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Greenpeace-Aktivisten protestieren gegen die Verschmutzung des bayrischen Flusses Alz mit PFAS. © Greenpeace

PFAS: Chemie, die kostet

D. Gschweng /  «Ewige Chemikalien» sind nicht nur Thema für Gesundheits- und Gewässerschutz. Der Umgang mit ihnen wird auf Dauer sehr viel kosten.

Sie finden sich in Kleidung, Kosmetika, Dämmstoffen, Lacken, Reinigungsmitteln, Feuerlöschschäumen, Papier und vielem mehr. PFAS, zu Deutsch: Per- und polyfluorierte Alkylverbindungen, sind fast überall, denn ihre Anwendbarkeit ist schier unendlich. Die bekannteste unter den mehr als 4’000 verschiedenen Verbindungen ist PFOA (Perfluoroctansäure), die bei der Herstellung von Teflon verwendet wird. PFAS sind sehr stabil und äusserst langlebig. Sie werden deshalb als «ewige Chemikalien» bezeichnet. Diese Eigenschaft kostet die Steuerzahler jedes Jahr Milliarden.

Da die Chemikalienklasse der PFAS so allgegenwärtig ist, hat jeder Mensch eine geringe Menge davon auch im Körper. Sie sind im Grundwasser und im Boden und gelangen so in den menschlichen Körper, sofern dieser sie aus damit behandelten Produkten nicht sogar direkt aufnimmt. Im Körper reichern sich PFAS an und werden nur langsam ausgeschieden.

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Gesundheitliche Auswirkungen von PFAS

PFAS können Leber und Niere schädigen, Cholesterinwerte und Blutdruck nach oben treiben, Schilddrüsenkrankheiten und Immunschwäche auslösen. Sie werden mit verschiedenen Krebsarten in Verbindung gebracht, wurden in Muttermilch nachgewiesen und können sogar Ungeborene im Mutterleib schädigen.

Chemie, die hunderte bis tausende Jahre überdauert

Dennoch werden sie noch immer produziert. Wissenschaftler fordern schon lange, ihre Nutzung auf unbedingt nötige Anwendungen zu beschränken. In der Realität werden PFAS mit bekanntem Schädlichkeitspotential oft durch andere ersetzt, über deren gesundheitliche Auswirkungen noch wenig bekannt ist. Viele Verbindungen sind noch nicht hinreichend erforscht und nicht reguliert.

Die Reinigung von Trinkwasser wird dadurch immer aufwendiger. Mit PFAS verschmutzter Boden lässt sich nur schwer, wenn überhaupt, wieder davon befreien. Meist bleibt nichts anderes, als grosse Mengen Erde sicher zu deponieren.

Wirklich zerstören lassen sich PFAS nur durch Verbrennung bei mehr als 1’000 Grad. Dafür aber sind die meisten Müllverbrennungsanlagen nicht ausgestattet. Die EU-Richtlinie schreibt bei Siedlungsmüll nur 850 Grad vor. Wird eine Deponie undicht, gelangen PFAS ebenfalls ins Wasser und in den Boden. Das gilt vor allem für Altlasten.

Die Folgen «ewiger Chemie» trägt meist der Steuerzahler

Noch sind nicht alle Gefahrenherde entdeckt. In Frage kommen ehemalige Fabriken, Flughäfen, Feuerlöschplätze und Deponien. Bei jedem bekanntwerdenden Schaden wird früher oder später untersucht, welche Stoffe in die Umwelt gelangt sind, wer PFAS im Blut hat und wieviel davon.

Vor allem aber wird verhandelt, wer verantwortlich ist und für die Kosten aufkommen wird. Dazu zählen neben Gesundheitskosten auch die Reinigung von Boden, Grund- und Trinkwasser und das Monitoring derselben. Sozioökonomische Kosten, die am Ende meist der Steuerzahler trägt.

Nach der Studie «The Cost of Inaction», die das Consultingunternehmen «Milieu Consulting» in Brüssel im Auftrag des Nordischen Rats verfasst hat, können diese in die Milliarden gehen – jedes Jahr. Die Studie hat PFAS-Folgekosen für den europäischen Wirtschaftsraum* erstmals grob beziffert. Dazu werteten Wissenschaftler verschiedener Fachrichtungen Studien zu Verbreitung, Verschmutzung, Produktion und Schädlichkeit von PFAS aus und schätzten basierend auf fünf Fallstudien, wie hoch die sozioökonomischen Kosten der PFAS-Nutzung ausfallen können.

Studie hat grosse Bandbreite

Die Bandbreite der Schätzung ist gross und reicht zum Beispiel für Schweden von 8 bis 110 Millionen Euro jährlich. Was vor allem daran liegt, dass die Zahl der betroffenen Personen schwer zu schätzen ist.

Nur wenige Einwohner des Europäischen Wirtschaftsraums sind PFAS direkt ausgesetzt, etwa, weil sie in einem der europaweit 20 Unternehmen arbeiten, wo diese produziert werden. Ein weiterer Anteil der Bevölkerung ist höher belastet, weil er in der Nähe von Produktions- und Verarbeitungsstätten lebt, verschmutztes Wasser konsumiert oder in PFAS-verschmutzten Gebieten wohnt. Die Studie schätzt ihren Anteil auf etwa drei Prozent der Gesamtbevölkerung. Die Hälfte der erwachsenen Bevölkerung im EWR sei dagegen eher geringen PFAS-Mengen ausgesetzt, sagen die Autoren.

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Die Studie «The Cost of Inaction» schätzt die gesundheitsbezogenen Folgekosten von PFAS-Nutzung auf 52 bis 84 Milliarden Euro jährlich.

Die Autoren schätzen die durch PFAS entstehenden gesundheitsbezogenen Kosten für den gesamten europäischen Wirtschaftsraum ohne die Schweiz auf 52 bis 84 Milliarden Euro jährlich. Die realen Kosten könnten höher ausfallen, sagen die Autoren, da sie nicht alle Gesundheitsrisiken einbezogen haben.

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Aggregierte nicht-gesundheitsbezogene Folgekosten von PFAS in Euro, bestehend aus Umweltscreening, Monitoring kontaminierter Stellen, Wasseraufbereitung, Bodensanierung, Gesundheitsbewertung

Nicht gesundheitsbezogene Folgekosten der PFAS-Nutzung beziffert das Team von «Milieu Consulting» für alle Länder des EWR und die Schweiz auf zwischen 821 Millionen und 170 Milliarden Euro (878 Millionen bis 181 Milliarden Franken) im Jahr. Für die Schweiz allein gibt die Studie zwischen 12 Millionen und 1,6 Milliarden Euro (12,8 Millionen bis 1,7 Milliarden Franken) jährlich an.

Die Autoren weisen darauf hin, dass der europäische Durchschnittswert noch am exaktesten ausfällt, die Aufteilung der Kosten auf verschiedene Länder sei dagegen weniger genau. Regional können Kosten durchaus höher ausfallen, wie im deutschen Bundesland Baden-Württemberg. Dort müssen verschmutzte Böden für bis zu drei Milliarden Euro saniert werden. Teurer werden könne es auch, falls Grenzwerte für einzelne PFAS neu eingeführt oder bestehende verschärft werden.

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Lesen Sie dazu bei Infosperber:
«Der Mann, der DuPont das Fürchten lehrte»
«Kompostgift im Spargelfeld»
«Wie giftige Chemikalien ewig im Nahrungszyklus bleiben»

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* Der Europäische Wirtschaftsraum (EWR, englisch European Economic Area, EEA) besteht aus Österreich, Belgien, Bulgarien, Kroatien, Tschechien, Zypern, Dänemark, Estland, Finnland, Frankreich, Deutschland, Griechenland, Ungarn, Irland, Island, Italien, Lettland, Liechtenstein, Litauen, Luxemburg, Malta, den Niederlanden, Norwegen, Polen, Portugal, Rumänien, der Slowakei, Slowenien, Spanien, Schweden sowie in einer Übergangsfrist bis zum 31. Dezember 2020 Großbritannien und Nordirland.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

Zum Infosperber-Dossier:

PFAS.Dossier.M&P

PFAS-Chemikalien verursachen Krebs und können Erbgut schaden

Die «ewigen Chemikalien» PFAS bauen sich in der Natur so gut wie gar nicht ab. Fast alle Menschen haben PFAS bereits im Blut.

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3 Meinungen

  • am 12.07.2020 um 23:02 Uhr
    Permalink

    So ist das u. nicht nur im Sektor Chemie.

    Es wird immer mehr bloss die kurzfristige Maximierung von Eigenkapitalrenditen gesehen. Die ach so schlauen Kapitalschwachen meinen, dass das besonders ihnen zu Gute käme.
    Die sind nicht verblendet, die werden von Kindi-Tage indoktriniert u. veblendet.
    Die verbundenen Kosten, Kollateralschäden, üble, Fern- u. Neben-Wirkungen für die Masse werden gekonnt ausgeblendet oder anderen in die Schuhe geschoben.
    Die gewohnte Schweizer Gesellschaftsordnung wird tatsächlich abgeschafft, wenn auch langsamer wie in anderen Libertären Nationen, und durch u. durch die Libertäre US-amerikanische Gesellschaftordnung ausgetauscht.
    Die Masse glaubt/meint, weil es ihr so geschickt eingeredet wird, für die negativen Veränderung in ihrem Leben und die zunehmenden Gefühle von Machtlosigkeit u. Ungerechtigkeit, wären z.B. DER Islam, DIE EU u/o der chin. Kommunismus schuld.

  • am 14.07.2020 um 15:06 Uhr
    Permalink

    Unsere teuren Amtsschimmel sind schon seit 1945 mit solchen chemischen Problemen hoffnungslos überfordert.
    Wir bezahlen dies u.a. mit unserer Gesundheit…

  • am 14.07.2020 um 18:11 Uhr
    Permalink

    Seit Monsanto den durch Genmanipulation gegenüber Glyphosat resistenten Mais patentiert hat, versuchen jegliche andere Firmen ebenfalls dank Patenten einen besonderen Reibach zu machen.
    .
    Man sollte generell Patente auf _allen_ Lebewesen (von Viren bis Menschen) verbieten.

    Patente auf tierische Organismen sind auch nicht möglich und es ist nicht einzusehen warum man es bei Pflanzen hinnehmen sollte.

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