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Landwirte in Costa Rica besprühten ihre Felder jahrelang mit Chlorothalonil. © Jose Díaz/Public Eye

Syngenta-Pestizid vergiftet Trinkwasser in Costa Rica

Susanne Aigner /  Der Schweizer Konzern verkauft das in Europa verbotene Chlorothalonil und vergiftet das Grundwasser. Public Eye recherchierte.

Im Jahr 2022 wurden in zwei Bergdörfern in Laborproben von lokalem Quellwasser Rückstände des Fungizids Chlorothalonil in alarmierenden Mengen gefunden. Es handelte sich um Stoffe, die beim Abbau von Chlorothalonil in der Umwelt entstehen und die Gesundheit gefährden. Die Ergebnisse lagen um das 200-Fache über den zulässigen Höchstwerten. Am 22. Oktober desselben Jahres entschieden die Behörden, die Bewohner der Ortschaft Cipreses per Lastwagen mit Trinkwasser zu beliefern. Im Juni 2023 veröffentlichte Public Eye hierzu eine ausführliche Reportage.

Zwei Tage vor der behördlichen Entscheidung hatte das costa-ricanische Gesundheitsministerium die über 5000 Nutzer der Wasserversorgung von Cipreses angewiesen, das Wasser aus dieser Quelle weder zum Trinken noch zur Zubereitung von Speisen zu verwenden. Zwar prüften die Behörden die Möglichkeit, den Ort an die vom Nachbardorf Santa Rosa genutzten Wasserquellen anzuschliessen. Doch wie Laboranalysen, die zwei Wochen später durchgeführt wurden, ergaben, waren die meisten dieser Quellen ebenfalls mit Chlorothalonil kontaminiert. Am 4. November 2022 liess das Gesundheitsministerium per Anordnung fünf der Quellen in Santa Rosa sperren. Spätere Analysen ergaben die Kontamination einer weiteren Quelle, so dass diese für die Einwohner im März des Folgejahres ebenfalls gesperrt wurde.

Im April 2023 schliesslich veröffentlichten das Gesundheits- und das Umweltministerium von Costa Rica einen gemeinsamen Bericht über die Situation in Cipreses und Santa Rosa. In der landwirtschaftlichen geprägten Region seien rund 65‘000 Menschen auf Wasser aus ähnlichen Quellen angewiesen, heisst es darin. Die Landwirtschaft werde so nahe an den Wasserquellen betrieben, dass sie «die Wasserqualität beeinträchtigt» und «die Quellen höchstwahrscheinlich durch den Einsatz von chemischen Produkten kontaminiert» seien. Aufgrund dessen empfahlen die Autoren ein nationales Verbot der Verwendung von Chlorothalonil. Bis Präsident Rodrigo Chaves das Mittel per Dekret Ende 2023 endlich verbot, versprühten die Landwirte monatelang weiter grosszügig das giftige Fungizid auf ihren Feldern.

Problem von vergiftetem Trinkwasser betrifft gesamte Region

Die Gemeinden Cipreses und Santa Rosa liegen in der landwirtschaftlich geprägten Region im Norden der Provinz Cartago, nahe der Hauptstadt San José, wo die Landwirte seit Jahrzehnten grosse Mengen an Chlorothalonil versprühten. An den fruchtbaren Hängen des Vulkans Irazú im zentralen Hochland Costa Ricas, wo Zehntausende Menschen leben, werden achtzig Prozent der nationalen Gemüseproduktion erzeugt, darunter Kartoffeln, Karotten, Zwiebeln und Kohl.

Niemand weiss, wie lange die Menschen in Cipreses und Santa Rosa bereits verseuchtes Wasser getrunken haben oder wie es sich auf ihre Gesundheit auswirkt. Niemand weiss, wie weit die Kontamination im Land verbreitet ist. Unklar ist auch, inwieweit das Wasser im Land noch kontaminiert ist, oder wie die Verunreinigungen aus den betroffenen Quellen entfernt werden können.

Obwohl Chlorothalonil eines der am häufigsten verwendeten Fungizide im Land war, wurden die Trinkwasserquellen von den Behörden nie systematisch daraufhin untersucht. Zudem verfügt das Land nicht über die technischen Mittel, um das Trinkwasser systematisch auf diese Verschmutzung hin zu untersuchten. Es sei zu erwarten, dass mit weiteren Laboranalysen immer mehr verseuchte Quellen in der gesamten Region zutage treten würden, denn die landwirtschaftliche Produktion und die Bodenbeschaffenheit seien überall gleich, erklärte José Sánchez, Vorsitzender der für die Wasserversorgung von Santa Rosa zuständigen Behörde, gegenüber Public Eye.

Wasser ist nur mit teuren Technologien zu reinigen

In der gesamten Region müssten viel mehr Analysen durchgeführt werden, erklärt Clemens Ruepert. Der Chemiker am Regionalen Institut für Studien über toxische Substanzen (Iret) der Nationalen Universität von Costa Rica hatte gemeinsam mit seinem Team die Kontamination des Wassers in Cipreses untersucht und nachgewiesen, nachdem Anwohner einen Verdacht geäussert hatten. Zudem sind die verfügbaren Technologien zur Entfernung dieser Schadstoffe aus dem Trinkwasser kaum erschwinglich.

Trotz des Verbotes von Chlorothalonil im Dezember 2023, ist die Gefahr für die Bevölkerung in Costa Rica noch nicht gebannt. Die Abbauprodukte von Chlorothalonil bleiben extrem lang im Wasser. Das bedeutet, dass die Quellen in der Region noch jahrelang verseucht bleiben.

Zu allem Überfluss entdeckten die Behörden später, dass die Quellen, aus denen das mit Camions nach Cipreses und Santa Rosa gelieferte Wasser stammt, ebenfalls mit Chlorothalonil kontaminiert sind.

Abbauprodukte von Chlorothalonil sind äusserst langlebig

Der Abbau von Chlorothalonil im Boden hängt von mehreren Faktoren ab und kann für die Gesundheit und Umwelt giftige Metaboliten erzeugen. So ist das Fungizid hochgiftig für Fische und wirbellose Wassertiere, vor allem dann, wenn es während der Regenperioden ausgebracht wird. Von der Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC) wird Chlorothalonil als «wahrscheinlich krebserregend» für den Menschen eingestuft. Zudem kann es sich auch auf die embryonale Entwicklung auswirken.

In der Schweiz wurde das Fungizid seit den 1970er Jahren in der Landwirtschaft eingesetzt. Obwohl Chlorothalonil in der EU, Grossbritannien und der Schweiz bereits seit 2019 verboten ist, wird es in der Schweiz noch heute an jeder dritten Messstelle nachgewiesen. Insgesamt treten fünf verschiedene Chlorothalonil-Metaboliten in Konzentrationen von mehr als 0,1 Mikrogramm pro Liter im Grundwasser auf. Besonders stark ist das Grundwasser mit Chlorothalonil R471811 belastet. Die Rückstände dieses Metabolits überschreiten im Schweizer Mittelland an mehr als 60 Prozent der Messstellen den Wert von 0,1 Mikrogramm pro Liter. Landesweit ist jede dritte Messstelle betroffen.

Laut aktueller Trinkwasserverordnung entsprechend EU-Vorgaben liegen die Grenzwerte bei Pflanzenschutzmitteln für die Einzelsubstanz bei 0,1 µg/l (0.0001mg = 0.1µg) und für die Summe aller nachgewiesenen Pestizide und Biozidprodukte bei 0,5 µg/l.

Giftiges Fungizid ist in Europa verboten

Trotz des Verbots in Europa verkauften europäische Unternehmen grosse Mengen Chlorothalonil in Costa Rica. Gemäss Zolldaten, die Unearthed (eine Greenpeace-Gruppe in Grossbritannien) und Public Eye gemeinsam analysierten, betrafen 26 Prozent der zwischen 2020 und 2022 in Costa Rica eingeführten Gesamtmenge an Chlorothalonil die Chlorothalonil-Produkte Daconil und Bravonil von Syngenta.

Auch andere europäische Unternehmen, darunter der deutsche BASF-Konzern, verkauften während des genannten Zeitraumes Produkte auf der Basis von Chlorothalonil nach Costa Rica. Einige Chlorothalonil-Produkte wurden sogar direkt aus der EU in Costa Rica eingeführt. Obwohl deren Verwendung auf den Feldern auch in Costa Rica seit 2019 verboten ist, exportierten Italien, Belgien, Dänemark und Grossbritannien das Pestizid in das lateinamerikanische Land.

Syngenta hält eigene Produkte für «sicher»

«Wir sind darüber informiert, dass Rückstände von Chlorothalonil in den Wassersystemen in Cipreses festgestellt wurden», erklärte ein BASF- Sprecher auf entsprechende Nachfrage. Man sei sehr besorgt über solche Berichte. Doch sei man davon überzeugt, dass die eigenen Produkte «sicher sind, wenn sie korrekt verwendet werden, indem die Anweisungen auf dem Etikett und die Sicherheitsrichtlinien befolgt werden». Und: «Als zusätzliche Sicherheit evaluieren wir freiwillig alle Produktanwendungen, die potenzielle Gesundheitsrisiken bergen, und heissen sie nur gut, wenn die Evaluationen die Sicherheit der Landwirte unter den lokalen Anwendungsbedingungen bestätigen.»

CropLife sieht Problem «in zu strengen Grenzwerten»

Crop-Life, eine Organisation, die die Interessen von Syngenta und anderen multinationalen Unternehmen der Branche vertritt, macht «übermässig strenge Grenzwerte» in Costa Rica für deren Überschreitung verantwortlich: «Entscheidend ist nicht, ob Pestizidrückstände in Lebensmitteln oder im Wasser nachgewiesen wurden oder nicht, sondern vielmehr, in welcher Menge sie auftreten.» Solange kein Grenzwert überschritten werde, bestehe kein Risiko für die Bevölkerung, vorausgesetzt, die Grenzwerte würden nach international anerkannten wissenschaftlichen Normen und Standards festgelegt, heisst es weiter.

Dies sei in Costa Rica nicht der Fall gewesen. Laut Crop-Life sei die Regelung vor Ort, die einen Grenzwert von 0,1 Mikrogramm pro Liter für jedes Pestizid im Trinkwasser definiert, «ohne jegliche technische oder wissenschaftliche Grundlage» festgelegt worden. Diese Argumentation erstaunt. Denn es handelt es sich um denselben Grenzwert, den die EU für Pestizidrückstände in Trinkwasser festlegt (siehe oben).


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

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