Kommentar
Warum freitags nicht mal zur Schaufel greifen?
Liebe Schul-Streikende in Europa,
Ich schreibe euch aus Lateinamerika, also weit weg von euren Streiks und Forderungen. Hier wissen nur ganz wenige, worum es bei Fridays for Future (FFF) geht. Doch diese wenigen, eine Gruppe aus SchülerInnen, StudentInnen und AktivistInnen für eine enkeltaugliche Zukunft, organisierten vor Kurzem die planetarische Klimastreikwoche mit – von Buenos Aires, über Santiago de Chile bis nach Bogotá. Auch in Quito, der ecuadorianischen Hauptstadt, gingen die Leute fürs Klima auf die Strasse. Vor der brasilianischen Botschaft kam es im August zu einer Demonstration, um auf die verheerenden Brände im Regenwald hinzuweisen.
Befreiend an euren Streiks finde ich die Selbstverständlichkeit, mit der ihr den Zivilen Ungehorsam lebt. Als ob’s nichts Normaleres gäbe, als dem Unterricht fernzubleiben. Das ist zwar gewagt, aber auch nötig. Dringend nötig! Und eigentlich hätten wir Erwachsene uns schon längst anschliessen müssen. Denn ohne diese Methode des politischen Protestes wird in einer von Sesselfurzern geprägten Welt nichts in Bewegung kommen. Ich persönlich betrachte eure Streiks jedenfalls nicht als vorübergehendes Aufbegehren, sondern als Mittel zur Bewusstseinserweiterung im besten Sinne des Wortes. Nicht nur, weil ich der Meinung bin, dass das Klima vor die Hunde geht, sondern weil die Art und Weise, wie wir in den Industrienationen leben, losgekoppelt von der Natur und ihren BewohnerInnen – Menschen inklusive –, von Ignoranz und Respektlosigkeit geprägt ist.
Als ich hier kürzlich bei einem Vortrag von «Extinction Rebellion» war, sowas wie die «Erwachsenen-Organisation» von FFF, wurde die Wichtigkeit der Selbstorganisation genannt, etwas, das ja auch FFF auszeichnet. Wer mag, setzt sich wie Greta Thunberg 2018 jeden Freitag mit einem Plakat vor seine Schule und streikt. Wenn’s sein muss, alleine. Viele von euch machen das nun schon bald ein Jahr lang, und das ist wirklich lobenswert. Ich bin jedenfalls froh, dass der Nachwuchs im gesättigten Norden Reibung erzeugt und fundamentale Fragen an die Öffentlichkeit zerrt. Doch Slogans auf Kartons malen und fürs Klima singen reichen meiner Meinung nach nicht für Veränderungen – gerade heute, wo alle etwas sagen (oder singen) wollen und die Gefahr besteht, dass der Inhalt auf der Strecke bleibt.
Vor ein paar Jahren sagte mir ein aus der Grossstadt geflüchteter Musiker, der heute Bio-Saatgut züchtet, dass die Städter in Bezug auf Demonstrationen, Aufklärung und Kommunikation enorm viel Energie vergeudeten und fragte spontan: Was wäre, wenn 5000 Menschen, die gegen Monsanto auf die Strasse gehen, stattdessen eine Schaufel in die Hand nehmen und einen Acker für den Gemüsebau bereitstellen würden?
Ich gebe diese Frage an euch weiter. Denn die Strukturen, die den Klimawandel befeuern, lassen sich weder auf der Strasse, noch am Computer oder Handy umbauen. Der Umbau findet draussen statt, etwa dort, wo unsere Lebensmittel wachsen und wo das Klima aufgrund von Dürren, Feuer oder Überschwemmungen fassbar wird. Dort wird jene Zukunft gesät, von der ihr euch im Moment fürchtet. Und auch wenn es die Demonstrationen gegen Monsanto&Co. braucht, auch wenn der Lärm vor den Regierungsgebäuden und die Stille in den Schulzimmern wichtig ist: Ohne konkrete Handlungen werdet ihr früher oder später Teil der schweigenden Mehrheit und macht euch anfällig für Kritik.
Um dieser entgegenzutreten und die Öffentlichkeit für eure Forderungen weiter zu sensibilisieren, könnte es sich lohnen, Streik-Jahr-Zwei eine andere Form zu geben. Warum freitags nicht mal aufs Land fahren und mit einem betroffenen Bauern sprechen? Oftmals hängen diese nämlich am Finanz-Tropf von Staat, Banken, Supermarktketten und Agrarindustrie – also alles Akteure, die an den aktuellen Krisen grosse Verantwortung tragen und denen das Klima egal ist.
Die Bauern hingegen spüren den Klimawandel am eigenen Leib und einzelne sind froh darüber, sich mit ihren KonsumentInnen auszutauschen. Dann können sie ihnen eins-zu-eins vom Rückgang der Biodiversität erzählen, den sie auf Grund des massiven Pestizid-Einsatzes seit Jahren beobachten: von den Schmetterlingen, die ihre Äcker meiden, genauso wie das Rebhuhn, die Feldlerche oder die Bienen. Gerade letztere sind fundamental, wenn es um die Bestäubung von Blüten und damit den Fortbestand von Pflanzen geht.
Vielleicht kann eure Schule ja sogar beim Umbau eines konventionellen Bauernhofes zum Bio-Betrieb helfen. Statt freitags zur Schule zu gehen oder zu streiken, lernt ihr Kompost herzustellen, Tiere zu pflegen, Saatgut zu züchten und Wasser zu schützen. Und zwar nicht als Workshop, um nach ein paar Wochen in den alten Trott zu fallen, sondern als Teil einer sich umbauenden Gesellschaft.
Solch ein Umbau provoziert, ist schmerzhaft, braucht Geduld und Ausdauer. Aber je länger der Regenwald brennt, je mehr sich die Klimakrise zuspitzt, desto dringender ist die Auseinandersetzung mit den Problemen vor der eigenen Haustüre. Und wenn die Erwachsenen nicht wollen – was leider sehr gut möglich ist – dann müsst ihr sie dazu bringen, notfalls mit Zivilem Ungehorsam. Nicht nur in der Schule.
In Verbundenheit
Romano
—
Dieser Beitrag ist zuerst auf mutantia.ch erschienen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Der Autor lebt in Lateinamerika und betreibt von dort aus unter anderem die Website mutantia.ch.
Darf ich fragen, ob Sie selber das auch machen?
Lieber Romano.
Ihr guter Beitrag spricht mich sehr an. Hier in La Paz, arbeiten wir genau an diesen Temen. Wir haben es aufgegeben, gegen die Politik zu protestieren, sondern stellen uns darauf ein, dass die Umweltkatastrophe kommt.
Wir haben uns drei Ziele gesetzt:
1. In aller Form das Patriarchat zu überwinden, mit Männergruppen, und Vorträgen zu Patriarchat und Frauenmorde, Patriarchat und Prostitution, usw.
2. Selber Lebensmittel anpflanzen, und in diesem Rahmen vor allem Samen nachziehen. Die Misserfolge sind immer grösser als die Erfolge! Aber wir merken, dass alles viel schwieriger ist als es sich anhört.
3. Gemeinschaft schaffen, aber reale, nicht die von Facebook.
Das hört sich natürlich gut an, aber wir fühlen uns immer noch als blutige Anfänger in allen drei Gebieten.
Saludos desde La Paz.
Und nicht vergessen, auch in Bolivien gibt es manchmal Schülerstreiks fürs Klima.
Ich habe den Eindruck, das hier Ausgesagte ist entweder naiv, oder es handelt sich um ein verkapptes Schwarzpeterspiel, mit dem die Verantwortung wieder auf die Machtlosen zurückgeworfen wird. Ein wirklicher Umbau der aktuellen Wirtschaftsweise, was Voraussetzung zur Problemlösung ist, bedingt demokratisch bestimmte Milliardeninvestitionen, das ist nicht mit der Schaufel in der Hand, beim Kleinbauern nebenan zu schaffen.
Dieser Beitrag ist etwas hochnäsig und besserwisserisch und zu allem Überfluss auch noch angeberisch. Der Klimajugend väterlich auf die Schulter klopfend, ein vertrauliches Du verwendend und Ratschläge erteilend. Du meine Güte, was für ein Fail, auch wenn der eigentliche Inhalt durchaus berechtigt ist, man kann immer mehr tun, als zu demonstrieren. – Man kann aber auch gar nichts tun.
Lieber Herr Paganini,
Grundsätzlich bin ich ebenfalls der Meinung, dass Worte (Demos) alleine nicht reichen und dass Taten besser sind. Dennoch dünkt es mich etwas einfach zu behaupten, dass die Streikenden in einen «alten Trott» fallen würden. Sie wollen ja gerade einen «neuen Trott» promovieren. Gut möglich, dass gerade bei den Protestlern ganz viele nicht fliegende Bioveganer dabei sein. Nein, Herr Paganini, es nützt nicht, wenn ich im Schrebergarten mein ProSpecieRara-Gemüse züchte, fleissig kompostiere, wenn zeitgleich meine Pensionskasse Aktien von Banken hält, welche fleissig CO2-Schleudern finanzieren. Solange die externen Kosten von Umweltverschmutzung nicht internalisiert sind und die Wirtschaft klagt, wenn mal kein Wachstum ist (=Verschleierung der Verteilungsungerechtigkeit). Nein, wir brauchen einen Systemwechsel, wenn diesem Planeten und seinen BewohnerInnen ein würdiges Weiterexistieren zugestanden werden soll. Deshalb braucht es diese klaren, lauten und unermüdlichen Botschaften – bis dann mal vielleicht eine Mehrheit die Unerlässlichkeit des Systemwandels und von neuen Träumen (statt Ferien auf den Seychellen) begreift.
Jö we härzig!
Warum eigentlich immer nur freitags? Toll, da kann man die Schule schwänzen oder am Arbeitsplatz fehlen, damit man ein freies Wochenende hat, an dem man von allen ressourcenfressenden digitalen und analogen Unterhaltungsangeboten profitieren kann. Diese Fridays-for-Future-Bewegung ist schon aus diesem Grunde unehrlich und eine Farce.
Ihr glaubt ja noch an den Storch! Wer glaubt denn noch, wir könnten die Wirtschaft demokratisch umbauen? Oder Banken und Pensionskassen demokratisch oder durch Demonstrationen zu fossilfreien Investitionen bringen? Der Fehler unserer Demokratie ist, dass die Besitzenden fast jede Abstimmung durch millionenschwere Angstpropaganda gewinnen können. Auch in Wahlen entscheidet Finanzkraft vieles.
Demonstrationen können Leute aufrütteln, mobilisieren. Aber echte Veränderungen werden erst durch konsequentes Handeln bewirkt. JedeR muss sich selber überlegen, wo es für sie / ihn am meisten Sinn macht.