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Martin Forter: «Unsere eigenen Analyse-Ergebnisse waren für Kanton und Lonza ziemlich peinlich» © zvg

«Es brauchte die Interventionen der Umweltverbände»

Tobias Tscherrig /  Lange verschleppten Lonza und der Kanton Wallis die Aufarbeitung der schweizweit grössten Quecksilberverschmutzung. Eine Bilanz.

Red.: Seit dem Grossbrand vom 1. November 1986 beim Chemiekonzern Sandoz in Schweizerhalle setzt sich Martin Forter mit der Umweltnutzung der Basler Chemie- und Pharmakonzerne BASF (ex.Ciba), Clariant, Novartis und Syngenta bzw. ihrer Vorgängerfirmen sowie Roche auseinander. Den Schwerpunkt seiner Arbeit als selbstständiger Geograf und Altlastenexperte bilden die Chemiemülldeponien dieser Konzerne in den drei Ländern der Region Basel (CH, F, D) sowie in der übrigen Schweiz. Martin Forter verfasste im Auftrag der öffentlichen Hand, von Privaten und von Umweltorganisationen zahlreiche Artikel, Bücher, Expertisen, Gutachten und Studien. Seit Juli 2011 ist er zudem als Geschäftsführer der Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz tätig.

Herr Forter, die Lonza Group AG hat der Walliser Bevölkerung während Jahrzehnten Umweltverschmutzung und Gesundheitsgefahren zugemutet. Seit mehreren Jahren sind die Aufräumarbeiten in Gang. Was ziehen Sie für ein Fazit?
Am Anfang haben die Lonza und der Kanton schlecht gearbeitet. Sie untersuchten zum Beispiel die Böden der Siedlungsgebiete so auf Quecksilber, dass die Ergebnisse nicht repräsentativ waren. Das hat sich geändert. Wir sind zufrieden, auch wenn wir es gerne gesehen hätten, wenn die Lonza freiwillig weitergegangen wäre und in den Gärten weniger Quecksilber zurücklassen würde. AefU und WWF sind für die vollständige Dekontamination eingetreten, damit konnten wir uns aber nicht durchsetzen.

In einem früheren Artikel sagten Sie, bei der Untersuchung des grössten Umweltskandals der Schweiz mache die Lonza AG bis jetzt nur das Minimum.
Diese Aussage gilt heute nicht mehr. Die Lonza hat ihr Auftreten und Verhalten geändert. Heute verlaufen etwa die Diskussionen in der Informations-Kommission sehr offen und direkt. Das war nicht immer so. Es brauchte allerdings die Interventionen der Umweltschutzverbände, bevor das möglich wurde.

Jahrelang bildeten AefU und WWF das Gegengewicht zu Lonza und Kanton. Sie korrigierten die Untersuchungsergebnisse mittels eigenen Quecksilber-Messungen mehrmals nach oben. Lonza und Kanton mussten jeweils nachziehen. Zudem verschwieg der Kanton das Quecksilbervorkommen während Jahren. Trotzdem sprechen Sie heute von einer guten Zusammenarbeit?
Sowohl bei Lonza als auch beim Kanton Wallis scheint ein Umdenken stattgefunden zu haben. Die Zusammenarbeit läuft nun in der Regel erfreulich und unsere Fragen werden meist beantwortet.

Woher dieses Umdenken?
Das müssen Sie die Lonza und den Kanton Wallis fragen.

Haben die Interventionen der Umweltschutzverbände zum Umdenken von Lonza und Kanton beigetragen?
Durch unsere eigenen Analysen gerieten der Kanton und die Lonza unter Druck. Wir ermittelten deutlich höhere Quecksilberbelastungen. Zudem haben wir Quecksilberverschmutzungen an Stellen in den Gärten gefunden, wo die Lonza gar nicht gesucht hat. Auch in Gärten, die Lonza als sauber bezeichnete, wiesen wir teils sehr hohe Konzentrationen des Schwermetalls nach. Deshalb kritisierten wir die Lonza und den Kanton während Jahren. Unsere Resultate waren für beide ziemlich peinlich.

Das heisst auch, dass die Umweltschutzverbände nicht nachlassen dürfen.
Wir müssen vorsichtig bleiben und schauen, dass die Lonza die Sanierung der Siedlungsgebiete und die Entsorgung des Quecksilbers gut durchführt und abschliesst. Das dauert noch.

Trotz dem Umdenken von Lonza und Kanton: Mit den Sanierungen der landwirtschaftlichen Böden sind die Umweltschutzverbände nicht zufrieden.
Nein. Lonza will erst ab einer Belastung von 20 Milligramm Quecksilber pro Kilogramm Boden (Hg/kg) sanieren. 20 Milligramm zurückzulassen ist zu viel. Dieser Grenzwert ist zu hoch. Wir fordern von Lonza, dass sie nicht nur oberflächlich, sondern richtig aufgeräumt.

Was sind die Gefahren, die bei Sanierungen entstehen, die erst bei 20 Milligramm Quecksilber pro Kilogramm Boden beginnen?
Auf den betroffenen Böden dürften unter anderem wahrscheinlich keine Kühe und Schafe mehr grasen. Denn es ist zum Beispiel unklar, ob das Quecksilber in den Pflanzen und nach dem Fressen im Magen der Tiere in hochgiftiges organisches Quecksilber umgewandelt wird.

Ab welcher Quecksilberkonzentration sollte im Landwirtschaftsgebiet aus Sicht von AefU und WWF aufgeräumt werden?
Lonza soll freiwillig ab einer Belastung von 6 mg Hg/kg sanieren, so dass danach vom giftigen Quecksilber höchstens noch 4 mg/kg im Boden verbleiben. Lonza muss den grossen Untersuchungsaufwand ohnehin leisten. Es ist ihr als Verursacherin zumutbar, dabei gleich eine Lösung zu realisieren, die dem Boden seinen Nutzwert zurückgibt. Mit ihren geplanten, halbbatzigen Aufräumarbeiten löst Lonza ihr Quecksilber-Problem im Landwirtschaftsgebiet nicht. Ein solches Vorgehen wäre sinnlos, würde Ressourcen verschleudern und doch bloss eine beschränkte Nutzung zulassen.

Dann gibt es noch die von Lonza betriebene Deponie «Gamsenried», die dringend saniert werden muss. Hier liegt zum Beispiel die Benzidin-Konzentrationen über dem Grenzwert.
Hierbei handelt es sich um eine grosse Deponie mit viel gefährlichem Inhalt. Wir fordern eine einmalige und sichere Sanierung, die das Problem definitiv löst. Alles andere macht keinen Sinn, weil es das Problem ‹Chemiemülldeponie Gamsenried› einfach auf unsere Kinder beziehungsweise auf zukünftige Generationen verschieben wüde. Aus der Deponie läuft seit Jahren Benzidin aus. Diese Substanz löst Blasenkrebs aus. Ihre Existenz in der Deponie zeigt, dass die Grundwasserbarierre der Lonza nicht dicht ist. Niemand weiss genau, welche anderen gefährlichen Substanzen noch in dieser Deponie lagern. Lonza hat schon viel Zeit verstreichen lassen. Jetzt muss das Problem ‹Gamsenried› endlich gelöst werden. AefU und WWF werden genau hinschauen, wie und was die Lonza machen will, um die Deponie endgültig zu beseitigen. Das ist ja die einzige Lösung, die das Problem tätsächlich aus der Welt schafft, wie sich zum Beispiel bei den Chemiemülldeponien Bonfol (JU) und Kölliken (AG) zeigte, die beide vollständig ausgegraben wurden.

Jahrzehntelanges Schweigen

Im Kanton Wallis brachte der Autobahnausbau im Jahr 2011 die schweizweit grösste Quecksilberverschmutzung ans Tageslicht. Obwohl die Walliser Industrie – allen voran die Lonza Group AG – bereits in einer Untersuchung von 1974 als Verursacher ermittelt wurde, verschwanden die unliebsamen Tatsachen in den Schubladen der Kantonsverwaltung.

Das schweizweit grösste Quecksilbervorkommen blieb zum Beispiel im kantonalen Altlastenkataster von 2007 unerwähnt. So auch im Abfallbewirtschaftungsplan aus dem Jahr 2008, der von Lonza mit ausgearbeitet wurde. Als der Kanton Wallis dann endlich tätig wurde und von Lonza eine technische Untersuchung verlangte, um die Quecksilberverschmutzung zu analysieren, brauchte es erst Analysen von Umweltschutzverbänden, um das tatsächliche Ausmass der Verschmutzung greifbar zu machen.

Erst nach den Interventionen von Umweltschutzverbänden, korrigierten Lonza und Kanton die ins Wasser geleitete Menge Quecksilber, die territoriale Ausweitung der Verschmutzung und die Höhe des Verschmutzungsgrads mehrmals deutlich nach oben. Dass die technische Untersuchung und das Sanierungskonzept zuerst von der BMG Engineering AG – und damit von einem Kind der chemischen Industrie – erstellt wurden, säte weitere Zweifel am transparenten Aufarbeitungs-Willen.

Neun Jahre nachdem die Quecksilberverschmutzung publik wurde, sind die Sanierungen noch nicht abgeschlossen.

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Der Journalist Frank Garbely hat auf Infosperber ausführlich über den Quecksilber-Skandal im Wallis berichtet:


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

Zum Infosperber-Dossier:

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2 Meinungen

  • cropped-CHRISTOPH_MG_9177-bearb.png
    am 25.06.2020 um 22:39 Uhr
    Permalink

    Danke dem infosperber für diesen Artikel und Herrn Forter für sein Engagement. Es wäre erfreulich, wenn im Kanton Freiburg auch ein Umdenken stattfinden würde und die mehr als 30 Tonnen PCB, die die lokale Kondensatorenfabrik in der Deponie «La Pila» am Saaneufer entsorgt hat, endlich umweltgerecht und vollständig entsorgt würden. Seit 16 Jahren ist das Desaster bekannt, jahrelang musste die Fischerei aufgrund der Kontamination im Gebiet verboten werden, die krebserregenden Substanzen haben sich zu einem grossen Teil längst im Schiffenensee abgelagert. Nach Kölliken und Bonfol wird der Fall «La Pila» vermutlich schweizweit zur drittteuersten Deponiensanierung avancieren.

  • am 26.06.2020 um 15:25 Uhr
    Permalink

    Die Parallelen zum Fluorkrieg im Wallis – Emissionen der Alusuisse in Chippis und Steg – sind schon besorgniserregend. Es dauerte Jahrzehnte, bis sich Walliser Obstbauern gegen die Fluoremissionen wirklich massiv zur Wehr setzten, in den 1970er- und 1980er-Jahren. Vorher wurde alles totgeschwiegen, obwohl der Fluorkrieg im aargauischen Fricktal der 1950er- und 1960er-Jahr längst gezeigt hatte, wie verheerend sich die Fluoremissionen in Land- und Forstwirtschaft auswirkten.
    Es ist immer wieder das gleiche Prinzip: Abstreiten, Zuwarten, Geringschätzen, Gutachten in Auftrag geben usw. bis es nicht mehr anders geht.

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