Morges_Ecublens

Hier kam es zum tödlichen Unfall auf dem Pannenstreifen: A1 zwischen Ecublens und Morges-Ost. © Astra

Nach dem Autobahn-Nein: Der Pannenstreifen als Lösung?

Marco Diener /  Nach dem Unfall am Genfersee wachsen die Zweifel: Die Umnutzung der Pannenstreifen als dritte Spur ist wohl keine kluge Idee.

Samstag Abend, 20.20 Uhr, auf der A1 Richtung Genf: Zwischen Ecublens und Morges-Ost steht ein Auto auf dem Pannenstreifen. Kurz darauf kracht ein zweites Auto in das stehende. Die Fahrerin des stehenden Autos stirbt, der Unfallverursacher bleibt unverletzt.

Das Besondere an dieser Strecke am Genfersee: Zeitweise dürfen Autofahrer den Pannenstreifen als dritte Spur benützen. Dann nämlich, wenn es viel Verkehr hat und ein Lichtsignal den Pannenstreifen freigibt.

Zum Unfallzeitpunkt war der Pannenstreifen seit einer knappen Stunde gesperrt. Doch manche Autofahrer haben sich bereits so sehr an den freigegebenen Pannenstreifen gewöhnt, dass sie ihn auch dann benützen, wenn er gesperrt ist. Und das ist sehr gefährlich, wie der Unfall vom Samstag Abend zeigt.

Erstaunlich ist deshalb, wie sehr das Bundesamt für Strassen (Astra) die Umnutzung der Pannenstreifen forciert. Es gibt sie bereits:

  • Auf der A1 zwischen Winterthur-Ohringen und Oberwinterthur.
  • Zwischen Winterthur-Töss und Wülflingen.
  • Zwischen Villars-Ste-Croix und Cossonay.
  • Zwischen Morges-Ost und der Verzweigung Ecublens.
  • Auf der A2 zwischen Liestal und der Verzweigung Augst.
  • Auf der A3 zwischen der Verzweigung Augst und Rheinfelden.
  • Auf der A6 zwischen Muri und Bern-Wankdorf.

Auf weiteren neun Autobahn-Abschnitten ist die Pannenstreifen-Umnutzung laut Astra «in Planung». Und auf deren sechs «in Prüfung».

Nach dem Volks-Nein zum Ausbau von sechs Autobahn-Abschnitten im November bekam die Idee der Pannenstreifen-Umnutzung sogar noch Aufwind – selbst in linken Kreisen. Gegenüber dem «Blick» sagte der Waadtländer SP-Ständerat Pierre-Yves Maillard nach der Abstimmung: «Die Bevölkerung will nicht einfach mehr Beton.»

Maillard schlug vor, die Pannenstreifen könnten als zusätzliche Spur genutzt werden, wenn der Verkehr besonders dicht sei. Maillard: «Diese Lösung ist effizient und nicht so teuer. Es ist eine wirksame Massnahme, die wir generell bei den Engpässen im Land anwenden könnten.» Sie habe sich zwischen Ecublens und Morges bewährt. Ausgerechnet zwischen Ecublens und Morges!

Nicht nur Maillard betrachtet den Pannenstreifen als Lösung. Der Solothurner SVP-Nationalrat Christian Imark reichte letzte Woche einen Vorstoss ein, mit dem er verlangt, dass Pannenstreifen-Umnutzungen «in einem vereinfachten Verfahren abgewickelt werden können». Die Umnutzungen seien «ohne grosse bauliche Massnahmen» möglich.

Grosse Bauarbeiten

Diesbezüglich täuscht sich Imark allerdings. Eine normale Autobahnspur ist 3,70 bis 3,80 Meter breit, ein Pannenstreifen häufig bloss 2,50 Meter. Für die Verbreiterung braucht es umfangreiche Bauarbeiten – vor allem auch, weil die Pannenstreifen nicht einfach eine Asphaltfläche sind. Eingebaut sind auch Kabelkanäle, Werkleitungen und die Strassenentwässerung mit all den dazugehörigen Schächten und Schachtabdeckungen.

Die Umnutzung ist eine grosse Sache, wie das 56-seitige Dokument des Astra zeigt. Nötig sind nämlich auch Nothaltebuchten. Die Ein- und Ausfahrten müssen neu gebaut werden. Im Bereich von Brücken und Tunneln können Pannenstreifen nicht umgenutzt werden, weil es in der Regel gar keine hat.

Teure Angelegenheit

Das kostet alles viel Geld: Allein der fünf Kilometer lange Abschnitt zwischen Ecublens und Morges-Ost kostete laut dem Astra «einen zweistelligen Millionenbetrag». Kommt hinzu: Unterhaltsarbeiten zum Beispiel an der Böschung sind nur dann möglich, wenn der Pannenstreifen nicht freigegeben ist. Ebenso Schacht-Reinigungen.

Trotzdem erhielt Imark sogleich Sukkurs vom Bündner Mitte-Nationalrat Martin Candinas. «Gerade in Tourismusregionen», findet er, «könnte es sinnvoll sein, bei Rückstaus die Pannenstreifen zu nutzen.»

Laut dem Astra tragen umgenutzte Pannenstreifen zur Verkehrssicherheit bei: «Seit deren Einführung auf der Autobahn A1 zwischen Morges und Ecublens ist die Unfallrate auf der Pilotstrecke um mehr als 25 Prozent gesunken.» Ob das wirklich an der Pannenstreifen-Umnutzung liegt, ist allerdings unklar. Denn wenn der Pannenstreifen freigegeben ist, wird automatisch die zulässige Höchstgeschwindigkeit gesenkt – eine Massnahme, welche die Sicherheit natürlich erhöht.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
_____________________
➔ Solche Artikel sind nur dank Ihren SPENDEN möglich. Spenden an unsere Stiftung können Sie bei den Steuern abziehen.
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden

4 Meinungen

  • am 11.12.2024 um 11:17 Uhr
    Permalink

    Lassen wir es doch einfach so, wie ist, dann sehen unsere Autobahnen bald so aus, wie in Deutschland!
    Ein Hoch auf die 12 – Millionen – Schweiz unserer «Cüpli – Sozis» . . .

  • am 11.12.2024 um 11:20 Uhr
    Permalink

    Mobility-Pricing basierend auf Besetzungszahl. Lässt sich leicht umsetzen. Beispielsweise, indem man Parkingpay auf die Autobahn erweitert. Dann können sich Passagiere per Autokennzeichen ein- und ausbuchen. Je höher die Besetzungszahl, desto günstiger die Autobahnfahrt. Das dürfte die Stauspitzen glätten.

  • am 11.12.2024 um 12:01 Uhr
    Permalink

    Das ist in der Tat keine einfach Güterabwägung. Prüfenswert ist die Idee aber schon. Ist es nicht möglich, mit begleitenden Massnahmen (Temporeduktion auf 60km/h, flexible Signalisation usw.) den Pannenstreifen ziemlich sicher zu benutzen bei viel Verkehr? Es ist halt eine unglaublich grosse versiegelte Fläche, die fast gar nicht benutzt wird und das ist schon ein wenig schade…

  • am 11.12.2024 um 12:44 Uhr
    Permalink

    Ich denke, viele von uns und unsere Gesellschaft als Ganzes sind Auto-süchtig (Deutschland noch ein bisschen mehr als die Schweiz, aber das ist nochmal eine andere Geschichte). Um diese Sucht zu bekämpfen und wenn möglich zu überwinden, sollten wir uns inspirieren lassen vom Suchtbehandlungswissen der Suchtberatungsstellen. Die Bemühungen, die Pannenstreifen möglichst durchgehend befahrbar zu machen, erinnern mich an die Berichte über die Beschaffungskriminalität von Heroinsüchtigen, die ihre Sucht um jeden Preis ausleben wollen oder müssen …

Ihre Meinung

Lade Eingabefeld...