Deepwater-Horizon

Rauchschwaden umgeben Einsatzkräfte, die im Golf von Mexiko in der Nähe des leckenden Macondo-Bohrlochs Öl auffangen und verbrennen. © cc-by Oscar Garcia

BP und Deepwater-Horizon: «Alles nur halb so schlimm»

Philippe Stalder /  Der Ölmulti finanzierte Studien, um die Auswirkungen des Öllecks auf das Meeresleben herunterzuspielen. Dies zeigen neue Dokumente.

Es handelte sich um eine Umweltkatastrophe biblischen Ausmasses, als die Bohrinsel Deepwater-Horizon im April 2010 im Golf von Mexiko explodierte. Über vier Millionen Barrel Öl strömten in der Folge in den Ozean, wo es die marine Lebenswelt verpestete und zum Tod unzähliger Meereslebewesen führte. Wie gross der Schaden tatsächlich war, konnte damals nur erahnt werden. 

Nach der Ölpest befassten sich zahlreiche wissenschaftliche Arbeitsgruppen mit der Frage, wie genau unterschiedliche Meereslebewesen wie Fische, Austern und Schildkröten auf das ausgetretene Öl reagierten. Wie interne Dokumente nun zeigen, gab BP – die Verursacherin der Katastrophe – dabei selbst akademische Studien in Auftrag, um die Auswirkungen der Ölkatastrophe auf die Meeresökosysteme herunterzuspielen und dadurch Erkenntnisse aus unabhängig finanzierten Studien in Frage zu stellen. 

Veröffentlicht wurden die sogenannten BP-Papers von der Downs-Law-Group, einer Rechtskanzlei aus Florida, die Bohrarbeiter von Ölplattformen in Arbeitsrechtsfragen vertritt. Gemäss der US-amerikanischen Rechtskanzlei zeigen diese Dokumente erstmals die verschiedenen Methoden auf, mit denen BP «wissenschaftliche Zweifel und Ungewissheit» in Bezug auf das Ausmass der Katastrophe sowie seiner Verantwortung daran streue. 

Zahlreiche E-Mails, Studien, Berichte und Aktennotizen von BP-Mitarbeiterinnen und Vertragspartnern würden zusammengenommen einen strategischen Spielplan ergeben, mit dem einzigen Ziel, kostspielige und dem Image schadende Rechtsstreitigkeiten zu verhindern und die Auswirkungen der Ölpest herunterzuspielen, so die Downs-Law-Group.

Die Rechtskanzlei gelangte an die Dokumente, da sie Arbeiter vertritt, die durch die Aufräumarbeiten der Ölkatastrophe Langzeitschäden erlitten haben und nun gegen BP klagen. Im Zuge dieses Rechtsstreits wurden die zunächst als vertraulich eingestuften internen Dokumente entsiegelt. Darin war Brisantes zu lesen.

Publikationstracker

BP führte eine Tabelle mit Studien, die das Unternehmen in wissenschaftliche Zeitschriften einbrachte, da sie für das Unternehmen im Hinblick auf die Ölpest von Nutzen waren. Der Tracker erfasste unter anderem, wie weit die einzelnen Studien im Publikationsprozess bereits fortgeschritten waren – beginnend mit «vom Autor eingereichtes Papier», über «rechtliche Überprüfung» und «zur Änderung an den Autor geschickt» bis hin zu «letzte BP-Genehmigung» und «bei Zeitschrift eingereicht». Als die Studien in wissenschaftlichen Fachzeitschriften publiziert wurden, fehlten jegliche Hinweise darauf, dass sie von BP rechtlich geprüft, bearbeitet und genehmigt wurden.

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«Back w/ author w/ Jean’s edits 1/13»: Auszug aus dem BP-Publikationstracker. Quelle: Downs-Law-Group

BP bezahlte Professor 48’000 US-Dollar im Monat

Am 1. Februar 2011 schickte Professor Ron Atlas von der University of Louisville BP per E-Mail eine Liste mit den geleisteten Arbeitsstunden, seine Reisebelege und seine Rechnung für Januar 2011. Atlas begann  am 1. September 2010 als Berater für BP zu arbeiten, um dem Konzern bei der Verteidigung gegen Klagen im Zusammenhang mit der Ölkatastrophe zu helfen. Die monatliche Zahlung von BP an Ron Atlas in der Höhe von 48’511 US-Dollar lag nur knapp unter  dem gesamten durchschnittlichen Jahreseinkommen eines US-amerikanischen Haushalts von 50’054 US-Dollar.   

48’511.50 US-Dollar Monatslohn: Auszug aus dem E-Mailverkehr zwischen Ronald Atlas und BP. Quelle: Downs-Law-Group

«Wo wurden diese Proben entnommen?»

Im Rahmen seiner Vorbereitung auf die Verteidigung in zukünftigen Rechtsfällen beauftragte BP das Beratungsunternehmen Exponent, Wasserproben an der US-amerikanischen Karibikküste zu sammeln. In einer E-Mail der BP-Managerin für Regulierungsangelegenheiten an Exponent, konnte die BP-Angestellte Bea Stong jedoch selbst kaum glauben, dass Exponent in den Proben keine Verunreinigung feststellen konnte.

So schrieb Stong: «Wurden diese Proben von der Oberfläche direkt hinter einer Beach-Tech oder einer ähnlichen mechanischen Siebmaschine entnommen? Ich frage deshalb, weil es sich bei dem, was ich vor Ort in Bon Secour beobachtet habe, eindeutig um Öl handelte.» 

Diese Nachricht weckt nicht nur grosse Bedenken hinsichtlich der angewandten Methodologie, sondern zeigt auch eindrücklich auf, dass einige BP-Mitarbeiterinnen selbst nicht glauben konnten, wie stark die Umweltschäden in den Studien heruntergespielt werden sollten.

«Bei dem, was ich vor Ort in Bon Secour beobachtet habe, handelte es sich eindeutig um Öl»: Auszug aus dem E-Mailverkehr zwischen Bea Stong und Exponent. Quelle: Downs-Law-Group

Die Dokumente zeigen ausserdem, dass BP akademische Studien in Auftrag gab, die im Widerspruch zu ähnlichen Studien stehen, die bereits von US-Behörden durchgeführt worden waren. Ermöglicht wurde dies durch einen rechtlichen Rahmen, der sich Natural-Resource-Damage-Assessment (NRDA) nennt. In diesem Rahmen arbeitete BP mit Bundesbehörden wie der National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) zusammen.

Ziel war es, die Kommunikation zwischen BP und den US-Behörden zu fördern und gleichzeitig langfristig Zeit und Geld zu sparen. So erklärte sich BP im Rahmen des NRDA im Oktober 2015 bereit, mindestens 8,7 Milliarden US-Dollar zu bezahlen, um die Behörden für die entstandenen Umweltschäden zu entschädigen und die Kosten für die Schadensbewertung zu decken. Offenbar sah BP darin die Gelegenheit, die Forschungslandschaft zu ihren Gunsten zu beeinflussen.

Einflussnahme der Industrie auf die Forschung

Dies ist leider keine Seltenheit. Auch viele Studien, die beispielsweise die Toxikologie von Pestiziden untersuchen, werden von den Herstellern selbst finanziert. Obwohl es sinnvoll ist, dass die Hersteller einen Teil der Kosten des Zulassungsverfahrens selbst tragen müssen, stellt die direkte Studienfinanzierung natürlich auch eine Einflussnahme der Industrie auf die Forschung dar. 

«Es ist nicht so, dass die Auftraggeber den Forschern die Resultate diktieren», erklärt David Kleijn von der niederländischen Wageningen-Universität auf Anfrage. Als Professor für Pflanzenökologie und Naturkonservation führt er selbst im Auftrag der Industrie toxikologische Studien durch. «Aber als Auftraggeber können sie das Design der Studie mitbestimmen. Und alleine dadurch, welche Aspekte überhaupt untersucht, oder eben nicht untersucht werden, oder wo genau ein Grenzwert festgelegt wird, können sie natürlich Einfluss auf die Resultate einer Studie nehmen.»

Oft gehe es den Firmen darum, den eigenen Profit zu verteidigen – und zwar auf Kosten der Umwelt, so Kleijn.

Ein Grossteil der von BP finanzierten Forschungsarbeiten kamen denn auch wenig überraschend zum Schluss, dass verwittertes Öl aus der Deepwater-Horizon-Katastrophe für Meereslebewesen «nicht besonders giftig» sei. Was im krassen Gegensatz zu den Ergebnissen vieler unabhängig finanzierter Studien steht. Für die Öffentlichkeit sind die unterschiedlichen Resultate jedoch nicht so einfach zu interpretieren, da die meisten von BP bezahlten Forscher ihre Interessenkonflikte nicht deklariert haben.


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2 Meinungen

  • am 11.10.2024 um 11:59 Uhr
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    Dies ist wieder ein abschreckendes Beispiel für Wissenschaftler, die sich gegenüber Großkonzernen und mächtigen Lobbygruppen prostituieren. Für ein Linsengericht verkaufen sie ihren Titel. Diesen Leuten müssen die zumindest die Venia Legendi und -falls vorhanden- sonstige akademische Titel aberkannt werden. Es kann und darf nicht sein, dass sie weiterhin publizieren, Vorträge oder gar Vorlesungen halten. Sie versauen mit ihrem widerwärtigen Verhalten das Image des gesamten Lehr- und Forschungsbetriebes ihrer ehrlichen, hart arbeitenden Kolleginnen und Kollegen.

  • am 13.10.2024 um 18:34 Uhr
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    Meines Wissens bewirkt Corexit nur, dass das Öl auf der Wasseroberfläche nicht mehr sichtbar ist (absinkt bzw. sich verteilt), Augenauswischerei.

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