Kommentar
Solarexpress ausgebremst
«Express» sagt man, wenn es schnell gehen muss, und wenn ein Gesetz als «Solarexpress» bezeichnet wird, dann ist offensichtlich, dass da grosser Handlungsbedarf demonstriert werden sollte. Da ist zum einen der Klimawandel, zum andern der Öl- und Gaskrieg in der Ukraine: Die Dystopie eines drohenden Blackouts im Winter veranlasste die Räte im vergangenen Oktober im Eiltempo «dringliche Massnahmen zur kurzfristigen Erstellung einer sicheren Stromversorgung im Winter» zu beschliessen.
Der entscheidende Punkt dieser «Solaroffensive»: Sie soll den Weg freimachen für den Bau von grossen Photovoltaik-Anlagen in den Bergen. Im Unterland habe es im Winter zu viel Nebel, so lautete das Argument. Daher müsse man Solar-Grossprojekte oben in den Bergen bauen, wo ausserdem der Schnee die Sonnenstrahlen effizienter reflektiere. Im Wesentlichen geht es um Raumplanung: Das Gesetz soll die Beschränkungen für Bauten ausserhalb der Bauzonen kurzfristig aufheben. Es gilt zunächst einmal bis 2025. Wer es schafft, bis dahin Solarstrom aus den Bergen fliessen zu lassen, der bekommt Geld vom Steuerzahler.
Ein Wettlauf um Subventionen
Und zwar viel Geld. Für die Kosten von 100 bis 150 Millionen einer solchen Anlage sind Fördergelder von bis zu 60 Prozent der Investitionen vorgesehen, was nicht nur Energiekonzerne, sondern auch Baufirmen, Solartechnikunternehmen und alle Sorten von Investoren in Goldgräberstimmung versetzt hat. Die Axpo plant mehr als 4000 Solarprojekte bis 2030. Die Gemeinden ihrerseits hoffen auf den «Solar-Rappen», so wie sie früher beim Bau von Staudämmen mit dem Wasserzins rechneten. Der Walliser Ständerat Beat Rieder und der Hotelier und ehemalige SP-Präsident Peter Bodenmann kämpften mit Begeisterung für Installationen wie Grengiols-Solar, Gondo-Solar, Vispertal-Solar und andere Projekte im Wallis.
Aber bei zu viel «express» kann die Logik Schaden nehmen; Schnellschüsse aus der Hüfte treffen oft nicht das Ziel. «Solarexpress» hat sich bei näherer Betrachtung als vermintes Gelände erwiesen. Schon den Erläuterungen zum Gesetz ist zu entnehmen, dass die Gesetzgeber ahnten, dass die Sache ein Hindernislauf werden könnte. Landschaftsschutz soll einigermassen berücksichtigt werden, jede Anlage muss eine Mindestproduktion von Strom nachweisen. Die Kantone sollen beurteilen, ob die Projekte technisch und wirtschaftlich möglich oder aber «unverhältnismässig» sind. Das Gesetz soll nur so lange gelten, bis eine jährliche Gesamtproduktion von maximal zwei Terrawattstunden erreicht ist, und bei Ausserbetriebnahme muss vollständiger Rückbau gewährleistet sein.
Solarexpress polarisiert die Bevölkerung
Eines hat sich bereits unmittelbar nach Inkrafttreten des Gesetzes gezeigt: Solarexpress polarisiert die Bevölkerung. Die Vorstellung, dass ganze Bergrücken oder Alpweiden künftig mit Solarpanelen bedeckt sind, stösst in einem Volk, das gern bergwandert und ein bisschen den alten Hirtenmythen nachhängt, nicht auf Begeisterung. Hierzulande weiss ausserdem jeder Tourismus-Manager: Die Alpenlandschaften sind das Kapital der Schweiz. Wer sie verbaut und verschandelt, sägt den Ast ab, auf dem er sitzt.
Die Investoren wissen: Wenn es zu Einsprachen kommt, kann man die schnelle Umsetzung vergessen. Folglich wollte der Kanton Wallis mit einem Dekret die aufschiebende Wirkung von Einsprachen ausser Kraft setzen und die Zuständigkeiten nach oben an den Staatsrat verschieben.
Widerstand war vorauszusehen. So dauerte es nicht lange, bis die Walliser Grünen mit Unterstützung von Pro Natura, Mountain Wilderness und anderen Umweltorganisationen und lokalen Interessengemeinschaften das Referendum gegen das «Schnellbau-Dekret» ergriffen. Zum Entsetzen der Bürgerlichen und der SP Oberwallis, die Solarexpress puschten, bekam das Referendumskomitee auch noch Unterstützung von SP und SVP aus dem Unterwallis.
Die Landschaftsschützer machen geltend, dass es grober Unfug sei, die Alpenhänge mit Photovoltaik zu verbauen, wenn im Unterland genügend Industriezonen, Gebäudedächer, Autobahnen und andere Flächen für solche Anlagen bisher ungenutzt zur Verfügung stünden. Und wenn schon höhere Lagen bevorzugt würden, dann gebe es Staumauern, Lawinenverbauungen und andere Infrastruktur, die vorrangig zu prüfen seien. Statt sorgfältiger Planung finde derzeit ein «Wettlauf um Subventionen» statt.
Warum stehen die Grünen auf der Bremse?
Die Investoren werfen den Kritikern vor, sie verwickelten sich in Widersprüche und verrieten ihre eigenen Ideale. Haben nicht Linke und Grüne seit Jahrzehnten für erneuerbare Energie und Solartechnik geworben, um das Klima zu retten? Und nun wehren sie sich gegen grosse Solar-Projekte.
Aaron Heinzmann, Präsident der Grünen Oberwallis, sagte im Walliser Fernsehen «Canal 9», er wisse sehr wohl, dass der Strombedarf steigen werde. Die Grünen seien nicht grundsätzlich gegen Photovoltaik in den Bergen, aber gegen die Hast, mit der nun plötzlich gebaut werden soll: «Wir sagen: Haltet mal! Ihr müsst nicht auf Teufel komm raus überall Anlagen bauen, sondern überlegen: Wo macht es Sinn und wo nicht?»
Man müsse sorgfältig prüfen, welche Projekte sich ökonomisch und ökologisch rechnen. Es gelte zum Beispiel zu berücksichtigen, wie viel Treibhausgas-Emissionen beim Bau verursacht würden, ob Zufahrtstrassen gebaut werden müssten, welche Möglichkeiten zur Stromleitung vorhanden seien und wie teuer das Ganze werde. Der Bau eines Solarparks in den Bergen sei erheblich teurer als eine solartechnische Anlage im Unterland. Mit dem Geld der Steuerzahler, das für Megaprojekte in den Bergen ausgegeben würde, könne man unten im Tal möglicherweise viel mehr machen. Dort gebe es ein riesiges Potential für Solarenergie.
Heinzmann: «Wir sagen Ja zum Ausbau von Solarenergie, aber nicht auf Kosten der alpinen Wildnisgebiete. Es geht darum, die Biodiversität zu erhalten und unberührte Landschaften zu schützen.»
Es ist vermutlich nicht zuletzt dieses Argument, das für viele Walliser Stimmbürgerinnen und Stimmbürger den Ausschlag gegeben hat für die Ablehnung des Solar-Schnellzuges.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Der Autor ist Mitglied der Alpenschutzorganisation Mountain Wilderness.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Wie hier mit der fehlenden Akzeptanz umgegangen werden sollte, erstaunt. Akzeptanz erlangt man nicht mit einem Beschleunigungsgesetz, sondern nur mit mühsamer, aufwendiger Informations- und Überzeugungsarbeit. Dieser Umweg ist unumgänglich, auch wenn der energiewirtschaftliche Ansatz zweifelsohne richtig ist.
Es ist unglaublich, dass selbst nach 30 Jahren Lügen und Sabotage gegen die einheimische Energiegewinnung nun, selbst durch Grüne, aber hauptsächlich von Behörden via Gebäudeversicherungen, Bauvorschriften, Heimatschutz, Naturschutz etc. unser Land weiterhin die Sonnenenergfie verpuffen lassen soll. Sind die alle durch Oel-, Gas- oder Atomlobby geschmiert oder einfach blind…? Dennoch gilt weiterhin: «wer zu spät kommt, den bestraft das Leben» leider auch das der Vernünftigen…
Herzlichen Dank für diesen Artikel.
Wir von der Schweizerischen Vereinigung für Sonnenenergie SSES sehen das ähnlich – denn auch Anlagen auf bebauten Flächen ausserhalb der Alpen liefern ca. 30% Winterstrom. Siehe auch unser Positionspapier: https://www.sses.ch/wp-content/uploads/SSESPositionspapier_alpSolaranlagen_DE.pdf
Auch ist bisher nicht geregelt, wer den Strom dieser hoch geförderten Anlagen erhalten wird, und ohne diese Regelung hilft der Solarstrom bei einer Strommangellage unter Umständen nicht. Dies hängt damit zusammen, dass «bilanzieller» und «physikalischer zwei paar Schuhe sind und Strom, ähnlich wie Getreide, im Viertelstundentakt gehandelt wird. Wie das funktioniert, haben wir hier versucht zu beschreiben: https://www.gebaeudetechnik.ch/strom-energie/stromerzeugung/subventionierter-strom-muss-im-inland-bleiben/
Zu guter Letzt: der «vollständige Rückbau» ist nicht durch einen Fond abgesichert. Geht der Betreiber konkurs, bezahlt der Steuerzahler den Rückbau.
Ohne Subventionen hätten solche Projekte und andere komische Energiestrategien gar keine Chance. Fazit: keine unnötigen Geldumwälzungen auf Kosten der Steuerzahler.
Vielen Dank an die Stimmbevölkerung.
Auch wenn unsere Demokratie der Bevölkerung 0.1Prozent an allen politischen Entscheidungen übergibt, war diese Abstimmung für diese höchst undemokratische Gesetzgebung sehr wichtig.
Solarenergie ist die einzige grüne Energie solange das Grüne nicht kaputt gemacht wird.
Auf Hausdächern und an Fassaden hat es noch viel Platz für Fotovoltaik. Solche Anlagen können sehr gut gestaltet werden. Dezentralisierung und Verbrauchernähe ist ökonomisch und ökologisch bezüglicher grauer Energie von Vorteil; zudem kommen beim Bau kleinerer Anlagen eher lokale Unternehmer als grosse Baukonzerne zum Zug. Statt den Solarexpress ungebremst in die Wildnis rasen zu lassen und den Menschen mit hässlichen, quer in die Landschaft gestellten Anlagen die Freude an der Sonnenenergie zu vergällen, sollte rational und ohne Hektik über Standort und Gestaltung diskutiert werden.
Das war wohl eher ein Subventionsexpress als ein Solarexpress.