Planetare Grenzen: Wir verlassen die sichere Umwelt
Der Planet ist überlastet, die Erde kommt an ihre Grenzen, wir übernutzen unsere Ressourcen – Schlagzeilen wie diese tauchen derzeit wieder in vielen Medien auf. Die deutsche «Tagesschau» beschreibt die Menschheit beispielsweise als einen Patienten, der noch nicht realisiert, dass sein Bluthochdruck auf längere Sicht gefährlich ist. Was ist da los?
Es geht um die planetaren Grenzen – ein Konzept, das die Belastbarkeit der Umweltsysteme abbildet, in denen wir leben. Neun planetare Grenzen gibt es. Ein Forschungsteam um Katherine Richardson von der Universität Kopenhagen hat vor Kurzem die letzten beiden nicht voll erfassten Systeme definiert.
Alle planetaren Grenzen sind nun vollständig erfasst
Die Forschenden fanden heraus, wo die Grenzen für die Aerosolbelastung und für naturfremden Stoffe (Englisch: Novel Entities) liegen und wie sie erfasst werden sollen. Die anderen sieben Grenzen bewertet das Team neu. Ihre Ergebnisse veröffentlichten die Forschenden Mitte September im Fachmagazin «Science Advances».
Die neun planetaren Grenzen sind nun alle vollständig beschrieben. «Ein Durchbruch», sagt Johan Rockström, wissenschaftlicher Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK). Was man kritisch betrachten kann, weil Rockström ein Co-Autor der Studie ist und das PIK das Konzept der planetaren Grenzen 2009 aufstellte.
Besorgniserregend: sechs von neun Grenzen überschritten
Das ändert nichts daran, dass Rockström einer der bekanntesten Klimawissenschaftler und das PIK eine der massgeblichen Forschungsinstitutionen in Sachen Klima ist. An den besorgniserregenden Ergebnissen ändert es noch weniger. Sechs von neun planetaren Grenzen sind bereits überschritten. 2009 waren es noch drei, 2015 vier:
In den Systemen globale Erwärmung, Biosphäre, Entwaldung, Schadstoffe, naturfremde Stoffe wie Plastik (Novel Entities), Stickstoffkreisläufe sowie Süsswasser haben wir den sicheren Bereich verlassen. Eine Grenzüberschreitung markiere eine «kritische Schwelle für erheblich steigende Risiken», so das PIK.
Überschreitung bedeutet nicht, dass die Welt sofort zusammenbricht
«Risiken» heisst nicht, dass bei Überschreitung einer planetaren Grenze die Welt sofort zusammenbricht. Vielmehr ändert sich die Umwelt, die wir kennen, langsam und allmählich. Ein System, das aus dem Gleichgewicht gerät, strebt nach einem neuen Gleichgewicht.
Die neue Realität könnte ein Zustand sein, in dem es nur noch windbestäubende Pflanzen gibt oder Arten, die mit dem zunehmend extremen Wetter zurechtkommen. Oder eine Welt, in der es viel nasser, trockener oder heisser ist als in den letzten grob zehntausend Jahren. Bedenkt man zum Beispiel, dass Menschen sich nur in einem vergleichsweise schmalen Temperaturbereich wohlfühlen, bekommt man einen Eindruck davon, was sich ändern könnte.
Wo es am meisten brennt
Und nicht alle gefährdeten Systeme sind gleich empfindlich. Das zeigt eine Grafik, die Katherine Richardson und ihr Team erstellt haben. Die planetaren Systeme werden darin dargestellt als Kuchen. Die Länge der Kuchenstücke zeigt an, wie weit die Systemgrenzen überschritten sind. Ihre Farbe symbolisiert, wie kritisch die Forschenden die Überschreitung einschätzen.
Derzeit werden pro Jahr beispielsweise 23 Millionen Tonnen Phosphor ins Meer gespült, vor allem aus Düngemitteln – im Diagramm veranschaulicht mit dem Symbol P für Phosphor. Die biogeochemikalische Grenze von 11 Millionen Tonnen im Jahr ist damit weit überschritten, was die Forschenden als kritisch einschätzen. Der viele Phosphor im Meer führt vor allem an den Küsten zu überschiessendem Wachstum von Kleinorganismen. Algenblüten können ganze Küstengebiete vergiften oder ersticken.
Der Nullpunkt des Diagramms bezieht sich auf eine Zeit von vor 12’000 Jahren bis etwa zur Industriellen Revolution. Nach dem Ende der letzten Eiszeit gab es nur wenige Menschen, die auch technologisch nicht weit fortgeschritten waren . Sie beeinflussten die Erde damit wenig. Die Menschheit entwickelte sich in einer erdgeschichtlich sehr stabilen Zeit.
Wenigstens das Ozonloch schrumpft
Die Entwicklung ist nicht unumkehrbar. Das Ozonloch ging dank des energischen Eingreifens der Menschheit seit den 1990er-Jahren sogar zurück – eine der wenigen positiven Nachrichten zum Zustand des Planeten.
Bisher sind noch keine Kipppunkte im planetaren System bekannt. Was nicht heisst, dass es keine gibt. «Wir wissen nicht, wie lange wir entscheidende Grenzen derart überschreiten können, bevor die Auswirkungen zu unumkehrbaren Veränderungen und Schäden führen», sagt Rockström in einer Publikation des PIK.
Das Forschungsteam betont, dass die Widerstandsfähigkeit des Planeten von weit mehr abhängt als nur vom Klimawandel. Die zweite wichtige Säule ist die Funktionsfähigkeit der Biosphäre. Auch diese höhlen wir beständig aus, «indem wir zu viel Biomasse entnehmen, zu viele Lebensräume zerstören, zu viele Flächen entwalden», sagt Wolfgang Lucht, Leiter der Abteilung Erdsystemanalyse am PIK.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Ist das nicht abgehoben und realitätsfremd? Die planetare Grenze ist die Nachhaltigkeit, somit der Ausschluss von Raubbau. Auch die ‹Energiewende› ist nicht nachhaltig und beruht auf Raubbau.
Nur ein Leben wie bei den Neandertalern, Pfahlbauern, Indianern, Eskimos, Aborigines usw. ist nachhaltig.