Ein Sieg für die Bienen
Ob Pestizide zugelassen oder verboten werden, entscheidet in der Europäischen Union die EU-Kommission, welche sich nach den Stellungnahmen des ständigen Ausschusses für Pflanzen, Tiere, Lebens- und Futtermittel (SCoPAFF) richtet. Auch Schweizer Behörden orientieren sich beim Zulassungsverfahren für Pestizide an diesen Einschätzungen.
Trotz seiner zentralen Rolle für die europäische und schweizerische Pestizidpolitik, war die Entscheidungsfindung innerhalb des SCoPAFF-Ausschusses bisher jedoch völlig intransparent: Die veröffentlichten Kurzprotokolle enthielten keine Details zu den Verhandlungen, und die Stimmen der Mitgliedstaaten und ihrer Positionen wurden geheim gehalten.
Die französische NGO Pollinis, die sich für die Artenvielfalt und gegen das Aussterben von Bienen einsetzt, fordert deshalb bereits seit mehreren Jahren Zugang zu den entsprechenden Dokumenten. Der Europäische Gerichtshof gab ihrem Begehren basierend auf dem Öffentlichkeitsprinzip auch bereits recht, die EU-Kommission klagte 2022 jedoch gegen dieses Urteil, und so blieb der SCoPAFF-Ausschuss als Blackbox bestehen.
Mit dem neuen Entscheid vom 16. Januar 2025 wies der Europäische Gerichtshof die Klage der EU-Kommission jedoch ab und bekräftigte damit das Öffentlichkeitsprinzip. Die EU-Kommission habe keinen Grund, den Zugang der NGOs zu den Dokumenten zu verweigern, die die Positionen der Mitgliedsstaaten offenlegen würden, hielt der Gerichtshof fest. Die Begründung: Der Entscheidungsprozess werde durch einen solchen Zugang nicht untergraben.
Starker Einfluss der Chemielobby
Im Jahr 2013 veröffentlichte die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) das sogenannte Bienen-Leitliniendokument, das im Wesentlichen neue Protokolle für die wissenschaftliche Bewertung der Risiken von Pestiziden für Bienen enthält.
Forscher kamen in verschiedenen Studien zum Schluss, dass die Bienenpopulationen rückläufig waren, genau wie die vieler anderer Insekten. Bis zum heutigen Tag wurde dieser Leitfaden jedoch nie offiziell von den Mitgliedsstaaten übernommen. Die Pestizidindustrie wehrte sich vehement, weil die EU bestimmte Neonicotinoide verbieten wollte, die nachweislich schädlich für Bienen sind.
Das Bienenleitliniendokument der EFSA wurde von der EU-Kommission und einigen Mitgliedstaaten schliesslich sogar durch die Einschätzungen der SCoPAFF-Experten verwässert – ein Beispiel für die wirksame Einflussnahme der Chemielobby auf europäische Behörden.
Die Intransparenz des SCoPAFF-Ausschusses ermöglichte es bisher den Mitgliedstaaten, sich der Rechenschaftspflicht gegenüber ihren Bürgern zu entziehen. Deshalb wurde die EU-Kommission bereits im Mai 2019 vom Europäischen Bürgerbeauftragten wegen “Missständen in der Verwaltungstätigkeit” gerügt.
Nachdem Pollinis im Anschluss an das erste Urteil vom Europäischen Gerichtshof 78 interne Dokumente erhalten hatte, konnte die NGO den privilegierten Zugang der Industrie zum SCoPAFF-Ausschuss sowie die geheimen Absprachen mehrerer Mitgliedsstaaten mit der Chemie-Industrie aufzeigen.
Aus den Dokumenten ging beispielsweise hervor, dass Vertreter der Chemieindustrie – anders als die meisten anderen Interessengruppen – direkten Zugang zu sämtlichen SCoPAFF-Mitgliedern hatte.
Auch gelang es der Pestizidlobby, die Unterstützung der SCoPAFF-Mitglieder zu gewinnen, um die offizielle Verabschiedung der EFSA-Leitlinien für Bienen von 2013 zu blockieren.
Die Politik mit der Hungerangst
Der Trick der Industrie ist ein Klassiker: Industrieverbände wie Crop Life Europe legten eine Folgenabschätzungen vor, in denen behauptet wurde, dass die Annahme der Bienenleitlinien die landwirtschaftliche Produktion in der EU zum Erliegen bringen würde und nicht mehr genug Nahrung für die Bürger vorhanden wäre. Es war genau die gleiche Art von Folgenabschätzung, die die Chemieindustrie als Lobby-Instrument nutzte, um das jüngste Pestizidreduktionsgesetz (SUR) zu blockieren.
Doch nun kann die EU-Kommission den Zugang zu Dokumenten, die die Beratungen der Mitgliedstaaten über die Regulierung von Pestiziden in Europa betreffen, nicht mehr ohne triftigen Grund verweigern.
Transparenz ist eine wesentliche Voraussetzung für die Demokratie; sie sollte die Rechenschaftspflicht der Entscheidungsträger gegenüber den europäischen Bürgern stärken und ihren Verstrickungen mit den Interessen der Chemieindustrie ein Ende setzen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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