Schweden: Willkommen in der grünen Wüste
Der Wald geht vor die Hunde. Nicht in Mitteleuropa, wo es in den vergangenen Jahren zu Dürren kam, auch nicht in Kalifornien oder im Amazonas. Sondern in einem der waldreichsten Länder der Welt. Schweden ist zu 70 Prozent von Wald bedeckt, das ist der zweithöchste Anteil unter den europäischen Ländern. Doch die Monokulturen der Waldwirtschaft bedrohen die Artenvielfalt, die Tierwelt und die einzige indigene Gemeinschaft Europas.
Jedes Jahr wird ein Prozent von Schwedens Wäldern gefällt. Seit 2000 wurde eine Fläche von der Grösse Dänemarks abgeholzt. Wo abgeholzt wurde, wird danach wieder gepflanzt. An die Stelle des alten, natürlich gewachsenen Waldes treten Monokulturen, die in 60 bis 80 Jahren wieder abgeerntet werden können. Seit den 1920er-Jahren hat sich das stehende Holzvolumen Schwedens verdoppelt. Über den Zustand des Waldes und die Biodiversität sagt das wenig aus.
Die letzten Urwälder Europas
Im nordischen Klima wachsen Bäume langsam und können ein hohes Alter erreichen. Kiefer und Fichte sind die dominierenden Baumarten Schwedens, viele Bäume sind über hundert Jahre alt. Der mit 9500 Jahren vermutlich älteste Baum der Welt steht ebenfalls in Schweden – die Fichte überlebt seit der letzten Eiszeit.
In Schweden stehen die letzten Urwälder Europas, von denen es insgesamt nur noch winzige Stückchen gibt, etwa in Gebirgen und in Osteuropa wie im polnischen Białowieża an der russischen Grenze.
Der Primärwald ist Heimat von zehntausenden Arten, doch durch die fortgesetzte Abholzung hat sich das Ökosystem stark verändert. Seit den 1950er-Jahren dominiert die moderne Holzwirtschaft. Aus dem Baumbestand wird Papier und Pellets für Heizungen, Totholz wird in Heizkraftwerken verbrannt. Die rote Liste wird länger.
Die Situation ist paradox: Es gibt mehr Wald in Schweden als noch vor einigen Jahrzehnten und Nachhaltigkeit wird gefördert. Dem Lebensraum Wald geht es dabei aber schlechter. Mit anderen Worten: Man kann Bäume pflanzen, aber keinen Wald.
Holzacker statt Urwald
Weniger als 10 Prozent der ursprünglichen Naturwälder seien noch übrig, sagt der Biologe und Naturschützer Sebastian Kirppu. Nur ein Bruchteil davon ist geschützt. Zwischen der Zerstörung der Regenwälder und der Vernichtung der alten nordischen Nadelwälder gebe es keinen grossen Unterschied, findet er.
Nur wenige Länder gingen mit ihren Wäldern so rücksichtslos um wie Schweden. Da helfe auch kein FSC-Label. Freunde macht sich Kirppu mit solchen Aussagen oft nicht. Holzwirtschaft ist einer der wichtigsten Industriezweige Schwedens, sie erwirtschaftet etwa vier Prozent des Bruttoinlandsprodukts. 2011 wurde der Biologe dennoch als «Umweltheld des Jahres» geehrt.
Mit dem Rentier stirbt die Gemeinschaft
Ältere Bäume sind ein Wirt für Flechten, die eine wichtige Nahrungsquelle für Rentiere darstellen. Vor allem in harten Wintern, wenn der Boden wegen des Schnees nicht erreichbar ist, sind die Tiere darauf angewiesen. Die Flechten, von denen ein Rentier acht Pfund (3,6 Kilogramm) am Tag verzehren kann, wachsen nicht einmal einen Millimeter pro Jahr. Die Fläche, auf der flechtenreiche Wälder wachsen, ist in den vergangenen 60 Jahren um 71 Prozent geschrumpft, fand eine Studie, die 2016 veröffentlicht wurde.
In Baumplantagen wachsen keine Flechten mehr. Auch der fortschreitende Klimawandel bedroht die Rentierherden. In der Polarregion erwärmt sich die Erde schneller als in gemässigten Klimazonen. Die Baumgrenze verschiebt sich nach oben, die Bäume wachsen schneller, der Winter setzt später ein.
Die Kälber würden in jedem Frühjahr dünner, erzählt Carl-Johan Utsi in einer Reportage der «FAZ». Als Hauptursache sieht er überfrierenden Regen. Eine dicke Eisschicht bedeckt immer öfter die Flechten am Boden, so dass die Rentiere keine Nahrung mehr finden. Jedes Jahr brechen mehr Tiere im schwächer werdenden Eis der Seen ein, die sie überqueren müssen, um von ihren Sommer- zu den Winterweiden zu gelangen. Der Wald bietet ihnen auf der Wanderung Schutz und Nahrung.
Die Gemeinschaft der Samen verändert sich
Carl-Johan Utsi ist Same. Rentiere sind Grundlage seiner Kultur, die sich über die Ländergrenzen von Schweden, Norwegen und Finnland erstreckt. Dass sich in einer Familie mehrere Nationalitäten finden, ist normal. Von der Rentierzucht lebt in der Gemeinschaft kaum noch jemand, doch die Herden sind seit Jahrtausenden ihr Bezugspunkt, der zunehmend verlorengeht. Selbst Millenials, die in den Städten Norwegens und Schwedens studieren, sind nur ein, zwei Generationen von den Vollzeithirten entfernt.
Im März schrieben 33 Unterzeichner, darunter beispielsweise «Fridays for Future Schweden», und 44 indigene Gemeinschaften an die Europäische Kommission und warnten: «Das schwedische Forstwirtschaftsmodell richtet Verwüstung an. Das Ökosystem des Waldes hat sich so dramatisch verändert, dass nicht einmal die Rentiere, die seit der Eiszeit auf diesen Flächen überleben, in der Landschaft leben können, die diese Art der Forstwirtschaft schafft.»
Oder wie es Jan-Erik Länta in einer sehenswerten Bildreportage im «Guardian» vor einer abgeholzten Fläche ausdrückt: «Vor wenigen Jahren war hier bestes Rentier-Habitat. Jetzt ist hier nichts mehr. Selbst wenn mein Sohn ein alter Mann wird, wird er nicht mehr erleben, wie es einmal war».
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Mich stört einerseits -sehr-, dass etwas -sehr- Positives (Waldfläche nimmt zu) verächtlich zur Seite geschoben wird.
UND dass andererseits die Folgen des weltweiten Klima-Wandels den Schweden «so ganz nebenbei» auch noch mit in die Schuhe geschoben werden.
Also halte ich diesen Artikel für eine sehr übles Fakten-Durcheinander-Geschüttel
mit der Haupt-Absicht,
anstatt seriös zu informieren ,
-in Form eines sorfältigen Abwägens von FÜR und WIDER-
«die Schweden» -im Zusammenhang mit deren Waldwirtschaft-
«schlecht zu reden »
Wolf Gerlach, Ingenieur
besten dank für den wertvollen beitrag!
bialowieza liegt an der weissrussischen grenze.
Hier werden lediglich einseitige Artikel zusammenfügt. Kahlschlagswirtschaft ist diskussionswürdig, aber die Forstwirtschaft damit zu verteufeln ist unangebracht. Genau wie in anderen Industriezweigen auch, gibt es nicht die eine „Holzindustrie“, und der Wald befindet sich im Besitz von vielen verschiedenen Eigentümern. Nutzung des Waldes resultiert nicht automatisch in dessen Zerstörung. Nutz und Schutz können Hand in Hand gehen. Es fehlt der Hinweis, dass nicht jeder Holzeinschlag in Großkahlschlägen resultiert, vor allem in Primärwäldern. Das es in Schweden ausschließlich «Urwälder» sind, die kontinuierlich abgeholzt und durch «Plantagen» ersetzt werden ist falsch, da die Umwandlung in Wirtschaftswälder mit unterschiedlicher Intensität in Nord- und Südschweden schon im Mittelalter begann. Was wir heute in den Wäldern vorfinden ist das Erbe von Generationen, die den Wald nach anderen Maßstäben bewirtschaftet haben. Viele Forstmänner/-frauen haben die kennen die Probleme und sind für moderne Ansprüche geschult, aber besonders in langsam wachsenden Waldökosystemen lassen sich Veränderungen nicht schnell umsetzen. Leider findet man keine Referenz zu Daten die belegen mit welcher Intensität Schweden die Naturwälder abholzen soll.
Dass das Land bei der «Zerstörung» seiner Wälder hervortritt ist übertrieben, wenn man bedenkt das die meisten europäischen Länder sich ihrer Primärwälder schon vor langer Zeit entledigt haben. Die Probleme der Samen sind übrigens weitaus komplexer.