Kommentar
Von Sharm El Sheikh bis Doha: Das Mass ist voll!
Red. Marc Chesney ist Finanzprofessor an der Universität Zürich und Autor des Buches «Die permanente Krise – Der Aufstieg der Finanzoligarchie und das Versagen der Demokratie».
Die COP-Kumpane sind einmal mehr zusammengetroffen zur COP27 in Ägypten. Sie haben sich zweifellos darüber gefreut, dass fast keine ihrer Umweltversprechen umgesetzt wurden. Wie jedes Jahr handelte es sich dabei im Grunde um ein Nicht-Ereignis voller Nicht-Entscheidungen. Um ihr Image trotzdem zu bewahren und erhebliche Mengen an Treibhausgasemissionen zu vermeiden, hätten die führenden Politikvertreter dieser Welt und ihre Lobbyisten-Buddies aus dem fossilen Energiesektor und aus der Finanzwelt statt mit Präsidentenfliegern und Privatjets per Kamel anreisen können.
Da die Party erst am 19. November zu Ende ging und der FIFA-World Cup am 20. November begann, hätten sie dann problemlos von Sharm El Sheikh nach Doha in einer (dollar-)grünen Karawane weiterziehen können, um dort einer angeblich CO2-neutralen Fussball-Weltmeisterschaft beizuwohnen.
Dieser völlig emissionsfreie Transfer der Grossen dieser Welt im Dunstkreis von Zynismus und Käuflichkeit hätte dann die Aufmerksamkeit vom Erdenball zum runden Leder verschoben. Unterwegs hätten sie ihren Durst nach flüssigen Mitteln passenderweise in einer «Coca-Cola-Oase» stillen können, bei einem Konzern also, der die COP27 sowieso schon sponsert.
Als Versuch, die Normalsterblichen von ihren Nöten und vom desolaten Zustand unserer Erde abzulenken, hätte dieser Kamel-Zug durch die Wüste ihr Image garantiert aufpoliert!
Not und Spiele
Das Jahr endet also mit der Fussball-Weltmeisterschaft in Katar, einer willkommenen Abwechslung – wären nicht Tausende Gastarbeiter umgekommen, wäre da nicht der kolossale und absurde Energieverbrauch zur Klimatisierung der Stadien und wären nicht die geplanten rund 500 täglichen Flüge, damit die Fans ihre Lieblingsmannschaft vor Ort anfeuern können. Die angebliche CO2-Neutralität dieses World Cup gleicht einer Fata Morgana.
Während die COP-Kumpane wegen des Klimawandels Besorgnis heucheln, erteilen grosse internationale, oft «nachhaltige» Banken den Konzernen wie Shell und TotalEnergies grosszügige Kredite, die das schamlose Ausbeuten der Ressourcen in der Arktis und damit eine unwiederbringliche Zerstörung der Natur erst ermöglichen.
Finanzinstitute finanzieren das Abholzen von Urwald
Denn während die COP-Kumpane auf die Zukunft der Erde anstossen, finanzieren einige Finanzinstitute, darunter auch schweizerische, zur Freude von Jair Bolsonaro brasilianische Agrarkonzerne wie BrasilAgro und Marfrig, die sich an illegaler Abholzung im grossen Stil, an Umweltzerstörung und Menschenrechtsverstössen beteiligen.
Just währenddem die COP-Kumpane sich gegenseitig auf die Schulter klopften, hat TotalEnergies mit seinen Partnern in Absprache mit der ugandischen Regierung endgültig entschieden, in ein riesiges Erdölförderungsprojekt zu investieren und gleichzeitig dessen Baubeginn angekündigt. Dazu gehört eine Pipeline, die entlang des grössten afrikanischen Sees verläuft, mehrere Schutzgebiete für Elefanten, Löwen und Schimpansen durchquert und zahlreiche natürliche Lebensräume vernichtet. Auch fast 100‘000 Menschen werden dabei zwangsenteignet. Dieses Projekt ist so extrem fragwürdig, dass viele Finanzinstitute Kredite verweigerten. Doch nach Angaben von BankTrack haben sich die Deutsche Bank, JPMorgan und einige andere noch immer nicht öffentlich von einer Finanzierung des 3-Milliarden-Projets distanziert.
Nur ja keine wesentlichen Massnahmen beschliessen, sondern sich zwischen zwei Glas Champagner heuchlerisch um den Zustand der Natur und den Klimawandel besorgt zu zeigen – diese Haltung ist bei den meisten Regierenden sowie den Chefs von Grossen Konzernen und systemrelevanten Banken verbreitet.
Dabei wäre es allerhöchste Zeit, die Augen zu öffnen und die erforderlichen Entscheide zu treffen. Die Hitzewellen die uns im letzten Sommer heimsuchten, das weltweite massive Artensterben, die Umweltverschmutzung: All das zeigt, wie besorgniserregend die Lage ist. Die Erdöl- und Erdgasbohrungen in Naturschutzgebieten und ihre Finanzierung müssen gestoppt werden, wie ganz allgemein das Wirtschaften im Raubtiermodus.
Der Status quo ist nicht länger eine Option. Das Mass ist voll.
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Der Artikel erschien am 17.11.2022 in «Le Temps»
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Auf den Punkt gebracht, schöner Beitrag!
Aber Geld regiert die Welt und ich verstehe nicht wie es sich die reichen der Reichen vorstellen in Zukunft überleben zu wollen. Das letzte Hemd hat keine Taschen, also, was wollen sie damit?
Einen Flug mit Elon Murks zu fremden Planeten, damit sie dort in Saus und Braus weiterfeiern können wenn auf der Erde Krieg und Chaos herrscht!
[…]finanzieren einige Finanzinstitute, darunter auch schweizerische,[…] – gibt es hierzu eine Quelle? Von welchen Finanzinstituten ist die Rede? Ich finde die sollen beim Namen genannt werden. Zum Rest: Das Mass ist voll. Ganz meine Meinung. Danke für den Artikel.
Nur zum Thema Fussball-WM in Doha: «Tausende» von Arbeitern sollen «umgekommen» sein. Die Zahlen reichen von 3 (Fifa und Organisationskomitee) über 6’500 (Guardian, schon vor Jahren geschätzt, tausendfach abgeschrieben) bis zu 15’000 (Rekordschätzung von Amnesty International, Sommer 2022). «500 Flüge pro Tag» – woher diese Zahl, und woher die Flüge? «Kolossaler und absurder Energieverbrauch» – wie kolossal und absurd ist der Energieverbrauch von, beispielsweise, unseren Tausenden, seit Jahrzehnten auf Raumtemperatur geheizten Kunsteisbahnen?
Von einem feurigen professoralen Rundschlag darf etwas mehr Präzision als die Wiederholung von altbekannten, aber nie erhärteten Medienmeldungen erwartet werden.
Flugverkehr zerstört mit seinen Abgasen unsere Umwelt und gefährdet mit seinem Lärm unsere Gesundheit. Das wissen unter vielen anderen auch die Politiker.innen. Und sie lassen es trotzdem zu. Oder machen es sogar aktiv mit. Wie das so geht im System mit einer kollektiv organisierten Verantwortungslosigkeit, wo alle tun und lassen können, was und wie sie es wollen. Hauptsache: es bringt Profit und macht Spass!
Besten Dank für den Hinweis auf die Uganda Pipeline nach Dar-es-Salam. Das dürfte auch ökonomisch keinen Sinn machen, sondern bestenfalls ein paar Profite für internationale Abzocker generieren.
Danke, ein treffender Beitrag. Der Kapitalismus welcher weder einem Ethos noch einer Moral unterstellt ist, wird ohne Regulation durch klare Gesetze in den Abgrund führen, der zum Ende dieser Form des Kapitalismus führt und Unschuldige in den Tod reist. Das Horten von Kapital muss begrenzt werden. Still stehendes Kapital schadet allen Menschen und sollte Global hoch besteuert werden. Globale soziale Gerechtigkeit innerhalb ethischer Rahmenbedingungen sind unumgänglich für eine sichere Zukunft, die Vermeidung von Kriegen und einer umweltgerechten Lebensweise. Nur durch den Verzicht auf jede Form von Gewalt welche jenseits von Notwehr liegt, käme der Mensch an dieses erstrebenswert Ziel. Kapitalismus ohne Grenzen ist pure Zerstörung. Trunken von Macht und geblendet von Uebersättigung agieren viele dieser Menschen ohne jegliches Mitgefühl nur für sich selbst. Es ist daß älteste «Gewaltenproblem» der Welt, seit es die Tauschmittel gibt.
Finde Ihre Beschreibung zutreffend und zugleich schrecklich, Herr Gubler. Sie sind wahrscheinlich einer der wenigen Basler, die hinschauen wollen. Viele von Links bis Rechts profitieren enorm vom Kapitalismus und lassen es dabei bleiben.
Für Ueli Keller: die Basler haben eben einen zweiköpfigen Genius Loci: der Basler (Bischof) Stab als Vertreter des Himmels und den Basilisken (Drache) als Synonym für den Teufel. Die Farben schwarz/weiss unterstreichen diese Symbole. Zwischen hell und dunkel entstehen alle Farben (Goethe). So ist es an uns zu entscheiden, welchem Extrem wir uns wann und wo zuneigen. Die Pharma bezahlt der Stadt rund CHF 5000 Steuern/Einwohner:
https://www.nzz.ch/wirtschaft/wirtschaft-und-stimmvolk-in-basel-rumort-es-trotz-vollen-kassen-ld.1643096?reduced=true
Da bräuchte es viel Selbstlosigkeit, auf dieses Geld zu verzichten… und als christlich geprägte Stadt könnten wir uns vielleicht daran erinnern, dass eher ein Kamel durch ein Schlüsselloch geht als ein Reicher in den Himmel.
800 Privatjets sind nach Ägypten geflogen, um uns zu sagen, dass wir mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren sollen, da wir sonst den Planeten kaputt machen… Irrsinnig das Ganze, was für eine Clowerei!