Goldschürfer verwenden trotz Verbot giftiges Quecksilber
Quecksilber verursacht nachgewiesenermassen Hirnschäden, schwere Krankheiten und Geburtsfehler. Das giftige Metall hat Tausenden von Kindern in Indonesien schweren Schaden zugefügt. Es hat Flüsse im gesamten Amazonasgebiet verseucht und eine humanitäre Krise für den grössten Indigenen-Stamm Brasiliens ausgelöst.
Weltweit warnen Ärzte schon lange vor dem Verzehr bestimmter Fische, weil das flüssige Metall in den Ozean und in die Nahrungskette gelangt. Die meisten Länder der Welt unterzeichneten deshalb 2013 die internationale Minamata-Konvention, in der sie sich verpflichteten, die Verwendung von Quecksilber weltweit zu beenden. Doch zehn Jahre später kommt Quecksilber im Goldabbau immer noch grossflächig zum Einsatz. Es ist die günstigste und schnellste Methode, um den globalen Appetit auf Gold zu bedienen. Das belegt eine Reportage aus Lateinamerika von Fabian Federl und Jack Nicas in der «New York Times».
Quecksilber verseucht die Menschen und ihre Nahrungsketten
Surinam, ein kleiner Staat mit 620’000 Einwohnern im nördlichen Südamerika, ist eine Fallstudie dafür, wie sich Quecksilber trotz gravierender gesundheitsschädlicher Auswirkungen so hartnäckig halten kann. Seit Jahrzehnten vergiftet Quecksilber einen Grossteil der Bevölkerung Surinams. Fast jede fünfte Geburt führt zu Komplikationen wie Tod, niedrigem Geburtsgewicht oder Behinderungen, so eine Studie, doppelt so häufig wie in den USA. Kinderarzt Wilco Zijlmans, der in Surinam die gesundheitlichen Auswirkungen von Quecksilber untersucht hat, berichtete den Reportern, dass die Auswirkungen eindeutig seien. In einer Studie aus dem Jahr 2020 mit 1200 surinamischen Frauen, an deren Durchführung er beteiligt war, hätten 97 Prozent bedenkliche Quecksilberwerte in ihrem Körper gehabt. Zusätzlich zu der erhöhten Rate an Geburtskomplikationen habe Zijlmans auch festgestellt, dass Kinder in Surinam heute viel häufiger als noch vor einer Generation eine verzögerte Gehirnentwicklung, verminderte motorische Fähigkeiten und schlechtere sprachliche und soziale Fähigkeiten hätten.
Dieselben Auswirkungen zeigten sich auch in der indigenen Gemeinschaft der Wayana, die über Surinam und Französisch-Guayana verteilt leben und von mehr als zwei Dutzend Goldminen umgeben sind. Die Wayana essen jeden Tag Fisch aus einem verseuchten Fluss. In den letzten Jahren würden viele unter Gelenkschmerzen, Muskelschwäche und Schwellungen leiden, schreiben die NYT-Reporter. Auch Geburtsfehler hätten zugenommen. Tests französischer Ärzte hätten im Blut der Wayana das Doppelte bis Dreifache an medizinisch akzeptablem Quecksilber nachgewiesen. Eine Frau habe den Reportern geklagt, ihre Hände würden nach jedem Essen schmerzen: «Bestimmte Fische dürfen wir nicht mehr essen, aber es gibt nichts anderes. Das haben wir schon immer gegessen.»
Quecksilber verspricht kurzfristig hohe Einkommen
Etwa 15 Prozent der Arbeitskräfte in Surinam, rund 18’000 Menschen, sind mit dem Goldbergbau verbunden, einer der höchsten Prozentsätze der Welt, so eine Studie der Freien Universität Amsterdam. Für viele biete das Goldschürfen die einzige Erwerbsquelle. In den Minen verspritzen die Arbeiter unter Druck stehendes Wasser, um Generationen von Sedimenten aufzulösen und Schichten zu erreichen, von denen sie hoffen, dass sie Gold enthalten. Dann werfen sie Quecksilber ins Wasser. Ein Kilogramm kostet etwa 250 Dollar. Mit etwas Glück reicht das, um ein halbes Kilogramm Gold abzubauen. Das giftige Element vermischt sich mit Goldstaub und bildet ein Amalgam, das sich aus dem Schlamm pflücken lässt. Das Gemisch werde angezündet und dabei gelange das Quecksilber in die Luft, verbreite sich über weite Gebiete und vergifte Pflanzen, Tiere und Menschen. Das so gewonnene Gold lande als teurer Schmuck in Europa, den Vereinigten Staaten und dem Persischen Golf.
Das Quecksilberverbot ist ein zahnloser Tiger
Während westliche Länder Quecksilber weitgehend verbannt haben, verwenden nach Angaben der Vereinten Nationen immer noch mehr als 10 Millionen Menschen in 70 Ländern – vor allem ärmere Länder in Asien, Afrika und Lateinamerika – das giftige Element, um Gold aus dem Boden zu gewinnen. Diese meist unabhängig operierenden Schürfer produzieren ein Fünftel des weltweit geförderten Goldes und verursachen fast zwei Fünftel der weltweiten Quecksilberverschmutzung, so die Vereinten Nationen und die US-Umweltschutzbehörde. Demnach sei der Bergbau die Hauptquelle für Quecksilberemissionen, noch vor Kohlekraftwerken.
Das Beispiel Surinam zeigt, wieso noch immer Quecksilber im Goldabbau zum Einsatz kommt. Es hat die Wirtschaft des Landes angekurbelt. Gold macht 85 Prozent der surinamischen Exporte aus. Das meiste davon wird mit Quecksilber abgebaut, denn das ist die günstigste Methode. Das verschafft ärmeren Bevölkerungsschichten ein Einkommen und dem Staat satte Exporterlöse. Surinam hat sich zwar dem Quecksilberverbot angeschlossen, doch das Metall lässt sich leicht einschmuggeln und verwenden.
«Das ist das brutale Gesicht der Armut», zitiert die NYT Achim Steiner, den Chef eines UN-Entwicklungsprogramms: «Für viele Bergleute ist die Tatsache, dass Quecksilber ihnen in zehn Jahren schaden könnte, zu weit von der Realität ihres Überlebenskampfs entfernt.» Grosse Goldgräberfirmen verwenden statt Quecksilber Zentrifugen oder Arsen, das nicht in die Umwelt gelangt. Kleine Mineure entscheiden sich für Quecksilber, weil es billig, einfach zu verwenden und offensichtlich leicht verfügbar ist.
«Quecksilber ist eine sehr einfache Technologie, die seit fast 2000 Jahren angewendet wird», sagt Luis Fernandez, Professor an der Wake Forest University, der den Goldbergbau in kleinem Massstab untersucht hat. «Man kann in 15 Minuten lernen, wie man ein Schürfer wird, und man erzielt ziemlich gute Ergebnisse.» Obwohl viele Länder Quecksilber im Bergbau verboten, sei die Durchsetzung lax, sagt Fernandez. Der Goldabbau sei «ein wirtschaftliches Druckventil für ärmere Länder». Und das sei durch den Anstieg des Goldpreises um 12 Prozent im vergangenen Jahr auf fast 2000 Dollar pro Unze noch verstärkt worden.
Sogar Taxifahrer bieten Quecksilber zum Kauf
Das Quecksilber sei nicht schwer zu bekommen, berichten die Reporter. Verkäufer veröffentlichten Angebote auf Facebook und sogar Taxifahrer böten Quecksilberverbindungen an. Menschen im ganzen Land hätten gesagt, dass die Quecksilberverkäufer überwiegend Chinesen seien. Die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) teilte in diesem Jahr mit, dass Quecksilber in Surinam wahrscheinlich «auf Containerschiffen aus China importiert wurde, die andere Waren wie Bergbauausrüstung brachten». Der Präsident von Surinam, Chandrikapersad Santokhi, sagte im Mai: «Wir wissen, dass es geschmuggelt wird.»
Quecksilber-Gold kann in unsere Schmuck- und Uhrengeschäfte gelangen
Die oftmals chinesischen Händler, die das Quecksilber verkaufen, seien dieselben, die das geschürfte Gold aufkaufen und in Hunderten von kleinen Goldgeschäften in Paramaribo, der Hauptstadt Surinams, wieder losschlagen würden. Dort kümmere sich niemand um Herkunft oder Abbaumethode. Das Gold werde schliesslich an «Kaloti Minthouse» weiterverkauft, einem Joint Venture zwischen der surinamischen Regierung und einem Goldimporteur mit Sitz in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Auch dabei werde kein Herkunftsnachweis verlangt. Die Münzprägeanstalt Kaloti exportiert das begehrte Edelmetall dann in die ganze Welt – «legal», denn schliesslich hat Surinam ja die Minamata-Konvention mitunterzeichnet.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Der Grund für die weitere Verwendung von Quecksilber ist einleuchtend dargestellt. Aber die Sprache ist hier ungewöhnlich:Quecksilber wird ins Wasser «geworfen», Amalgam «gepflückt» und dann «angezündet». Ich denke nicht, dass sich Quecksilber anzünden lässt, auch wenn es mit Gold vermischt ist.Vermutlich ist kochen gemeint, damit es verdampft.