US-Ölquellen: Aufräumen muss der Staat
Wenn eine Öl- oder Gasquelle ausser Betrieb geht, muss sie verschlossen werden. Geschieht das nicht, können giftige Chemikalien ins Grundwasser gelangen, das offene Bohrloch gibt dazu jahrelang Methan, CO2 und andere Gase in die Luft ab. Verantwortlich ist der Betreiber, dieser ist aber oft nicht mehr zu belangen.
Einigen US-Staaten könnte deshalb demnächst eine dicke Rechnung für 150 Jahre Ölboom ins Haus stehen. Im Bundesstaat Colorado zum Beispiel gibt es laut dem Think Tank «Carbon Tracker» fast 60’000 unverschlossene Bohrlöcher, deren Sanierung im Durchschnitt 140’000 Dollar kosten würde, berichtet das Magazin «Mother Jones» unter Bezug auf «High Country News». Kosten, für die eigentlich der Betreiber aufkommen müsste – falls es den Betreiber noch gibt.
Nur zwei Prozent bezahlt die Ölindustrie
Unternehmen müssen für solche Fälle zwar eine Sanierungskaution hinterlegen. Diese ist aber meist viel zu niedrig bemessen. Auf Colorado kommt eine Rechnung von sieben bis acht Milliarden Dollar zu, durch Kautionszahlungen abgedeckt sind bisher lediglich 185 Millionen Dollar.
Ein Bohrloch zu verschliessen, umfasst mehrere Schritte. Zunächst wird Beton in das Bohrloch gepumpt, um es zu blockieren. Alle technischen Anlagen werden abgebaut, inklusive Rohre und Verbindungen zu Tanks oder Pipelines. Anschliessend wird das verschlossene Bohrloch in der Nähe der Oberfläche nochmals abgetragen und abermals verschlossen. Zum Schluss muss der Bereich um die Anlage gereinigt werden.
Eine Rechnung, die nicht aufgeht
Die «Colorado Oil and Gas Conservation Commission» (COGCC), die Faktoren wie die Tiefe der Bohrung nicht wie «Carbon Tracker» mit einbezieht, geht davon aus, dass diese Prozedur pro Bohrloch 82’500 Dollar kostet. Für den Bundesstaat würde es sich auch so noch immer auf fünf Milliarden Dollar aufsummieren, alle bisher bekannten verwaisten Bohrungen zu schliessen.
Die gesetzlichen Regelungen der US-Staaten zur Höhe der Kaution sind unterschiedlich, kostendeckend sind sie fast nirgends. Die politisch stark umstrittenen Kautionszahlungen umfassen in Colorado teilweise nur wenige hundert Dollar pro Quelle.
Kleinere Unternehmen können die Kaution von 10’000 Dollar für eine Quelle vorab leisten, grössere mit mehr als 100 Bohrlöchern bezahlen eine pauschale Sanierungsgebühr von 100’000 US-Dollar. Dass diese Rechnung nicht aufgeht, ist auch dem mathematisch Unbegabtesten klar. Die Unternehmen zahlen nicht annähernd genug, um ihren Verpflichtungen nachzukommen.
Auch andere US-Staaten müssen aufräumen
Auf andere Bundesstaaten könnten noch höhere Kosten zukommen. Texas beispielsweise darf mit 117 Milliarden Dollar Sanierungskosten rechnen, führt «Carbon Tracker» auf. In den gesamten Vereinigten Staaten zählt «Carbon Tracker» 2,6 Millionen verwaiste Bohrlöcher. Der Think Tank, der von zahlreichen bekannten Stiftungen und Programmen wie Horizon 2020 der EU oder der Rockefeller Foundation gefördert wird, befasst sich vor allem mit den wirtschaftlichen Auswirkungen der Klimakrise.
«Carbon Tracker» geht davon aus, dass viele aufgegebene Bohrlöcher noch gar nicht bekannt sind. Schätzungsweise 1,2 Millionen Bohrungen sind demnach noch gar nicht dokumentiert. Ein Problem, das bereits bei der Lokalisierung von Methanquellen aufgefallen ist (Infosperber: «Nicht ganz dicht: Stillgelegte Bohrlöcher verlieren viel Methan»).
So oft verkaufen, bis keiner mehr belangt werden kann
Wird ein Bohrloch aufgegeben, muss der Staat etwas gegen die Umweltbelastung tun. Wenn der Eigentümer nicht bezahlen kann, wird die Quelle in ein Programm aufgenommen, in dem in Colorado derzeit 200 Quellen registriert sind. Viele mehr könnten folgen. Fast die Hälfte der Quellen im Staat produziert nur wenig, oft sind die Quellen am Ende ihrer Lebensdauer. Die Margen sind klein, sie wechseln oft den Besitzer.
«Eine häufige Taktik in der Öl- und Gasindustrie», sagt Clark Williams-Derry, Finanzanalyst des Institute for Energy Economics and Financial Analysis. «Verbindlichkeiten werden an immer schwächere Unternehmen weitergegeben, bis der letzte Eigentümer in Konkurs geht und keiner der vorherigen Eigentümer für die Sanierung aufkommen muss».
Eine andere Methode ist es, aufgegebene Quellen nur stillzulegen. Aus gut zehn Prozent der in Colorado registrierten Bohrlöcher wurde in den vergangenen zwei Jahren weder Öl noch Gas gefördert. 70 Prozent davon gehören nur zwei Unternehmen, Noble Energy Inc., das 2020 von Chevron gekauft wurde, und Kerr-McGee, eine Tochtergesellschaft von Occidental Petroleum.
Der Eigentümer muss in diesem Fall eine Kaution von zehn- bis zwanzigtausend Dollar hinterlegen. «In Colorado ist es eindeutig billiger, eine Quelle stillzulegen, als nachher aufzuräumen», sagt Williams-Derry.
Auch grössere Unternehmen stehlen sich davon
Dass grössere Unternehmen Bankrott gehen, kommt ebenfalls vor. 2019 liess ein Pleitier 90 «Bohrloch-Waisen» in Colorado zurück. Kaliforniens grösstes Ölbohrunternehmen, das im Sommer 2020 Insolvenz anmeldete, hinterliess Schulden in Milliardenhöhe und mehr als 17’000 nicht gestopfte Bohrlöcher.
Colorados Regierung arbeitet seit zwei Jahren daran, den tatsächlichen Beitrag der Ölindustrie an die Realität anzupassen. Weil die Anpassung so lange versäumt wurde, ist der Spielraum allerdings klein. 2020 erreichten die Ölpreise ein historisches Tief, was das Aus für weitere Unternehmen bedeutete. Dass sich die Lage in naher Zukunft bessert, ist unwahrscheinlich.
«Die Öffentlichkeit verliert, wenn die Kartoffel explodiert»
Eine deutliche Erhöhung der Verpflichtungen – in welcher Form auch immer – würde dazu führen, dass noch mehr Besitzer ihre Quellen fallenlassen, besonders kleine Unternehmen, die keine grossen Profite einfahren. Im Vergleich zu anderen Bundesstaaten würde sich das Investitionsklima im Ölstaat Colorado plötzlich verschlechtern.
«Es ist wie das Spiel mit der heissen Kartoffel», sagt Williams-Derry, «nur dass die Öffentlichkeit verliert, wenn die Kartoffel explodiert».
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine.
Nun ja, so ist das eben, wenn der Staat sich von den Konzernen am Nasenring durch die Manege führen lässt. Da braucht man nicht zu klagen. Das war ja alles vorher schon absehbar.
Das Problem ist wahrscheinlich, dass dieselben Leute, die die Entsorgung ihres Mülls auf die Allgemeinheit abladen auch die sind, die ihrem «Günstling» auf den Präsidentensessel verhelfen. Hier in D ist es ja nicht viel anders, Braunkohle, Atomenergie, Verseuchung durch die Landwirtschaft… All das darf am Ende der Steuerzahler finanzieren bzw. sich um die Entsorgung kümmern. Dafür gibt’s dann ein paar Mio. an Parteispenden, und damit ist das abgegolten.
Solange derjenige Präsident wird der das meiste Geld in den Ring wirft (dort noch mehr als hierzulande) wird sich das wohl auch nicht ändern.
@Paul Sommer schreibt:
«Nun ja, so ist das eben, wenn der Staat sich von den Konzernen am Nasenring durch die Manege führen lässt.»
Die Konzerne werden es danken respektive gerne zur Kenntnis nehmen … denn da richtet einer seinen Finger wieder brav in die falsche Richtung.
Wie wäre es mit dieser Umformulierung:
«Nun ja, so ist das eben, wenn der» (Stimm-/Wahl-)Bürger «sich von den Konzernen am Nasenring durch die Manege führen lässt» … und nicht erkennt, dass er da in das von den Konzernen vorgesummte Liedchen mit den Titel «unfähiger Staat» einstimmt.
Nein, es ist nicht «der Staat», sondern der Bürger, der sich von den Konzernen am Nasenring herumführen lässt … sogar so sehr, dass dieser sich unheimlich gross und stark fühlt, wenn er – wie von den Konzernen geheissen – brav und heftig in Richtung «Staat» muht … um dann, in seinem Frust, schön brav die von den «ach so schlauen/kompetenten» Unternehmern/Konzernen hochgejubelten/vorgeschobenen Leute ins Parlament/zum Gesetzgeber zu wählen.
«All das darf am Ende der Steuerzahler finanzieren bzw. sich um die Entsorgung kümmern.» Ja warum nicht? War es etwa nicht der Steuerzahler/Bürger der diese Leute gewählt und damit den Staat formiert hat? «Da braucht man [wahrlich] nicht zu klagen.»
Das mit der «militärischen Neuerschliessung von Ölfeldern auf fremdem Gebiet» erledigt ja auch der Staat für die Ölkonzerne.Sei es im Irak, Venezuela, Lybien, Syrien, oder sonstwo. Frage ist hier: Was machen die privaten Ölkonzerne noch, um ihren Reichtum zu halten? Ach ja, kaum etwas in ihr eigenes Geschäft investieren, und Leute entlassen. Vorzugsweise ins Militär.
Vielen Dank für diesen anregenden Artikel, der vermutlich in keinem anderen (deutschen) Medium erscheint: Dort wird man seit monaten mit Pandemie – und Kanzlerfragen-Artikel zugesch …!
Das Erdöl-Problem hat der Deutsche ja nicht: Benzin kommt aus der Tankstelle: Aber wir haben ja den Tagebau (wie auch der Steinkohle-Bergbau) mit seinen Langzeitschäden (Bergschäden) und natürlich die ‹Abfälle› der Schwerindustrie und Chemischen Industrie, die man ‹erstaunt› wiederentdeckt, wenn auf dem Gelände Wohnsiedlungen errichten möchte
Zurück zu den Bohrlöchern: Wenn jedes (Öl-)Unternehmen für seine ‹Abfälle› die adäquate Summe jährlich hätte zurücklegen müssen, würde heute keiner mit seiner Blechkiste preisgünstige durch die Welt rasen: Auch die von den GRUENEN geforderte 5 DM/Liter Benzin hätte nicht ausgereicht
Lieb Frau Gschwend: Weitermachen! (steht auf dem Grabstein Von Herbert Marcuse)
MfG :=)
Rainer Schulze (Rentner und ehem.Programmierer)
Danke für diesen interessanten Artikel!
Verantwortung zu übernehmen wir noch nie eine Stärke von Konzernen und schon gar nicht von solchen die sich im Rohstoffbereich tummeln.
Im Grunde aber leider lediglich eine Folge der konsequenten bewussten oder unbewussten Unterstützung und Förderung Neoliberaler Ideologien. Diejenigen die am ehesten nach Privatisierung schreien solange es Gewinne einzustreichen gilt, sind eigentlich auch immer die ersten die nach dem Staat schreien, wenn’s mal nicht so gut läuft.
Ich frage mich ernsthaft, wann die Menschheit wieder damit beginnt, Verantwortung zu übernehmen und sich der Konsequenzen der eigenen Handlungen bewusst zu werden. Und zwar nicht für den nächsten Quartalsabschluss oder Dividendenausschüttung, sondern die nächsten paar Generationen. Dieses perverse System beginnt seine Fratze in aller Hässlichkeit zu zeigen, niemand kann sich mehr davor verschliessen und das ist gut so. Keiner kann mehr sagen: „Hätte ich das gewusst!“ (Nichtwissen schützt vor Strafe nicht!)