prägende Begegnung, kurz aber stark. Damals gab es um die Virunga-Vulkane herum noch um 2000 Gorillas, aber keine Konflikte mit Bauern.
Kompromisslos urbanisiert
Im TV-Bericht konnte man sehr eindrücklich die Grenze des Nationalparks erkennen, die nun nicht mehr tief im Wald verläuft, sondern deckungsgleich mit dem Waldrand. Die dichte grüne Vegetation schliesst messerscharf an die landwirtschaftlich genutzten Felder an. Früher, als ich dort war, lag der Nationalpark aber mitten im Urwald. Heute ist die Landwirtschaft kompromisslos an die Parkgrenze vorgestossen. Der Nutzbarmachung wurden hunderte Quadratkilometer Urwald geopfert. Die Landwirtschaft hat den Urwald bis hart an die Nationalparkgrenze niedergemacht. Der Berggorilla kommt mit Landwirtschaft nicht klar. Und die Menschen dort wollen Kartoffeln, nicht Gorillas.
Was in der TV-Sendung als Druck der Berggorillas auf die menschliche Bevölkerung dargestellt wurde, der den Tieren zum Verhängnis wird, ist natürlich nicht ihr Problem. Das Problem ist der Bevölkerungsdruck der Menschen. Der zentral-/ostafrikanische Staat Uganda hat eine humane Fertilität von 4,96 (Quelle: statista.com, Stand 2018). Das heisst, jede Frau in Uganda hat im Durchschnitt 4,96 Kinder (die das Erwachsenenalter erreichen).
Um eine Bevölkerungszahl stabil zu halten, reicht aber eine Fertilität von 2,1. Ab einer Fertilität von 4 (= 2,5 Prozent Bevölkerungswachstum pro Jahr) spricht man von Bevölkerungsexplosion, da sich die Bevölkerungszahl pro Generation verdoppelt. Die Fertilität in Uganda ist zwar rückläufig; sie betrug in den Vorjahren 5,1, 5,24, 5,39, 5,55 und im Jahr 2010 betrug sie 6,11. Die seit über zwanzig Jahren anhaltende ugandische Bevölkerungsexplosion geht immer noch weiter und schwächt sich nur leicht ab. Im übrigen Verbreitungsgebiet des Berggorillas sieht es ebenso betrüblich aus. Ruanda hat eine Fertilität von 4,09, die Demokratische Republik Kongo eine von 6,02.
Adieu Berggorilla
Vermindert sich Ugandas humane Fertilität im derzeitigen Trend weiter, steht sie in zwanzig Jahren bei 2,0; ab dem Jahr 2041 würde die Bevölkerungszahl also nicht mehr wachsen, sofern die Fertilität tatsächlich so kontinuierlich abnimmt wie in den vergangenen zehn Jahren. Dann ist es aber zu spät, denn dann ist der Berggorilla ausgestorben, weil sich die ugandische Bevölkerung bis dann mehr als verdoppelt haben wird. Konkret: Der Urwald an den fruchtbaren Hängen der Virunga-Vulkane wird weggemacht, und mit dem Urwald verschwinden die Berggorillas. Das war’s.
Für die Zeit nach dem Berggorilla ist schon vorgesorgt. Es bestehen für weite Gebiete um die Virunga-Vulkane und selbst für Teile der Nationalparks Schürfungsrechte für Erdöl. Ich habe damals eine stillgelegte Silbermine am Parkrand, aber mitten im Urwald, besucht, aus deren Halden neu Wolfram abgebaut wurde. Es werden heute weitere Grossvorkommen von Rohstoffen vermutet. Zentralafrika birgt viele Rohstoffe (z. B. Coltan!), an die die wachsende Erdbevölkerung heranwill. Auch die ugandische Bevölkerung wird sich nicht auf Landwirtschaft kaprizieren, sondern die Leute wollen Handys, Autos und Sonntagsbraten. Ein Schuft, wer es ihnen verwehren will.
Afrika will Europa-Standard
Pro Jahr wächst die Menschheit um 82 Millionen Menschen (Quelle: UNO), um so viel, wie Deutschland Einwohnerinnen und Einwohner hat. Das heisst, jedes Jahr muss man auf dem Erdball ein komplettes Deutschland aufstellen, um alle diese neu hinzukommenden Menschen unterzubringen. Dieser (im 40-Jahres-Durchschnitt) jährliche Zuwachs von 82 Millionen Menschen, der schon seit 20 Jahren besteht, und immer noch anhält, beansprucht die gleichen Ressourcen wie die europäische Gesellschaft. Das ist das gute Recht aller Menschen dieser Erde. Die Jahr für Jahr neu hinzukommenden Menschen stossen Milliarden von Tonnen CO2 aus, versiegeln Tausende Quadratkilometer Grünflächen, bauen Zehntausende Kilometer Strassen und roden Hunderte Quadratkilometer Urwald. Jedes Jahr!
Wer nun meint, das sei übertrieben, weil die Menschen in Afrika pro Kopf viel weniger Umweltschäden verursachen als wir Europäer, irrt. Zurzeit, ja, zurzeit sind die Umweltlasten, die der afrikanische Mensch verursacht, deutlich geringer als die Umweltlasten des europäischen Menschen. Das liegt an der tiefen Entwicklung mancher afrikanischer Staaten und am erbärmlich niedrigen Lebensstandard von Abermillionen Männern, Frauen und Kindern in Afrika. Das wird sich mittelfristig aber ändern, denn die afrikanischen Menschen sind wie wir! Sie streben den genau gleichen Lebensstandard an wie wir. Afrika diesen Lebensstandard mit «Klima-Argumenten» zu verweigern, ist ökologisch unterfütterter Rassismus.
Weil die Politik mancher afrikanischer Regierungen desolat und nepotistisch ist, und weil sie ihren jungen Menschen keinerlei vernünftige Perspektive vermittelt, will die afrikanische Jugend weg. Die Migrationsforschung geht davon aus, dass zurzeit etwa 500 Millionen Menschen in Afrika auswandern wollen nach Europa und Nordamerika. Diese Menschen kommen nicht im Baströckli zum Trommeln zu uns, sondern diese Menschen wollen ihr Leben so leben wie wir. Wer das negiert, denkt kolonialistisch oder hat TamTamTam in den Ohren.
Nach dem Berggorilla ist übrigens das Nashorn dran. Und dann der Tiger. Und dann…? Dann ist unser Laubfrosch dran; mehr darüber demnächst, hier.
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➜ Lesen Sie im zweiten Teil: «Der Laubfrosch und sein Siedlungsproblem in der Schweiz».
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Hervorragender Artikel. Nicht nur für das Klima gilt die Rechnung: Globale Belastung der Natur = Anzahl Menschen X Belastung pro Menschen. Und mit steigendem Wohlstand steigt die Belastung der Natur und des Klimas pro Mensch. Trotzdem ist die «Grösse der Bevölkerung» kein Thema in der Politik, ausser für ECOPOP.
Interessant – und bedrückend. Afrikanische Gegenwart und Zukunft – am Beispiel der Gorillas dargestellt.
Was ich an diesem und vielen ähnlichen Artikeln vermisse:
Der «vollen Waagschale» an sehr sorgfältigen Beschreibung einer «unerfreulichen» Situation – und ebenso deren negativer Zukunftsprognosen
steht kaum etwas an nachvollziehbaren Ursachen –
und gar nichts an positiven Be-einflussungs-Möglichkeiten gegenüber !
GENAU DAS sollte aber mit zu den Grund-Aufgaben jeglicher Forscher gehören – also:
IST – Zustand feststellen
ZUKUNFT, wenn es so weitergeht, prognostizieren
URSACHEN für «UN-Erwünschtes» ermitteln
und Lösungs-Ansätze «andenken»
— damit nicht nur Unterhaltung, sondern auch «Wissen» generiert wird –
auf dem -menschlich- aufgebaut werden kann.
Ich nehme an, dass ein Teil-Grund der «zu viel geborenen» Kinder
sich aus mangelnden Verhütungs-Möglichkeiten und Wissen dazu
und daraus, dass Kinder die einzige Alters-Vorsorge sind, ableitet
In das «Wunderland Europa» flüchten ?
werden Abenteurer immer
die Meisten aber NUR, weil die LebensUmstände DORT teils un-menschlich sind.
Wie «reich» ein «Armer» ist, der eine grosse Familie (Eltern, Geschwister, Kinder, Onkel, Neffen… …) und gute Freunde um sich hat –
wenn er sich satt essen, akzeptabel kleiden, ein kleines Dächlein überm Kopf hat.
zeigt mir meine 2. Heimat, Türkei, täglich !
Man kann von 100 Euro/Monat leben UND sehr glücklich sein !!!
Wolf Gerlach, Ingenieur
Ja, das Bevölkerungswachstum ist in der Tat ein Riesenproblem. Bereits im Jahr 2019 hat srf.ch den Beitrag «UNO tut sich schwer» gebracht, in dem nachgelesen werden kann, dass sämtliche Klimaziele unerreichbar sind, wenn das Bevölkerungswachstum nicht gestoppt wird. Da sieht man dann auch sofort, wie sinnlos das CO2-Gesetz der Schweiz ist. Es dient zwar der Umverteilung von Geld, dem Klima nützt es aber genau gar nichts. Die USA unter Biden hat aktuell auch gerade eine CO2-Abgabe abgelehnt und zwar genau, weil es absolut keinen Einfluss auf das Klima hat. Es wäre eben schon das wichtigste und dringendste Problem der Menschheit die Bevölkerungsexplosion zu stoppen. Aber eben: Wie man sieht geht es immer ums Geld. Bei der «Energiewende» und dem «Klimaschutz» geht es um gewaltige wirtschaftliche Interessen. Und mit dem Eindämmen der Bevölkerungsexplosion verdient niemand Geld. Und da kann die UNO dann warnen soviel sie will, es hört niemand zu……
Ich lasse mich gerne korrigieren, aber soweit ich informiert bin, hat die Fertilität (fertility rate) nichts damit zu tun, ob ein Kind das Erwachsenenalter erreicht (wie im Text behauptet).
Und dass eine Fertilität von 4 stets mit einem Bevölkerungswachstum von 2,5% einhergeht, stimmt natürlich auch nicht. Das ist abhängig von der Kindersterblichkeit.
Die Bevölkerung in Afrika explodiert, seit die Kindersterblichkeit massiv zurückgegangen ist, was ja an sich positiv ist. Nur haben die Menschen die Zahl ihrer Kinder noch nicht an die verbesserten medizinischen Bedingungen angepasst.