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Der Verkehr zählt mit 36 Prozent zu den grössten Luftverschmutzern. © Stefan Redel / Fotolia.com

Theoretischer Kampf gegen Verkehrsemissionen

Tobias Tscherrig /  Damit die Schweiz die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens erreicht, braucht es gemäss einem Experten strengere Gesetze.

«Die heutigen Gesetzesvorgaben reichen bei Weitem nicht aus, um die CO2-Emissionen des Strassenverkehrs so zu reduzieren, wie wir es mit dem Pariser Klimaschutzabkommen völkerrechtlich zugesagt haben.» Zu diesem Schluss kommt Christian Bach, Automobilingenieur und Leiter der Abteilung Fahrzeugantriebssysteme der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt Empa in einer Ausgabe von Oekoskop, der Publikation der Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz.

Die Schweiz ratifizierte das Pariser Klimaschutzabkommen, das alle unterzeichnenden Länder verpflichtet, ihre Treibhausgasemissionen so weit zu senken, dass der Anstieg der globalen Erwärmung auf deutlich unter zwei Grad begrenzt wird. Bei der offiziellen Zeremonie sagte CVP-Bundesrätin Doris Leuthard, dieses Abkommen sei nicht bloss eine symbolische Geste, es markiere den Beginn eines schrittweisen Ausstiegs aus der Ära der fossilen Energieträger. Grosse Worte der Umweltministerin, denen nun Taten folgen müssen. Vor allem im Bereich des Verkehrs liegt viel Potenzial brach, immerhin gehört er mit 36 Prozent zu den wichtigsten Verursachern der CO2-Emissionen – trotzdem rollt er nur zu drei Prozent mit erneuerbarer Energie.

Verkehr in die Pflicht nehmen
Die Schweiz muss die Klimagasemissionen bis 2030 im Vergleich zu 1990 um 50 Prozent reduzieren. Was das für den Schweizer Verkehr bedeutet, rechnet Christian Bach in seinem Artikel vor: Im Referenzjahr 1990 betrugen die CO2-Emissionen aus Treibstoffen 15,5 Millionen Tonnen pro Jahr. Gemäss dem Reduktionsziel müssten diese bis 2030 auf 7,8 Millionen Tonnen halbiert werden, heute liegen sie bei 16,4 Millionen Tonnen. Jährlich müssten die Emissionen also um rund 9 Millionen Tonnen abgebaut werden.

Für die CO2-Reduktion von Fahrzeugen sind zwei gesetzliche Grundlagen relevant. Erstens die Kompensationsverpflichtung, wonach bis 2020 zehn Prozent der CO2-Emissionen aus fossilen Treibstoffen durch deren Importeure kompensiert werden müssen. Dieser Kompensationspflicht unterliegt, wer Treibstoffe in den steuerrechtlich freien Verkehr überführt oder fossile Gase zu Treibstoffzwecken umwandelt. Als Ausgleich müssen die Importeure Projekte und Programme zur Emissionsminderung im Inland durchführen oder Bescheinigungen für Emissionsverminderungen im Inland abgeben.

Werde das so weitergeführt, ergebe das eine CO2-Abnahme von 1,6 Millionen Tonnen, schreibt Bach. Als zweite Grundlage dienen die Zulassungsvorschriften für Neuwagen, die eine periodische Absenkung der CO2-Grenzwerte vorsehen. Eine derartige Absenkung von 130 auf 95 Gramm CO2 pro Kilometer wurde in der EU per 2021 beschlossen. In der Schweiz befindet sich eine entsprechende Vorlage in der Vernehmlassung.

Papier und Realität
Auch wenn die Zulassungsvorschriften für Neuwagen angepasst werden, ergeben sich gemäss Bach Probleme. Personenwagen seien für rund 75 Prozent der CO2-Emissionen im Strassenverkehr verantwortlich. Setze man die lineare Absenkung der Grenzwerte bei Neuwagen auf 50 Gramm pro Kilometer voraus und würden jährlich acht Prozent der Personenwagen durch Neuwagen ersetzt werden, ergebe sich eine «rechnerische Reduktion von rund 4 Millionen Tonnen CO2.» Die Realität sieht laut Bach allerdings weniger rosig aus. Der Experte, der oft im Zusammenhang mit dem Diesel-Skandal Auskunft gibt, kritisiert die theoretische Rechnung:

  • Die CO2-Emissionen seien in der Realität höher als im Labor;
  • Bei Plug-in-Hybridfahrzeugen sei die Berechnung der CO2-Emissionen «äusserst wohlwollend» erfolgt;
  • Bei Elektrofahrzeugen seien die CO2-Emissionen der Stromproduktion nicht eingerechnet;
  • Die Zunahme des Verkehrs sei nicht berücksichtigt.

Dazu kommt, dass die Schweizer Autoimporteure die Neuwagen-Emissionen eigentlich bereits bis 2015 auf durchschnittlich 130 Gramm CO2 pro Kilometer hätten senken sollen. Doch mit 135 Gramm CO2 pro Kilometer verfehlten sie das Ziel auch im Jahr 2016. «Die einzelnen Importeure haben ihre spezifischen Zielvorgaben jedoch grösstenteils erreicht, dies aufgrund der verschiedenen Vollzugsmodalitäten wie der gewichtsabhängigen Berechnung der Zielvorgabe und Spezialzielwerten für einzelne Marken», schrieb das Bundesamt für Energie damals in einer Medienmitteilung. «Die Sanktionszahlungen für Überschreitungen der Zielvorgabe blieben tief und lagen 2012-2015 jährlich gesamthaft im ein- bis tiefen zweistelligen Millionenbereich.

Lösung muss her
Zurzeit seien zudem kaum Aussagen zur Wirkung der Zulassungsbestimmungen möglich, schreibt Bach. Dies, weil «die offiziellen CO2-Emissionen nicht den effektiven Ausstoss wiedergeben.» So arbeitet die Empa zusammen mit der ETH Zürich und mit Unterstützung vom Bundesamt für Energie an einem «neuen Ansatz zur Ermittlung des realen Treibstoffverbrauchs und der tatsächlichen Emissionen.»

Damit die zugesagten CO2-Ziele erreicht werden können, seien weiterführende Massnahmen zwingend, schreibt Bach. Er schlägt vor, den heute noch unberücksichtigten Energieverbrauch für den Fahrkomfort zu integrieren und die CO2-Bewertung auf die gesamte Energiekette auszuweiten. Aus wissenschaftlicher Sicht sei dies ein längst fälliger Schritt. Ausserdem sollten Fahrzeughersteller stärker in die Pflicht genommen werden, damit sie dafür sorgen, dass ihre Fahrzeuge mit erneuerbarer Energie betrieben werden.

Gemäss Bach ist die EU bereits einen Schritt weiter: Die Mitgliedstaaten koordinieren ihre Ausbaupläne für Elektroladesäulen, Gas- und Wasserstofftankstellen. Die Schweiz dürfe den Anschluss nicht verpassen.

Falsche ökonomische Anreize
Auf die möglichen ökonomischen Anreize zum Erreichen des CO2-Ziels geht Empa-Abteilungsleiter Christian Bach in seinem Artikel nicht ein. So schreibt er zwar, auch weiterentwickelte Simulationsmethoden seien in Arbeit, «um die Wirksamkeit fahrzeugtechnischer Massnahmen zur CO2-Reduktion und deren Auswirkungen auf das Energiesystem genauer bewerten zu können.» Dabei solle berücksichtigt werden, dass Autos sehr unterschiedlich eingesetzt würden. Bach gibt ein Beispiel: Steigen primär «Wenigfahrer» auf CO2-arme Fahrzeuge um oder führen CO2-arme Fahrzeuge zu einem Anstieg der Zweit- oder Drittfahrzeuge, bremse dies die effektive CO2-Reduktion zusätzlich. «Der Personenwagen-Bestand müsste also durch wesentlich mehr CO2-arme Fahrzeuge erneuert werden, als es die aktuelle Methodik suggeriert.»

Allerdings zahlen Wenigfahrer pro gefahrenem Kilometer noch immer mehr Autosteuern und eine höhere Versicherungsprämie als Vielfahrer. Autosteuern und Haftpflichtversicherungen, deren Höhe von der Zahl der gefahrenen Kilometer abhängt, hat die Autolobby bisher erfolgreich verhindert. Bei Elekroautos will das Parlament zusätzlich zur fixen Autosteuer noch eine weitere fixe Steuer von rund 500 Franken pro Jahr einführen, um die bei Elektroautos nicht vorhandenen Benzinsteuern zu kompensieren. Ein Rückschritt, denn die bezahlten Benzinsteuern hängen von der Menge des getankten Benzin ab, also von den gefahrenen Kilometern und der Grösse der Autos.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

Zum Infosperber-Dossier:

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3 Meinungen

  • am 26.07.2017 um 15:52 Uhr
    Permalink

    Der Verbrauch, bei niedrigen Geschwindigkeiten ist hauptsächlich vom Fehrzeuggewicht abhängig…
    Bei höheren Geschwidingkeit, hängt der Verbrauch von der Geschwindigkeit ab
    also:
    leichtere Fahrzeuge (was haben SUV in den Städten zu suchen)
    Tempolimite…100 auf Autobahnen, später 80.

    Wohl hoffnungslos weil es nichts kostet….
    übrigens…Lärmreduktion kommen auch gratis mit :-))

    Luc

  • am 26.07.2017 um 17:46 Uhr
    Permalink

    Ist alles gut und Recht. Aber was ist mit dem Flugverehr? Davon scheint niemand zu sprechen.

  • am 31.07.2017 um 21:00 Uhr
    Permalink

    2ernst Küng:Danke für den Hinweis auf den Luftverkehr. Ich wundere mich immer wieder warum dieser schlicht kein Thema ist. Die dauernde Zunahme kann nicht ohne Folgen auf die Luftqualität bleiben.

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