Ölkonzern vertreibt Bauern für CO2-Gutschriften
Pulchérie Amboula lebt im Süden des Kongos auf der Batéké-Hochebene. Dort baut die Kongolesin das Grundnahrungsmittel Maniok an. Wenn sie versucht, ihre Felder zu betreten, folgen seit einiger Zeit Männer in Pickups ihrem Traktor, bis sie wieder weg ist. Das Land in der hügeligen Savanne hat sie von ihrem Vater geerbt.
In der Nähe des Felds ist an einen kleinen Holzklotz ein laminiertes Schild geheftet, auf dem steht: «Ihr Feld befindet sich im Gebiet Forest Neutral Congo (FNC). Es ist identifiziert und vermessen worden».
Wo Amboula jetzt Maniok pflanzt, soll es in Zukunft Emissionsrechte regnen. Das «Gebiet Forest Neutral Congo» ist ein Baumpflanzungsprojekt. Hinter der gleichnamigen Firma FNC steht der Konzern Total. Seit das Unternehmen mit dem Projekt begonnen hat, wird das Land von Männern bewacht. Manche Bauern in der Region können ihre Felder gar nicht mehr betreten.
Total will auf ihren Feldern eine Akazienplantage anlegen und damit ein 40’000 Hektaren grosses Projekt zum CO2-Ausgleich verwirklichen. Über 20 Jahre würden die Bäume zehn Millionen Tonnen CO2 binden. Dafür gibt es Emissionsgutschriften oder Carbon Offsets, die der Konzern verkaufen oder mit denen er andere Vorhaben kompensieren kann.
Ein zweifelhafter Pachtvertrag
Amboulas Land gehört dabei weiterhin der Republik Kongo und damit dem kongolesischen Volk. Dessen Regierung hat es an FNC verpachtet. FNC ist eine Tochtergesellschaft des französischen Beratungsunternehmens Fôret Ressources Management (FRM) und bewirtschaftet das Land in einer Partnerschaft mit Total. Im Pachtvertrag sichert die kongolesische Regierung zu, die lokale Bevölkerung zu vertreiben oder umzusiedeln.
Dem Naturschutz diene die Pflanzung dabei nur am Rande, darauf wies «Mongabay» bereits im Januar 2022 hin. Die Akazienwälder würden in erster Linie gepflanzt, um schnellwachsendes Holz zu gewinnen. Bis in 20 Jahren soll das Projekt 160’000 Kubikmeter Holz im Jahr liefern.
Klärung der Landrechte ist kompliziert
Im Juni 2020 begann ein Konsultationsverfahren über Ausgleichszahlungen. Von Beginn an waren sie kompliziert. Wie in vielen anderen Ländern mit kleinbäuerlicher indigener Bevölkerung und kolonialer Vergangenheit sind Landrechte im Kongo eine verworrene Angelegenheit.
Einige Familien auf dem Plateau bewirtschaften ihr Land seit Generationen. Sie könnten es beim Staat registrieren lassen. In der Praxis passiert das selten, der Prozess ist für sie undurchschaubar und zu kompliziert. Die Ländereien werden oft in dörflicher Gemeinschaft verwaltet. Wer genau die Eigentümerschaft an bestimmten Äckern vertreten soll, ist oft unklar.
«Diese Leute», wie Amboula die Arbeiter von Total nennt, haben dennoch 2022 begonnen, die ersten Bäume zu pflanzen. Auf einigen ehemaligen Feldern stehen Akazien-Setzlinge in Reihen, berichtet das Greenpeace-Medium «Unearthed» in Zusammenarbeit mit «SourceMaterial».
Tatsachen geschaffen, bevor überhaupt jemand gefragt wurde
Den Begriff «Landraub» nennen beide Medien nicht. Es gebe jedoch Zweifel, dass die Konsultation jemals das Ziel hatte, einen fairen Ausgleich zu schaffen. Das zeige allein der Gang der Ereignisse:
- Im September 2020, knapp zwei Monate nach Beginn der Konsultationen, verabschiedete die kongolesische Regierung ein Gesetz, welches das Léfini-Reservat auf dem Batéké-Plateau zum «Privateigentum des Staates» erklärt. Die Ländereien, zu denen auch die zukünftige Plantage gehört wurden damit faktisch enteignet.
- Anfang November 2020 unterschrieb die Republik Kongo dann den Pachtvertrag mit FNC. Die Regierung verpflichtet sich darin, «alle angeblichen Landbesitzer, Inhaber traditioneller und gewohnheitsrechtlicher Rechte, die Anspruch auf das Land erheben würden, zu vertreiben».
- Ein ganzes Jahr später, im September und Oktober 2021, «verhandelte» die Regierung dann mit den Bewohnern. Einige unterschrieben Verträge, die eine nominelle Entschädigung vorsehen.
- Der Vertrag zwischen Kongo, der FNC und Total wurde im Januar 2022 rechtskräftig abgeschlossen. In dem vom kongolesischen Präsidenten unterzeichneten offiziellen Protokoll heisst es, dass Total das Projekt vollständig finanzieren wird.
- Total und FRM sind nach eigenen Angaben derzeit noch dabei, «sich ein Bild zu verschaffen». Damit wollen die Unternehmen im Laufe des Jahres 2023 fertig sein.
Unter den Einwohnern grassiert die Angst vor dem Verlust ihrer Lebensgrundlage. Total und FRM verweisen wolkig auf zukünftige «Employment Opportunities». Was die Bauern im Laufe des vergangenen Jahres hätten tun sollen, sage Total nicht. «Wovon sollen wir leben?», fragt Amboula.
Abgeschlossen ist in Tat und Wahrheit also nichts.
Es ist nicht einmal klar, wie viele Menschen betroffen sind. Nach der Umfrage einer zivilgesellschaftlichen Gruppe wird ihre Zahl auf etwa 160 Personen geschätzt, wahrscheinlich seien es mehr, sagt die Organisation. «Sky News» spricht von «schätzungsweise 400 Personen».
«Wovon sollen wir leben?»
Pulchérie Amboula, Landwirtin
Einige Familien bekamen bisher eine Entschädigung von einem Dollar pro Hektar. Das ist sehr wenig. Boden in der Gegend werde für etwa 16 Dollar pro Hektar verpachtet, schreibt «Unearthed» unter Bezug auf zwei lokale Quellen. Andere Betroffene erhielten gar keine Entschädigung.
Wie die Zahlungen an Repräsentanten innerhalb der Gemeinschaften verteilt wurden, ist unklar. Manche Ländereien wurden «mangels Repräsentanten» von einer für Ausgleichszahlungen verwendeten Liste der betroffenen Ländereien gestrichen. Ein Bauer sagte «SourceMaterial», sein Land sei nie in die Liste aufgenommen worden.
Neblige Pläne zur CO2-Kompensation
Mindestens ein halbes Dutzend Bauern, die «SourceMaterial» in jüngster Zeit befragt hat, wurden daran gehindert, zur Landarbeit auf ihre Felder zu gehen. Einige erklären, sie seien nicht informiert worden und hätten auch kein Geld erhalten.
Brice Mackosso, Koordinator der Kommission für Gerechtigkeit und Frieden, einer der katholischen Kirche nahestehenden Organisation, hält das Vorgehen des Ölkonzerns für einen Verstoss gegen die Menschenrechte. «Sie [Total, FRM] können sich nicht hinter der Schwäche des kongolesischen Gesetzes und dem Versäumnis der Regierung verstecken», erklärte er gegenüber «SourceMaterial» und «Unearthed».
Auch die Carbon Credits, die sich Total ausrechnet, halten einer vertieften Prüfung nicht stand. Die CO2-Währung, die in 20 Jahren fällig wird, wenn die Akazien ausgewachsen sind, soll über Verra gehandelt werden. Verra ist der grösste Carbon-Credit-Händler der Welt.
Auf Nachfrage von «Unearthed» sagt Verra, dass noch keine Überprüfung des Akazien-Projekts von Total stattgefunden habe. Deshalb könne man auch keine Auskünfte geben, sagte ein Sprecher. Projekte für Emissionsgutschriften ohne umfassende öffentliche Konsultationen oder gegen den Willen der örtlichen Gemeinden könnten nach den Regeln von Verra jedoch nicht zugelassen werden.
Der Review-Prozess von Verra sieht vor, dass die örtliche Bevölkerung ausführlich befragt wird. Nicht ganz ohne Grund: Landnutzungskonflikte seien ein systemisches Problem bei der Vergabe von Emissionsgutschriften, bestätigt die Biologin Jutta Kill, die das World Rainforest Movement berät, gegenüber «Unearthed».
Die Prüfer von Verra sollten besser genau hinsehen, findet «Mongabay». Eine andere Akazienplantage von FRM im Verra-Register, die sich ein paar hundert Kilometer weiter südlich befindet, produziert lediglich Holzkohle, kein Holz. Nach den Dokumenten bei Verra soll sie in 33 Jahren aber 800’000 Tonnen Kohlenstoff binden.
Was Total mit der einen Hand zu geben vorgibt, werde es mit der anderen nehmen, schreibt «Mongabay». Während sich der französische Konzern auf dem Batéké-Plateau für sein Umweltengagement feiert, plant er in einem Moorgebiet im Norden der Republik Kongo nach Öl zu bohren. Auf den Mokelé-Mbembé-Blocks wächst bisher Regenwald. Die Gegend gilt als unberührt, besonders wertvoll für die Klimabilanz und ist von Pygmäenvölkern besiedelt.
Amboula jedenfalls hat eine dezidierte Meinung zu den Aktivitäten von Total: «Die Bäume dort drüben sind zu ihrem Nutzen, nicht zu unserem», sagt sie. «Sie sollen uns unseren Platz zurückgeben und weggehen, weit weg von den Dörfern, damit wir unsere Felder bestellen können. Wir haben kein Interesse an ihrem Geld.»
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Das die grossen Unternehmen skrupellos sind, ist hinreichend bekannt. Nachdem aber die Debatte um Niedriglohn-Arbeiten und überhaupt die Ausbeutung von Menschen, gerade und auch in Afrika, immer mehr in den Fokus drängt, ist das schon recht dreist was die sich da leisten.
Aber was kann man schon anderes in dieser Welt erwarten, tröstlich wenigstens das die nichts schürfen oder fördern und die Umwelt noch mehr belasten.
Wenn auch wenig hilfreich….
Danke für diese Recherche. Sie reiht sich ein in eine endlose Kette von ähnlichen Berichten über das leidige Kompensations- und Klimaneutralitätsthema. Wo immer man/frau unter das Feigenblatt schaut: fast überall wird sichtbar, nicht nur wie fragwürdig der Mechanismus an sich ist, sondern besonders auch seine Umsetzung. Ich erinnere mich z.B. an ein Experiment der ZEIT im November oder Dezember letzten Jahres, bei der herauskam, dass 5 namhafte Zertifikatsvergabe-Firmen in Deutschland serienweise Selbstdeklarationen der Unternehmen, welche sich Klimaneutralität auf die Fahnen schreiben wollten, völlig ungeprüft übernahmen. Für diese Arbeitsverweigerung verrechneten sie dann hohe Bearbeitungsgebühren und definierten nötige Kompensationszahlungen (wobei die (Nicht)Prüfungskosten die Kompensationszahlungen um etwa das Neunfache überstiegen). Mein Fazit: wirklich klimaneutral ist nach wie vor nur Konsumreduktion oder -verzicht.
Apropos CO2. Warum werden so wenig Wärmepumpen Systeme eingesetzt? Die heutigen Systeme haben einen Faktor von 1 zu 4 oder noch besser 1 zu 6. Das heisst, mann pumpt Wärme von draußen mit wenig Energieverbrauch in die Wohnung. Alles was über dem absoluten Nullpunkt von -273 Grad ist, enthält Wärme. So kann man mit 1 Kwh 4 bis 6 Kw Wärme in eine Wohnung pumpen. Draussen wird es kälter, drinnen wird es wärmer. Zudem kann man, falls zuviel Wärme entsteht, mit Stirling Systemen von den gewonnenen 3 bis 4 Kwh einen Teil verstromen. Die heutigen Systeme haben einen verstromungs Wirkungsgrad von bis zu 80%. Ein Beispiel wäre, mit 3 kwh Wärmepumpe 15 kwh Wärme zu erzeugen und davon mit 3 kwh 1 bis 2 kwh Strom zu erzeugen. Damit ließe sich ein Einfamilienhaus heizen, plus 1 mind. 2 kwh Strom erzeugen, und draussen würde das Klima gekühlt, bei minimalsten Emissionen. Schon Greenpeace hatte 1999 diese Technologie in einer Ausstellung präsentiert. Studien vorhanden.
Das Recht auf exlusiven Grundbesitz ist in westlichen Staaten mit Einträgen im Grundbuch gesichert. In vielen ehemaligen Kolonien gibt es keine solche individuelle Besitzzuordnung.
In Burundi hatten wir das Problem, dass das Land grundsätzlich dem «König», d.h. dem Staat gehört,
eine Parzelle Land also nicht als Sicherheit für einen kommerziellen Kredit dienen konnte.
Das Gewohnheitsrecht stellte aber sicher, dass Leute, welche eine Parzelle bearbeiteten, die erwartete Ernte auch einbringen konnten. Selbst das Haus in dem ich mehrere Jahre wohnte, konnte erst ein Jahr nach der rechtliche Zuteilung gebaut werden, weil lokale Familien die Parzelle mit Bohnen bepflanzt hatten, bevor die CH-Leute ihren Anspruch auf die Parzelle durch entsprechende Zäune gesichert hatten.
In vielen Ländern profitieren «Geier» vom Fehlen von «Katastereinträgen». Der Kongo ist keine Ausnahme.
Nicht alle Regierungen in Afrika respektieren das Gewohnheitsrecht, wie das damals in Burundi üblich war.