Reduktion des Tierbestandes zur Rettung des Klimas
Red. Tobias Sennhauser ist Publizist und Präsident der Stiftung Tier im Fokus (TIF). Das Ziel von TIF ist die Abschaffung der Nutztierhaltung, weil es keine «artgerechten» Schlachthäuser gebe. Die Organisation hat schon mehrfach in Kampagnen auf Missstände in der Schweizer Massentierhaltung aufmerksam gemacht.
Im Jahr 2017 unterzeichnete die Schweiz das Pariser Klimaabkommen. Sie verpflichtete sich, ihre Treibhausgasemissionen bis 2030 um 50 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren, bis 2050 gar um bis zu 85 Prozent.
Um diese Ziele zu erreichen, mahnt eine Gruppe Forschender, braucht es auch die Landwirtschaft. Besonders die Tierindustrie sei gefragt: Wächst die globale Tierproduktion weiter wie bisher, verantwortet sie bis 2030 alleine 49 Prozent der budgetierten Treibhausgasemissionen. Die restlichen Sektoren könnten dies unmöglich kompensieren.
Deshalb fordern die Forschenden von den Industrienationen einen «Peak Lifestock»: Ab einem bestimmten Zeitpunkt soll die Zahl der Nutztiere schrumpfen. Von jeder einzelnen Spezies.
Zu viele Tiere in der Schweiz
Auf den ersten Blick scheint die Schweiz davon weit entfernt. Jahr für Jahr brechen die Schlachtzahlen alle Rekorde. Laut der Branchenorganisation Proviande stieg die Zahl der getöteten Tiere von 2010 mit 58 auf über 77 Millionen im Jahr 2019. Zwar sank die Zahl der geschlachteten Schweine im selben Zeitraum immerhin um 14 Prozent, die Schlachtungen der Masthühner stieg jedoch um 27 Prozent.
Unterdessen ist die Tierdichte in der Schweiz beispielhaft hoch, so Matthias Stolze et al. in ihrem Buch «Chancen der Landwirtschaft in den Alpenländern». Zum Vergleich: In Frankreich, Österreich oder Italien werden nur rund halb so viele Tiere pro Fläche gehalten wie in der Schweiz! Selbst in unserem nördlichen Nachbarn Deutschland, das für seine Massentierhaltung bekannt ist, ist die Tierdichte 30 Prozent tiefer als hierzulande.
Die vielen Tiere verpesten das Klima der kleinen Schweiz. Aus Platzgründen muss fast 60 Prozent des Kraftfutters aus dem Ausland importiert werden. Das bringt den Nährstoffkreislauf durcheinander, der überschüssige Stickstoff belastet Böden, Luft und Grundwasser. Kein Wunder, dass die Schweizer Landwirtschaft bisher keines ihrer Umweltziele erreichte. Das zeigte 2016 ein Bericht des Bundesrates.
Schuld daran sind die überhöhten Tierbestände, so eine Studie von Agrarforschung Schweiz aus dem Jahr 2018. Namentlich Kühe belasten das Klima sieben bis acht Mal mehr als Traktoren. Eine namhafte Reduktion der Treibhausgase könne unter anderem durch einen Konsumwandel erreicht werden: indem wir deutlich weniger Fleisch konsumieren würden.
Fleisch als Politikum
Seither wächst der Druck auf die Fleischlobby. Das Fleisch als Politikum wäre noch vor wenigen Jahren politischer Selbstmord gewesen, gewinnt spätestens seit der grünen Welle bei den Nationalratswahlen 2019 aber an Bedeutung.
Der Grünen-Nationalrat und Bio-Bauer Kilian Baumann fordert in einer Motion vom Bundesrat, «einen Massnahmenplan zur Reduzierung des Fleischkonsums zu erarbeiten und einen entsprechenden Absenkpfad zu definieren». Zudem soll der Bund eine Sensibilisierungskampagne lancieren, um die Bevölkerung über die ökologischen und gesundheitlichen Folgen eines übermässigen Fleischkonsums aufzuklären.
Auch fernab des Parlamentes wächst die Kritik an der Fleischlobby. Immer öfter werden Volksinitiativen zu Landwirtschaft und Ernährung lanciert. Im Juni 2021 kommt die Trinkwasserinitiative zur Abstimmung, die unter anderem nur noch jene Betriebe subventionieren will, die ausschliesslich Tiernahrung vom eigenen Hof einsetzen. Es gibt nur wenige Betriebe in der Schweiz, auch biologische nicht, welche dies heute erfüllen. Gleichzeitig wird das Stimmvolk über die Pestizid-Initiative und das CO2-Gesetz abstimmen. Es wartet also ein heisser Sommer auf die Fleischlobby.
Der Widerstand der NGOs
Parallel wächst der Widerstand aus der Zivilbevölkerung. Angesichts der Klimakrise engagieren sich unterdessen sämtliche grossen Umweltorganisationen für eine Agrarwende. WWF, Greenpeace, Pro Natura und BirdLife Schweiz lancierten 2020 eine schweizweite Plakatkampagne, auf denen etwa stand: «Agrarlobby stoppen – Damit unsere Nutztiere weniger Importfutter fressen». Über 36.000 Menschen unterzeichneten den dazugehörigen Appell für einen «Kurswechsel hin zu einer zukunftsfähigen Landwirtschaft».
Ihre politische Macht demonstrierte die Allianz aus Umwelt- und Tierschutzverbänden beim Referendum gegen das neue Jagdgesetz, das tierethisch als «Abschussgesetz» geframet wurde. Jürg Vollmer, Chefredaktor des Agrarmagazins «die grüne», warnte in einem Editorial, dass «Greenpeace, WWF, Pro Natura oder der Schweizer Tierschutz zusammen eine finanzstarke Lobby bilden, die für die Schweizer Landwirtschaft zum grossen Problem wird.»
«Fleisch ist nur noch Beilage»
Den Verbänden geht es längst nicht mehr nur um den Wolf, sondern auch um das Schaf. Alle Umweltorganisationen kritisieren heute den exzessiven Fleischkonsum, Greenpeace macht gar immer mehr auf vegan. In der Bevölkerung rennen die Umweltorganisationen damit offene Türen ein. Der Fleischkonsum ist seit 1990 um über 20 Prozent gesunken, und die vegane Bewegung boomt seit Jahren. Der Blick titelte bereits 2018: «Fleisch ist nur noch Beilage».
Unterdessen mundet der Gesellschaft die vegane Ernährung. Das zeigt sich etwa im Marketing, das bekanntlich positive Gefühle erzeugen soll: Die Grossverteiler locken gleich beim Eingang mit üppiger veganer Auswahl oder das Traditionsunternehmen Bernina wirbt ganz selbstverständlich mit «Nähe deine vegane Ledertasche». Die Medien berichten wohlwollend über hippe vegane Food-Start-ups in der Schweiz. Fleischigen Trends wie «Nose to tail» haftet dagegen ein rückständiges Image an.
Die Zukunft des Fleisches liegt nicht in der Vergangenheit. Im Dezember 2020 genehmigte Singapur als erstes Land weltweit den Verkauf von kultiviertem Fleisch. Das ist ein Meilenstein auf dem Weg zum Peak Lifestock. Die wachsende Bedeutung von kultiviertem Fleisch verfolgen auch Bell und Micarna, die beiden grössten Fleischverarbeiter in der Schweiz, die beide in die aufstrebende Technologie investieren. Kearney, eine der renommiertesten strategischen Beratungsfirmen überhaupt mit Büros in über 40 Ländern, prognostiziert kultiviertem Fleisch einen globalen Marktanteil von 35 Prozent bis 2040. Vegane Alternativen schaffen es auf weitere 25 Prozent, konventionellem Fleisch droht ein Nischendasein.
Immer mehr Pandemien
Und dann wäre da noch das Coronavirus. Die Pandemie, an der 2020 kaum ein Mensch auf der Erde ungeschoren vorbeikam, nahm ihren Anfang auf einem Fleischmarkt in China. Zwar diskutiert die Öffentlichkeit die Verbindung zwischen Fleischkonsum und Pandemien noch kaum, doch das soll sich künftig ändern.
Im Sommer 2020 warnte das UN-Umweltprogramm (UNEP) vor einer steigenden Zahl an Pandemien. Zu den Hauptgründen zählt das UNEP die global wachsende Nachfrage nach Tierprodukten und die dadurch geförderte Massentierhaltung. Mit anderen Worten: Der massenhafte Konsum von Fleisch, Milch und Eiern ist zur globalen Bedrohung geworden.
Die Warnung des UNEP kommt nicht von ungefähr: Neben dem Coronavirus grassieren weitere Tierseuchen, aktuell primär die Afrikanische Schweinepest (ASP) und die Vogelgrippe. Laut der Welttiergesundheitsorganisation bedroht die ASP 25 Prozent aller Schweine weltweit, und auch der Vogelgrippe fallen hunderttausende Tiere zum Opfer, zuletzt in Frankreich und Dänemark. Beide aktuellen Viren sind zwar für Menschen ungefährlich, doch mit der Vogelgrippe-Variante H5N1 infizierten sich bisher über 800 Leute, wovon über 500 starben.
Leider braucht es oft eine Krise, um grundsätzliche Veränderungen in Gang zu bringen. Gut möglich also, dass die Klimakrise oder eine Pandemie den Peak Lifestock erzwingen wird.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Red. Tobias Sennhauser ist Publizist und Präsident der Stiftung Tier im Fokus (TIF). Das Ziel von TIF ist die Abschaffung der Nutztierhaltung, weil es keine «artgerechten» Schlachthäuser gebe. Die Organisation hat schon mehrfach Kampagnen geführt und auf Missstände aufmerksam gemacht.
Es sollte endlich auch das Thema «zu viele Menschen» aufgenommen werden. Die Ressourcen sind nicht unendlich und jeder Mensch braucht nun mal ein paar Hundert Kalorien pro Tag und Fläche und…
Darum wird es nur – auch – mit einer Reduktion der Population gehen.
Wann sensibilisiert der Bund die Bevölkerung für die Tatsache, dass Schweinefleisch per se ungesund ist? Und seit Jahrzehnten ist bekannt, dass Masttierhaltung die Immunsysteme der Tiere merklich herabsetzt, die Seuchengefahr steigt und noch mehr Medizin inkl. Antibiotika eingesetzt wird.
In Asien entspringen regelmässig die Grippeviren: Besonders dort, wo Schweine, Geflügel und Menschen auf engstem Raume zusammenleben. Auch das spezielle Essverhalten der dortigen Bevölkerung reizt die Viren geradezu, die Artenbarriere zu überhüpfen. Nicht zum ersten Mal. Die UNO/WHO hätte es in der Hand, zu diesem Thema mal ein oder zwei klare Worte zu verlieren. Aber es geht ja kaum um die Volksgesundheit, sondern um die Bewirtschaftung der Volks-Ungesundheit. Und lieber schickt man die gesamte Menschheit wiederholt in Quarantäne, als die Ursachen beim Namen zu nennen. Unser globaler Quarantäneschaden ist somit geringerwertig als der Profit der Tierproduzenten oder die Meinung der Chinesischen Partei.
Die aktuelle Pandemie zeigt es wieder einmal deutlich: Die biblischen Speisevorschriften wären der Volksgesundheit am maximalsten dienlich: Fledermäuse, Gürteltiere, Garnelen, Schwein usf. erfüllen in der Natur wichtige Funktionen, sind aber nicht zum Verzehr geeignet. Lieber lacht man über die Bibel, als auch nur einen Millimeter nachzugeben und Menschenleben zu retten.
Veganes Leder besteht übrigens nicht selten aus giftigen Kunststoffen. Da muss man genau hinschauen, um das zu prüfen.