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Der Abbau von Edelsteinen ist ein massiver Eingriff in die Landschaft. © Julie Zaugg/Public Eye

Minenarbeiter in Madagaskar schuften für Schweizer Uhren

Susanne Aigner /  Einheimische bauen Saphire unter unmenschlichen Bedingungen ab. Der Schweizer Schmuckhandel profitiert. Das kritisiert Public Eye.

Im Folgenden wird eine Reportage der Schweizer Journalistin Julie Zaugg, die zum Saphir-Abbau recherchierte, stark verkürzt zusammengefasst. Zaugg ist Gewinnerin des Investigation Award von Public Eye.

In Madagaskar, einem von Dürren und Hungersnöten gebeutelten Land, ist der Saphir-Abbau eine wichtige Einkommensquelle. Im Süden des Landes liegt inmitten der Savanne die Bergbauregion Ilakaka – von Einheimischen auch «Schweizer Bank» genannt. Hier leben zehntausende Minenarbeiter in traditionellem Kleinstbergbau mit einigen Hundert ausländischen Käufern aus Sri Lanka, Thailand und aus der Schweiz zusammen. Was die Menschen antreibt, ist die Hoffnung, einen Edelstein zu finden.

Das grösste Saphirvorkommen der Welt auf einer Fläche von rund 4000 Quadratkilometern wurde 1998 entdeckt und gilt als eine der wichtigsten Quellen für Edelsteine weltweit. Tausende Bergleute schürfen unter der sengenden Sonne in einer löchrigen Marslandschaft aus roter Erde. Wo die Edelsteinschicht unter dem Grundwasserspiegel liegt, heben sie einen Tagebau mit einem Durchmesser von etwa fünfzig Metern aus. Einige Arbeiter schaufeln Erde hinter sich, andere pumpen das rötliche Wasser mit knatternden Motorpumpen ab. Jedes Team wird von einem Wachmann mit Gewehr begleitet.

Der entnommene Kies wird in Säcke abgefüllt und von den Männern auf dem Rücken zum Fluss getragen, wo er in einem Sieb gewaschen wird. Kinder ab fünf Jahren helfen ihren Eltern dabei, den in den Minen geschürften Kies zu sortieren und zu waschen. Mit fünfzehn Jahren gelten sie als erwachsen und arbeiten mit in den unterirdischen Minen. Neben der Mine entstand ein Dorf mit einigen Hütten aus Ästen. Es gibt weder Latrinen, Strom noch Schulen.

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Unter den Augen ihrer bewaffneten Kollegen waschen Minenarbeiter Kiesel und Erde am Fluss.

Arbeiter riskieren in engen unterirdischen Gängen ihr Leben

Andere Männer graben Schächte von einem Durchmesser von etwa einem Meter. Darüber ist jeweils ein primitiver Flaschenzug mit Holzbrettern installiert, mit dem die Minenarbeiter bis auf den Grund der Mine hinuntergelassen werden. Auch der 54jährige Kinawate hat sich eine eigene Mine auf brüchigem Sand- und Lehmboden gebaut. Ausgestattet mit Fackel und Eisenstange lässt er sich bis auf den Grund der etwa zehn Meter tiefen Mine hinuntergleiten. Er gräbt senkrecht nach unten, bis er die edelsteinhaltige Schicht erreicht, eine Mischung aus Kieselsteinen und Saphiren und räumt dann waagerecht verlaufende Stollen aus, die so eng sind, dass die Arbeiter kriechen müssen. Für gewöhnlich ist er für vier Stunden unter der Erde, bevor er an einen Kollegen übergibt.

In manchen Gebieten muss man bis zu 30 oder 40 Meter tief graben, um die edelsteinhaltige Schicht zu erreichen. In dieser Tiefe herrscht Sauerstoffmangel, es kann zu giftigen Gasblasen kommen. Die Bergleute nutzen daher ein System aus Plastiktüten, die mit einem Schlauch verbunden sind, den eine Person an der Oberfläche mit Luft füllt und komprimiert, um Sauerstoff in die Tiefe der Mine zu schicken. Vor einigen Monaten, als ein Stollen einbrach, wurde einer seiner Freunde lebendig begraben. Er würde nach Hause gehen, wenn er könnte, sagt er. Doch er habe nicht einmal Geld für das Busticket.

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Kinawate suchte in seiner Mine monatelang erfolglos nach Edelsteinen

Minenarbeiter schuften für zu niedrige Mindestlöhne

Madagassische Händler kaufen die Steine von den Minenarbeitern und verkaufen sie zum fünffachen Preis an Edelsteinhändler aus Sri Lanka oder Thailand in der Region. Einige Minenarbeiter schliessen einen Vertrag mit einem «Patron» aus Madagaskar oder Sri Lanka, der sie mit Reis, Öl und Werkzeugen versorgt. Im Gegenzug überlassen sie ihm bis zu 50 Prozent des Erlöses von jedem verkauften Edelstein. Andere erhalten einen täglichen Lohn, aber keinen Anteil an den Saphiren.

Der chinesisch-madagassische Jungunternehmer Guillaume Ah Thion zum Beispiel beschäftigt 200 bis 250 Angestellte, von denen einige in Hütten neben der Mine leben. Die meisten von ihnen erhalten einen madagassischen Mindestlohn von 238’000 Ariary pro Monat (etwa 47 Franken). Dieser Lohn sei selbst im afrikanischen Vergleich niedrig und wurde einseitig von der Regierung ohne Verhandlungen mit den Gewerkschaften durchgesetzt, kritisiert Barson Rakotomanga, ein führender Gewerkschaftsvertreter. Für den Preis von Saphiren gibt es keine klaren Kriterien. Die Minenarbeiter wissen auch nicht, wofür die Steine, die sie den ganzen Tag suchen, verwendet werden. Aus diesem Grund ist es nicht ungewöhnlich, dass ihnen ein um 50 Prozent zu niedriger Preis angeboten wird.

Die meisten Edelsteine an der Oberfläche seien inzwischen abgebaut, erklärt der Gemmologe Vincent Pardieu gegenüber Public-Eye.Nur in einem gross angelegten mechanisierten Abbau liessen sich Saphire noch in grösserer Tiefe erreichen. Glaubt man den Einwohnern von Ilakaka, ist der Wasserstand der Brunnen gesunken, seit Guillaume Ah Thion mit seinem Unternehmen vor fünf Jahren mit den grossen Abbau-Operationen begann. Dieser will davon nichts gewusst haben, räumt aber ein, dass sich durch seine Minen der Grundwasserspiegel an einigen «vereinzelten» Stellen gesenkt hat. Das gesamte Tal in der Nähe von Ilakaka wurde dabei umgegraben. Dabei wurde der Wald entlang eines Flusses zerstört.

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Die Mine Be Mandresy wurde erst kürzlich eröffnet.

«Das RJC ist ein riesiger Schwindel»

Die meisten Schmuckmarken geben zu, dass es Probleme gibt, verweisen aber auf interne Kontrollverfahren. Auch das Schweizer Unternehmen von Raphael Gübelin bezieht Saphire aus Ilakaka. Seine Firma ist seit 2022 vom Responsible Jewellery Council (RJC) zertifiziert, das mit 1650 Mitgliedern 2005 von 14 Organisationen aus der Schmuckindustrie gegründet wurde.

Die grossen Aufkäufer von farbigen Edelsteinen gaben ein Label heraus, um dieses sich selbst zu verleihen, kritisert der Genfer Edelsteinhändler Ronny Totah gegenüber Public Eye. Diese Instanz wasche lediglich die Marken am Ende der Kette rein, ohne zu überprüfen, was im Vorfeld passiert, bestätigt der Gewerkschafter Glen Mpufane. Auf diese Weise wird eine unabhängige Kontrolle verhindert.

Glaubt man der RJC-Direktorin Melanie Grant, muss sich zwar jeder zur Einhaltung eines Verhaltenskodex verpflichten, welcher von einer dritten Partei geprüft werde. Zum Kodex gehören menschenwürdige Arbeitsbedingungen, verantwortungsvolle Abbaupraktiken und die Bekämpfung von Korruption.

Allerdings prüft niemand vor Ort, ob der Verhaltenskodex des RJC auch eingehalten wird. Denn unter den Mitgliedern sind nur zwölf Minenunternehmen, von denen keines Saphire in Madagaskar abbaut. Die Minenabeiter in Ilakaka sind vollständig vom Zertifizierungs- und Prüfungsprozess ausgeschlossen. Unmenschliche Arbeitsbedingungen und Kinderarbeit sind an der Tagesordnung. Von dem Elend profitieren skrupellose Zwischenhändler. «Die Minenarbeiter leiden unter entsetzlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen», erklärt Glen Mpufane, der für den Edelsteinabbau-Sektor des Gewerkschaftsverbandes Industriall Global Union mit Sitz in Genf zuständig ist. Diese seien viel schlimmer als in anderen afrikanischen Ländern.

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Am Flussufer werden die Kieselsteine in einem Sieb gewaschen und nach glitzernden Edelsteinen untersucht.

Nicht der Staat profitiert von seinen Rohstoffen, sondern korrupte Beamte

Laut Rébecca Michelot, Vorsitzende der Westschweizer Sektion der Schweizerischen Gemmologischen Gesellschaft, ist es fast unmöglich, Steine auf legale Weise aus Madagaskar herauszubringen. Denn wer in Madagaskar Edelsteine kaufen will, muss zehn bis fünfzehn Tage für die bürokratischen Schikanen einplanen. Aus diesem Grund nutzen die meisten Edelsteinexporteure ein Parallelsystem: Für jeden Stempel oder ein offizielles Dokument werden Bestechungsgelder an dieselben Beamten gezahlt, die für die offiziellen Ausfuhrverfahren zuständig sind. Das kostet viermal weniger und geht schneller. Am Flughafen einigen sich die Zollbeamten und Polizisten darauf, die rohen Steine durch die Abfertigung zu schleusen. Die Händler holen sie ab, kurz bevor sie ins Flugzeug steigen.

Das verzerrt die Exportzahlen: Laut Rémi Botoudi, Generalsekretär des Gewerkschaftsbundes Sekrima, tauchen die Einnahmen aus dieser Tätigkeit nicht in den Staatskonten auf, so dass das Land nicht von den Exportsteuern profitieren kann. Statistiken zu Folge exportierte Madagaskar 2019 Saphire im Wert von angeblich 210’088 US-Dollar. Tatsächlich aber liegt der Export-Wert bei geschätzten 150 Millionen US-Dollar pro Jahr.

Ausländische Käufer von Edelsteinen wissen von den illegalen Kanälen. Trotzdem verlassen sie sich auf die im Land ansässigen Vermittler. «Wir lassen sie die Drecksarbeit machen, damit wir uns nicht die Hände schmutzig machen müssen», bringt ein Genfer Edelsteinhändler den Skandal auf den Punkt.

Der Weg der Saphire zu den Schweizer Schmuck- und Uhrenmarken

Zwischenhändler exportieren die Rohsteine unter Umgehung der offiziellen Kanäle von Madagaskar nach Sri Lanka. Dort werden die Steine geschliffen und minderwertige Edelsteine auf über 1500 Grad erhitzt, um die Farbe kräftiger zu machen, Einschlüsse aufzulösen etc.. Anschliessend werden sie an thailändische Gross- und schliesslich an Zwischenhändler in Bangkok weiterverkauft. Von hier aus gelangen sie an Luxusgüterhersteller, darunter der Genfer Konzern Richemont (Marke Cartier), das Luzerner Unternehmen Bucherer (das kürzlich von Rolex übernommen wurde), Harry Winston (Swatch-Konzern) oder der Luzerner Juwelier Gübelin.

Die beiden weltweit renommiertesten Labore für die Analyse von Farbedelsteinen unter dem Mikroskop – das Gübelin Gem Lab in Luzern und das Schweizerische Gemmologische Institut in Basel – stellen Berichte aus, welche die Herkunft eines Edelsteins und eine allfällige Behandlung dokumentieren. Die Referenzsammlung des Gem Lab zum Beispiel enthält mehr als 28’000 Edelsteine, aus Minen aus aller Welt. Ein grosser Teil der hier analysierten hochwertigen Edelsteine landet in den Tresoren von Händlern in Genf, das als Handelszentrum für Edelsteine gilt: Hier sind etwa dreissig Familienunternehmen ansässig, darunter Gübelin, Bulgari, Piaget, Adler, Chopard, Graff, Cartier.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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