Oulu: Mit dem Velo übers Meer
Oulu ist ein unwirtlicher Ort. Die 200’000-Einwohner-Stadt liegt nur 170 Kilometer südlich des Polarkreises. Während fünf Monaten liegt Schnee. Von Anfang November bis Anfang April steigt die Temperatur kaum je über den Nullpunkt. Ende Dezember ist die Sonne über Mittag gerade mal während dreieinhalb Stunden zu sehen – wenn das Wetter schön ist.
Nur Basel und Bern halten mit
Und trotzdem ist Oulu eine Velostadt. 20 Prozent aller Wege legen die Leute im Jahresschnitt mit dem Velo zurück. Das ist ein Wert, den in der Schweiz gerade mal Basel und Bern erreichen. Alle anderen grossen Schweizer Städte liegen weit zurück. Zürich kommt auf 11 Prozent, Luzern auf 9, Genf auf 8, St. Gallen auf 7 und Lausanne auf 4.
Bemerkenswert: In Oulu beträgt der Anteil der Wege, welche die Leute auf dem Velo zurücklegen auch im Winter noch 12 Prozent. Rund die Hälfte aller Schülerinnen und Schüler fahren ganzjährig mit dem Velo zur Schule. Obwohl die Temperatur auch tagsüber bei minus 30 Grad liegen kann.
Nur Velofahrer im Schneepflug
Wie ist das möglich? Oulu verfügt über ein ausgesprochen dichtes Netz aus radialen und tangentialen Radwegen: 600 Kilometer auf Stadtgebiet, weitere 1000 Kilometer in der Agglomeration. Daher sind die Wege mit dem Velo deutlich kürzer als mit dem Auto.
Aber selbst das beste Radwegnetz wird nur dann benutzt, wenn es auch gut unterhalten wird. Den Winterdienst hat die Stadt an Private ausgelagert – allerdings verbunden mit strengen Regeln. So ist für jede Radweg-Kategorie festgelegt, wie schnell die Unterhaltsteams bei Schneefall reagieren müssen. Und vielleicht das Wichtigste: Die Schneepflug-Chauffeure müssen selber Velofahrer sein – auch im Winter. Denn so wissen sie am besten, worauf es wirklich ankommt.
Mit normalen Velos
Trotzdem schaffen es die Unterhaltsteams angesichts der widrigen Witterung nicht, die Radwege restlos zu räumen. Während fünf Monaten bleiben die Radwege daher schneebedeckt. Geräumt werden sie mit Schneepflügen, deren Klinge gezackt sein muss, damit keine glatte Fläche entsteht. Der Abstand zwischen den Zacken darf aber höchstens 20 Millimeter betragen. Denn sonst entstehen breite Rillen, die für schmale Velopneus wirken wie Tramschienen. Angesichts der guten Unterlage verzichten zwei Drittel der Velofahrer auf besonders breite Pneus und auf Spikes. Sie sind mit den gleichen Velos unterwegs wie im Sommer, und sie rüsten sie auch nicht auf.
Kein Salz
Sorgen um ihre Velos brauchen sich die Velofahrer nicht zu machen. Denn der Einsatz von Streusalz ist auf den Radwegen verboten. Im absoluten Notfall ist der Einsatz von Sand oder Splitt zulässig. Der Splitt muss aber so beschaffen sein, dass er weder den Pneus der Velos noch den Pfoten von Hunden und Katzen etwas anhaben kann. Aber meistens reicht es, wenn die Räumungsteams den festgefahrenen Schnee aufrauen. Und dann, berichten Velofahrer und Velofahrerinnen, rolle es fast besser als auf Asphalt, da Schlaglöcher und andere Belagsschäden zugedeckt seien.
Zeit für Details
Weil inzwischen alles recht gut klappt, ist in Oulu nun die Zeit für die Detailpflege angebrochen. Die aufgemalten Symbole auf den Rad- und den Fusswegen sind im Winter wegen des Schnees natürlich nicht zu sehen. Deshalb werden sie auf den Schnee projiziert. Das funktioniert gut, weil es in Oulu im Winter meist dunkel ist.
Auch bei der Signalisation ist Oulu innovativ: Neben einem Signal, welches die Autofahrer auf Fussgängerstreifen und Fussgängervortritt hinweist, gibt es neuerdings auch ein Signal für Veloüberfahrt und Velovortritt.
Sogar übers Meer
Die Stadt Oulu, die sich selbstbewusst als «Hauptstadt des Winter-Velofahrens» bezeichnet, liegt an einer Bucht. Auf der einen Seite befindet sich das Stadtzentrum, auf der anderen Seite der Flughafen. Mit dem Velo ist die Fahrt knapp 15 Kilometer lang. Zumindest im Sommer. Im Winter, wenn der Bottnische Meerbusen zugefroren ist, gibt es eine Abkürzung: den Radweg übers Meer. So lassen sich im Winter 3 Kilometer sparen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Oh, das tönt herrlich dort! Bei uns bin ich früher gerade im widrigsten Winter gerne Velo gefahren, da es dann weniger Autos hatte und Schnee kein Problem ist, wenn man aufpasst. Das einzige körperliche Problem sind für mich die Hände, es braucht wirklich Fäustlinge wie auf den Bildern dieses Artikels zu sehen.
In der Schweiz wird selbst in Wintersportgebieten (ausser «autofreien») praktisch nur noch «schwarz» geräumt, in der Regel mittels Salz oder Sole. Ich finde den salzigen Pflotsch furchtbar, da er die Velos angreift. Zwar ist die Strasse dann bald ganz frei, wenn es nicht weiter schneit, dafür enger, und die Autos fahren wieder schnell, so dass die Sicherheit vermutlich schlechter ist, als wenn man «weiss» räumen würde. Oh wie schön war der «reduzierte Winterdienst» vergangener Zeiten!
In den 70er Jahren hatten wir ein Automationsprojekt bei Outokumpu in der Nähe und wohnten in einem Hotel auf der schwedischen Seite der Mündung des Torneo-Flusses.
Am ersten Wintertag im November rauschte der 300m breite Strom am Morgen noch munter; als wir um Vier zurückkehrten, in der Dunkelheit, fuhren schon Hunderte von Einmann-Schlitten mit Lampen über die komplett gefrorene Mündung.
Da braucht es hier in der Schweiz noch sehr viel. Wenn ich an die Schneefälle in den letzten Tage Rückblende da wird nichts für die Velofahrer gemacht. Da wird sogar der aufgemalte Velostreifen auf den Strassen als Schneeablagefläche verwendet. Ein Velo Verständnis ist hier schlichtweg inexistent. Und obwohl es eine Abstimmung dazu gab.
Übrigens Oulu ist auch im Sommer sehr schön. War letzten Juni dort auf meiner Nordkap Velotour – konnte in der Bucht wunderbar schwimmen und Baden bei sehr angenehmen Temperaturen.