Sie nennen sich «Jedi» und haben einen irren Plan
Es ist ein Projekt, das sich in seinen Dimensionen schon fast biblisch anhört, genauso wie der Ort, an dem es geplant ist: Eine Gruppe Wissenschaftler hat vor, die Sinaihalbinsel zu begrünen. An Selbstbewusstsein und Vorstellungskraft fehlt es ihnen dabei nicht. Sie nennen sich die «Weather Makers» (Wettermacher), weil ihr Vorhaben das Wetter bis in die Türkei hinein ändern könnte.
«Alles, was man sich vorstellen kann, ist real», soll Picasso gesagt haben. Der Künstler hat es ein wenig anders gemeint. Sich auszumalen wie zehntausende Quadratkilometer heisse, trockene Wüste zu grünen Gärten werden, benötigt aber schon einige Vorstellungskraft.
Einst war der Sinai grün
Historische Daten belegen, dass das Vorhaben theoretisch möglich ist. Es gibt Hinweise darauf, dass der Sinai vor 4500 bis 8000 Jahren tatsächlich grün war. Höhlenmalereien zeigen Bäume und andere Pflanzen, auf Satellitenbildern finden sich Spuren ehemaliger Flüsse. Im 1500 Jahre alten Katharinenkloster gibt es Listen über die Holzernte.
Kopf und treibende Kraft der Gruppe ist der 40-jährige Wasserbauingenieur Ties van der Hoeven, ehemals Spezialist für Aushubarbeiten. Van der Hoeven, der unter anderem an der Entstehung der künstlichen Inseln vor Dubai beteiligt war, widmet sich seit 2008 umweltfreundlichen Techniken in seiner Profession. Das schreibt der «Guardian», der das Projekt vorstellt. Um sich gesammelt hat der Niederländer eine Handvoll Spezialisten mit Erfahrung in der Öko-Restaurierung, die er seine «Jedis» nennt.
Mit einer Lagune fing es an
Wie die meisten grossen Vorhaben fing auch dieses klein an. 2016 fragte die ägyptische Regierung bei van der Hoevens Arbeitgeber an, ob er sich um die Restaurierung des Bardawil-Sees kümmern könne. Der Bardawil-See ist eine Lagune an der Mittelmeerküste des Sinai, die im Laufe ihrer Geschichte immer wieder versandete und zum Salzsumpf wurde. Angeblich war dieser so tückisch, das ganze Heere darin verschwanden.
Einst 20 bis 40 Meter tief, hat der See derzeit nur noch einige Meter Tiefe. Kanäle zum Meer und das Ausbaggern des Sees würden ihn tiefer, kühler und weniger salzig machen, wovon der Fischbestand profitieren würde, fand van der Hoeven.
Aber warum war der See überhaupt so flach geworden? Van der Hoeven vergrub sich in geologische, meteorologische und biologische Unterlagen, sogar in religiöse Texte. Der Grund, weshalb die Halbinsel zur Wüste wurde, fand er, war sehr wahrscheinlich Überbewirtschaftung. Die Sinaihalbinsel war wärmer geworden, weil Vegetation fehlte. Sedimente aus den erodierenden Böden wurden in den Salzsee gespült. Die den See umgebenden Sumpfgebiete wurden trockengelegt.
2,5 Milliarden Kubikmeter Ursuppe
«Lake Bardawil», rechnete van der Hoeven aus, enthält 2,5 Milliarden Kubikmeter nährstoffreichen Schlick. Genau das richtige Material, um grosse Landflächen mit Nährstoffen zu versorgen. Für van der Hoeven ist er die Ursuppe für die Wiederherstellung des Sinai-Ökosystems. 2017 gründete er mit dem Ingenieur und Projektmanager Gijs Bosman und der Ökonomin Maddie Akkermans die «Weather Makers». Ihr Ziel: den Regen zurück in den Sinai zu bringen.
61’000 Quadratkilometer Wüste zu begrünen oder zumindest einen guten Teil davon, hört sich schon leicht wahnsinnig an oder zumindest fantastisch. Etwas Ähnliches ist jedoch schon einmal gelungen. Van der Hoevens erster «Jedi», der Filmemacher John Dennis Liu, machte ihn mit dem Lössplateau in China bekannt.
Das riesige Hochland im Nordwesten Chinas, einst fruchtbarer Teil des Landes, war Anfang der 1990er-Jahre durch Übernutzung zur Wüste geworden, in der kaum mehr etwas wuchs. Liu dokumentierte für einen niederländischen Sender den Beginn der Wiederherstellung.
Heute ist das Lössplateau eines der grössten und erfolgreichsten Öko-Restaurierungs-Projekte der Welt. Durch Terrassierung, sorgfältige Bepflanzung und Wassermanagement ist es nach jahrzehntelanger Aufbauarbeit wieder ergrünt. Liu arbeitet seither als Berater für Restaurierungs-Camps.
Der Plan
Was in China funktioniert, kann auch in Ägypten funktionieren, schliessen die «Weather Makers». Auf dem Lössplateau regnete es jedoch zumindest gelegentlich, und dann meist viel. Im Sinai gibt es kein Wasser – und wenn, dann ist es salzig.
Das stimme nur teilweise, Luftfeuchtigkeit gebe es genug, sagt van der Hoeven. Der heisse, trockene Sinai mit dem Gebirge in der Mitte pumpe wie ein Staubsauger unablässig feuchte Luft vom Mittelmeer zum Indischen Ozean.
Einst ist diese Feuchtigkeit als Regen niedergegangen. Das vermutet zumindest der Meteorologe Millán Millán, van der Hoevens zweiter Jedi. Millán, der in den 1990er-Jahren das Verschwinden der Sommerstürme an der spanischen Mittelmeerküste untersucht hat, erklärt es so: Zu der Luftfeuchtigkeit, die der Wind ins Landesinnere trägt, muss noch mehr Wasserdampf kommen, dann liegen die Wolken irgendwann tief genug, um abzuregnen.
Durch Überbauung und Vernichtung von Feuchtgebieten fehlt diese zusätzliche Feuchtigkeit nun. «Der Wasserdampf, der sich nicht über den Bergen niederschlägt, geht [in Spanien] zurück zum Mittelmeer … und dann geht er woanders hin: nach Mitteleuropa», sagt der Physiker im Ruhestand. Ein ähnliches Szenario befürchten Fachleute im Amazonasbecken: Vernichtet der Mensch zu viel Vegetation, könnten grosse Gebiete zur Savanne werden.
«Die Mondlandung wurde einst auch für unrealistisch gehalten»
Ties van der Hoeven
Die «Weather Makers» wollen diesen Prozess rückgängig machen, indem sie eine positive Feedback-Schleife anstossen, quasi das Gegenstück eines Klima-Kipppunktes. Der Plan könnte Jahrzehnte in Anspruch nehmen. Einen Beweis, dass er funktioniert, gibt es nicht.
Auch die Mondlandung sei unvorstellbar gewesen, bevor sie versucht wurde, sagt Ties van der Hoeven. Sein Plan sieht vor, die Berghänge zu begrünen und im Nordsinai wieder Feuchtflächen zu schaffen. Verdunstet in den küstennahen Gebieten genügend Wasser, wird es irgendwann an der Bergflanke wieder abregnen.
Nennenswert Regen gibt es auf der Sinaihalbinsel bisher nur in grösseren Abständen, was regelmässig zu Überschwemmungen führt. Gelegentlich fällt sogar Schnee. Eine Ägypten-Bloggerin hat hier die Regengüsse der letzten zehn Jahre aufgezeichnet. Sehr lang ist die Liste nicht.
Aber egal, wie viel Wasser zur Erde kommt, es gibt keine Vegetation, die es zurückhält. Wenn es sie gäbe, wäre auch weniger Wüste, sagt Millán. Im ersten Schritt will das Projektteam deshalb den Bardawil-See von Schlick befreien, im zweiten die Feuchtgebiete um den See restaurieren. So würde mehr Feuchtigkeit in die Luft gelangen.
Die Küste des Sinai ist bereits jetzt ein wichtiger Durchgangsort für Zugvögel. Feuchtgebiete würden mehr Vögel anlocken, was wiederum Fruchtbarkeit und Biodiversität fördern würde.
Nebelnetze und Mini-Kläranlagen
Weiter im Inland gäbe es dann aber noch immer kein Wasser und nur wenig fruchtbaren Boden. An dieser Stelle kommt van der Hoevens Ursuppe, der Schlick aus der Lagune, ins Spiel. Dieser ist feucht und nährstoffreich. Leider ist er ausserdem salzig.
Lösen will die Gruppe dieses Problem mit einem einfachen Aufbau, bestehend aus einem Gewächshaus und einer kleinen biologischen Kläranlage, genannt «Eco Machine» oder «Eco Oasis». Der fruchtbare Küstenschlamm soll ein kleines künstliches Ökosystem antreiben.
Die «Eco Machine» ist die Erfindung von Jedi Nummer drei, dem Meeresbiologen John Todd. Sie besteht aus mehreren grossen Wassergefässen, die, hintereinander angeordnet, verschiedene Lebewesen enthalten. Von simplen Bakterien und Algen über Kleinstlebewesen bis zu Fischen arbeiten sie nacheinander daran, das Wasser zu klären – eine Bio-Kläranlage mit mehreren Stufen.
«Im Prinzip ist das lebende Technologie», erklärt Todd, der das Prinzip bereits zur Reinigung von schwer verschmutzten Abwässern verwendet hat. Aus den Gefässen verdampft zudem Wasser, das an den Wänden des darüber angebrachten Gewächshauses kondensiert und dabei entsalzt wird. Es kann dann zum Bewässern von Pflanzen verwendet werden.
Die Realität bisher: eimerweise teurer Schlamm in Holland
Die Wirklichkeit besteht bisher in einigen Eimern sehr teurem, importiertem Bardawil-Schlamm in einem Folientunnel in Holland. «So sieht die Restaurierung eines Ökosystems im wahren Leben aus», witzelt Pieter van Hout, der die Versuchsanlage beim Hauptquartier der «Weather Makers» betreut, und zeigt auf einige Eimer.
An Plastikwänden des Tunnels kondensiert selbst bei kalten Wintertemperaturen Wasser, im warmen Sinai würde es wegen der höheren Temperaturen schneller gehen. Sechs durchsichtige Gefässe enthalten eher undefinierbar braunes Wasser. Die Farbe kommt von den Braunalgen, die den Nahrungskreislauf anstossen. Mit dem Original-Schlamm aus Ägypten testen die «Weather Makers», welche salztoleranten Organismen am besten damit zurechtkommen.
Todds Idee ist, viele solcher Gewächshaus-Kläranlagen aufzustellen und ihren Standort nach einiger Zeit zu ändern. Der Bardawil-Schlick soll 50 Kilometer in die Hügel der Sinai-Wüste gepumpt werden, von wo er durch ein Netzwerk von «Eco Machines» wieder nach unten läuft.
Eine Anlage soll so lange laufen, bis Pflanzen und Boden sich selbst erhalten können. «Die Eco Machines verbringen fünf Jahre an einem Ort und werden dann umgesiedelt, so dass diese kleinen Ökologien zurückbleiben», erklärt Todd. Zusätzliches Wasser wollen die «Weather Makers» mit Nebelnetzen ernten.
The big picture: die Sache mit dem Wind
Irgendwann, so der Plan, macht die neu aufgebaute Vegetation dann ihr eigenes Wetter. Wenn alles klappt, wird sich das Wetter für die ganze Region ändern, sagt van der Hoeven. «Region» meint: bis hinein in die Türkei.
Vor einigen tausend Jahren habe es schon einmal einen Klimaumschwung gegeben, hat er in historischen Unterlagen gefunden. Durch die zunehmend fehlende Vegetation habe sich die Sinai-Halbinsel aufgeheizt und so die Windrichtung umgekehrt. Mit kleinen Massstäben beschäftigen sich die «Weather Makers» nicht gerade …
In dieser Video-Präsentation für «United Designers» erklärt van der Hoeven ausführlich, wie er sich das vorstellt:
Die Ausführungen des Ingenieurs klingen zumindest plausibel. Ob es möglich ist, so das Klima zu verändern, kann niemand sagen. Versucht hat es noch niemand.
Andere Projekte, die sich mit Wiederaufforstung befassen, haben feststellen müssen, dass Bäume-Pflanzen nicht ganz so einfach ist, wie eingangs geplant. Die Woodland Initiative in Grossbritannien beispielsweise oder «Great Green Wall», das ein Bollwerk von 8000 Kilometern aus Bäumen pflanzen wollte, um die Ausdehnung der Sahel-Wüste einzudämmen. Nach der Hälfte der vorgesehenen Zeit hat das Projekt erst vier Prozent des Ziels erreicht.
Was, wenn Todds Mini-Ökosysteme sich nicht als überlebensfähig erweisen, die Technik streikt, der Regen niemals kommt? Möglich, dass die Mini-Kläranlagen dann lediglich einige sehr teure essbare Fische hervorbringen werden – und Erfahrungswerte für ähnliche Vorhaben. Oder dass es beim Restaurieren des Bardawil-Sees bleibt.
Die instabile politische Lage könnte helfen – oder das Projekt verhindern
Keiner der «Weather Makers» war bisher persönlich vor Ort – aus Sicherheitsgründen. Einstweilen arbeiten sie mit einem lokalen Partner. Das politische Klima im Nordsinai ist chronisch instabil, was das Projekt verhindern könnte. Bei terroristischen Anschlägen gab es in der Vergangenheit regelmässig Tote. Der Zugang zum Bardawil-See ist selbst für lokale Fischer auf wenige Monate im Jahr beschränkt.
Die politische Lage könnte das Vorhaben der «Weather Makers» aber auch fördern. Ein grüner Sinai würde die Lebensverhältnisse in der Region deutlich verbessern und die Gewalt so reduzieren, glaubt Ahmed Salem, Gründer der in Grossbritannien ansässigen Sinai Foundation for Human Rights. Der Vertrag über die Wiederherstellung des Bardawil-Sees steht laut dem «Guardian» kurz vor der Unterschrift. Für die weiteren Schritte hoffen die modernen Wettermacher auf Unterstützung grösserer Organisationen wie etwa der EU.
Die grösste Herausforderung sei ohnehin ein Mangel an Vorstellungskraft, glaubt Tim Christophersen, Leiter der Abteilung «Nature for Climate» beim UN-Umweltprogramm. Die Wiederherstellung von Ökosystemen sei nicht nur eine technische, sondern vor allem auch eine soziale Herausforderung.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine.
Natürlich braucht «so etwas» Jahre .-
Aber, wunderbar, diese Kombination von Realität und Wissen und Kreativität !
Ab das gesteckte Ziel komplett erreicht werden kann ?!
Wahrscheinlich kommt Einiges anders –
aber mit Sicherheit wird es neue –UND wertvolle– Erkenntnisse geben !
Alles Gute den «Machern» !
Wolfgang Gerlach, Ingenieur
Für mich ist klar, dass es auch praktisch funktioniert, wenn der politische Wille rundum sich davon anstecken lässt. Israel ist ja auch begrünt worden. Im kleineren Massstab haben wir auch die Projekte des Permakulturisten Sepp Holzer als gute Beispiele, welcher an dürren Orten zuerst die Umgebung terassierte und ein Wassersystem aufbaute – bei gleichzeitiger Bepflanzung mit Gebüsch, Bäumen und Begrünung durch Tiefwurzlern. Man kann seine funktionierenden Veränderungen von zuerst Mikro-Klima bis Media-Klima-Veränderungen an vielen Orten auf der Welt sehen. Mich wundert eher, dass dies erst jetzt von den Köpfen in die Realität übertragbar geplant wird. Eine Rückwanderung würde stattfinden – wahrscheinlich eher nicht durch die Flüchtlinge, weil denen die Einstellung zur Natur fehlt, aber wahrscheinlich durch gebildete Mittelständische, die hier vertrieben werden und dort eine neue Zukunft aufbauen mögen. Was ebenfalls als Pioniere genutzt werden könnte, ist die Earthship-Bewegung – ähnlich zu jener in Texanischen Wüste. https://www.youtube.com/watch?v=wVp5koAOu9M. Ich frage mich auch, weshalb die Behörden oder auch die Einwohner der kanarischen Inseln, den Verödungsschaden, den sie durch Übernutzung angestellt haben, nicht rückgängig machen mögen. Da wären zumindest die Besitzverhältnisse nicht so kompliziert. Also auf gehts, packen wir es an! Covid 19 und der Blödsinn, den Angela Merkel angeleihert hat, könnte diese Veränderung beschleunigen – natürlich nicht von Faulen
Als Positivbeispiel fällt mir noch die Great Green Wall in China ein, die vor Jahrzehnten an der Grenze zur Wüste Gobi gepflanzt wurde. Jetzt sind die Sandstürme in Peking signifikant zurück gegangen.
Um Ashgabad/Turkmenistan herum werden Trockenheit vertragende Sträucher als Grüngürtel gepflanzt.
So langfristige Projekte verdienen durchaus Unterstützung. Dauert halt etwas und wirft keine kommerzielle Rendite ab…
Zur Veranschaulichung des enormen Umfangs solcher Projekte sei dieser Film von John D. Liu empfohlen «Lessons of the Loess Plateau», die Seite zeigt noch weitere informative Links zum Problem der Wüstenbegrünung an.
500 Mio USD, u. a. von der Weltbank finanziert, waren vonnöten, und hätten nichts gebracht, wenn es nicht gegen anfängliche Widerstände gelungen wäre, die ortsansässige Bevölkerung vom Sinn des immensen Arbeitsaufwandes zu überzeugen. Hoffentlich beziehen die Sinai-Projektmacher die Bewohner mit ein, denn nur dann werden diese den Wald auch pfleglich behandeln.
Hier die Links zu den sehenswerten Dokumentationen:
https://www.youtube.com/watch?v=8QUSIJ80n50
https://www.youtube.com/watch?v=bLdNhZ6kAzo
https://www.youtube.com/watch?v=NQBeYffZ_SI
Und ich dachte, Jedis mögen keine Sandleute. Aber da hab ich wohl zu sehr generalisiert. 😉
Hoffe, aus dem Projekt wird was. Von Nebelnetzen habe ich bislang nur im Zusammenhang mit Regenwäldern gehört.