Neue Autos verbrennen 7 bis 8 Liter Benzin
Seit 2015 dürfen neu in Verkehr gesetzte Autos in der Schweiz nur noch 130 Gramm CO2 pro Kilometer Fahrt ausstossen; das entspricht 5,6 Liter Benzin pro hundert Kilometer Fahrt. Das schreibt das CO2-Gesetz vor, um die Klimaerwärmung zu bremsen. Damit übernahm die Schweiz die Vorschriften der EU.
Diese Norm haben die 320‘000 Autos, die 2016 in der Schweiz neu zugelassen wurden, im Schnitt nahezu erreicht. Das jedenfalls zeigt die Medienmitteilung, die das Bundesamt für Energie (BFE) gestern versandte unter dem Titel «Verbrauch bei Neuwagen lag 2016 bei 5,79 Liter pro 100 Kilometer». Denn die 5,79 Liter Benzinäquivalent/100 km (ermittelt aus Benzin-, Diesel- und wenigen Elektroautos) ergeben einem Mittelwert von 134 Gramm CO2/km.
Verbrauch 20 bis 40 Prozent höher
Was die Medienmitteilung des BFE verschweigt: Bei den 134 Gramm CO2 respektive 5,79 Liter Benzinäquivalent handelt es sich um die Mittelwerte, die gemäss «Neuem Europäischem Fahrzyklus» (datierend aus dem Jahr 1996), auf dem Prüfstand erreicht wurden. Doch die Ergebnisse dieser Labormessungen und der Verbrauch auf den Schweizer Strassen klaffen weit auseinander. In der Praxis verbrennen die 2016 neu zugelassenen Autos 20 bis 40 Prozent mehr, als das Gesetz auf dem Prüfstand erlaubt, also sieben bis acht Liter, gemessen in Benzineinheit.
Bei diesen sieben bis acht Litern handelt es sich um eine Schätzung, denn der wahre Spritverbrauch schwankt je nach Fahrzeugausstattung, Gewicht und Fahrweise. Doch diese Schätzung ist gut dokumentiert. Das zeigen folgende Ergebnisse:
● Der Touring Club der Schweiz (TCS) ermittelt jährlich die Differenz zwischen Prüfstand- und Praxisverbrauch bei den von ihm getesteten Autos (siehe auch «Das Märchen vom sparsamen Auto» auf Infosperber). Resultate: Die Schere zwischen Prüfstand und Praxis öffnet sich stark: Im Jahr 2000 betrug die Differenz erst 0,4 Liter, im Jahr 2014 bereits 1,5 Liter oder 25 Prozent. Demnach verbrauchen die 2014 neu zugelassenen Autos 7,6 Liter Benzinäquivalent/100 km. Pro Durchschnitts-Auto und Jahr resultierte damit ein Mehrverbrauch von über 200 Liter Treibstoff.
● Eine Untersuchung des International Councils on Clean Transportation (ICCT) verglich die Differenz zwischen Prüfstand- und Praxis nach Marken. Resultat der 2015 vom «Kassensturz» veröffentlichten Erhebung: Die Differenz schwankte zwischen 25 und 38 Prozent. Dabei fiel auf, dass die Unterschiede bei teuren Marken – und tendenziell grösseren Spritschluckern – wie Mercedes oder BMW grösser waren als bei Marken wie Toyota, Peugeot oder Renault, die billigere Autos mit durchschnittlich kleinerem Verbrauch produzieren.
● Christan Bach, Abteilungsleiter bei der Eidgenössischem Forschungsanstalt Empa, die sich seit Jahren mit Prüfstandmessungen beschäftigt, schätzt die Differenz zwischen Prüfstand- und Praxisverbrauch im Jahr 2015 auf rund 40 Prozent, Tendenz ebenfalls steigend. Dabei stützt er sich ebenfalls auf mehrere unabhängige Stichproben und Erhebungen.
Vielfach verfälschter Verbrauchstest
Damit fragt sich, wie die riesigen Differenzen zwischen gesetzlich relevanter Prüfung und klimarelevantem Praxisverbrauch zustande kommen. Die Hersteller schummeln, kritisieren die einen. Nein, entgegnen befragte Experten der Empa, die Hersteller optimieren bloss ihre Fahrzeuge für einen gesetzlichen Testzyklus, der mit der Realität immer weniger zu tun hat. Das geben mittlerweile auch Hersteller und Importeure von Personenwagen zu. So sind unter anderen folgende Laborbedingungen fern jeder automobilen Praxis:
– Die Autos auf dem Prüfstand fahren im Schnitt langsamer und beschleunigen gemächlicher als im realen Verkehr.
– Die Hersteller lassen jene Ausführung ihrer Modelle testen, die am wenigsten Gewicht auf den Messstand bringt. Diese nur selten verkauften Light-Modelle können mehrere hundert Kilo leichter sein als die am meisten verkaufte und mit vielen Extras ausgerüstete Version. Dabei gilt die Regel: Hundert Kilo Mehrgewicht erhöhen beim gleichen Motor den Spritverbrauch um acht Prozent. Das ist deshalb von Belang, weil das neue Durchschnittsauto immer schwerer wird; 2016 wog es bereits 1565 Kilogramm und beförderte im Schnitt 1,6 Personen. Die Verpackung ist damit zehn Mal schwerer als die beförderte Fracht.
– Die Durchschnittstemperatur im Prüflabor beträgt 20 Grad. Bei dieser optimalen Temperatur bleiben Heizung und Klimaanlagen mit dem Segen des Gesetzgebers beim Test ausgeschaltet, ebenso Bordcomputer, Radio und weitere energiefressende Installationen, die heute zum Standard der meisten Autos gehören.
– Die Hersteller optimieren ihre Motoreinstellungen für den Prüfzyklus, versehen die Autos mit dünnen Pneus, also kleinerem Rollwiderstand, etc.
Neue Testbedingungen bringen leichte Anpassung
Seit Jahren fordern Politikerinnen und Behörden im In- und Ausland eine Anpassung des 21 Jahre alten Testzyklus mit dem Kürzel NEFZ. Ab September 2017 soll dieser endlich eingeführt und ab 2019 gültig werden. Er nähert die Laborbedingungen den Verhältnissen im Strassenverkehr zwar etwas an, ohne aber den Praxisbetrieb mit eingeschalteten Klimaanlagen oder aufgeschnallten Velo- und Skiständern zu erreichen. Die Kluft zwischen Gesetzesnormen und praktischem Autoverkehr wird damit weiterhin bestehen bleiben. Und spätestens wenn es um die Einführung der – von der Schweiz via Energiegesetz beschlossenen – Verschärfung der CO2-Grenzwerte ab 2021 geht, wird die Kontroverse um den richtigen Testzyklus wieder aufflammen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine.
Für einmal sollten wir den Markt spielen lassen: Treibstoff besteuern und CO2 Obergrenzen für Autos werden überflüssig. So wird für den tatsächlichen Konsum gezahlt incl. Skiträger, Mountainbike oder Flagge nach dem Fussballspiel. Wer verschwendet, bitteschön — es wäre ja dank Steuern klimaneutral. Ausserdem könnten die Autosteuern und Motorfahrzeug-Versicherungen über die Benzinsteuer gezahlt werden, i.e. abgeschafft werden.
Der Preis fürs Fahren — wobei jede einzelne Fahrt etwas kostet — ist der beste Anreiz fürs Sparen.