Sprit aus Luft oder auch Klimagas im «Blöterliwasser»
Um den CO2-Anstieg in der Atmosphäre zu bremsen, müsse man jede verfügbare Möglichkeit nutzen, stellte unter anderen der Weltklimarat der Vereinten Nationen im IPCC-Report 2018 fest. Grosse Hoffnung liegt dabei auf Technologien, die CO2aus der Luft entfernen, genannt CDR für «Carbon Dioxide Removal». Ansätze für CDR gibt es bereits mehrere. Die neueste stammt vom kanadischen Unternehmen «Carbon Engineering». Dessen Methode, CO2 aus der Luft zu extrahieren, sei erstmals auch wirtschaftlich interessant, berichtet die «BBC»
Das ist wichtig. Denn egal wie sie es anstellen, alle Methoden kämpfen mit einem grundsätzlichen Problem: Obwohl Kohlendioxid dem Klima so zusetzt, enthält die Luft vergleichsweise wenig davon. Grob gesagt besteht sie aus etwas weniger als vier Fünfteln Stickstoff und einem Fünftel Sauerstoff, andere Gase machen etwa ein Prozent aus. Der CO2-Anteil der Luft liegt aktuell bei 0,041 Volumenprozent. Anders gesagt: von einer Million «Luftmolekülen» sind nur 410 Kohlendioxid. Die Herausforderung ist es also, diese wenigen Teilchen aus der Luft zu fischen.
Das Molekül im Lufthaufen
«Carbon Engineering» leitet angesaugte Luft dazu durch eine Hydroxid-Lösung, in der CO2als Carbonat gebunden und mit Hilfe von Kalziumhydroxid als Kalziumcarbonat ausgefällt wird. Das klingt sehr chemisch, ist aber im Grunde nicht kompliziert. Kalziumcarbonat ist nichts anders als Kalk, der danach in Pellets vorliegt. Durch erhitzen der Pellets auf 900 Grad wird reines CO2 wieder frei.
«Der springende Punkt ist, das CO2 genügend zu konzentrieren», sagte Jenny McCahill, Expertin für katalytische Prozesse bei «Carbon Engineering» gegenüber der «BBC». Das Unternehmen erreicht das für etwa 100 Dollar pro Tonne, bisher die «magische Zahl». Damit wird eine CO2-Falle erstmals wirtschaftlich interessant.
Treibstoff aus fast nichts als Luft
Spannend wird es danach. Aus konzentriertem Kohlendioxid kann man unter bestimmten Voraussetzungen ein Synthesegas herstellen, das aus Wasserstoff und Kohlenmonoxid besteht. Dazu braucht es Wasserstoff und wieder hohe Temperaturen. Aus dieser Gasmischung wiederrum lässt sich Öl oder auch Methanol gewinnen. Das dazu verwendete Verfahren ist als Fischer-Tropsch-Synthese bekannt und wird traditionell zur Kohleverflüssigung eingesetzt.
Treibstoff, hergestellt aus CO2: das Modell von «Carbon Engineering». (Carbon Engineering)
In Kanada entsteht also sozusagen Sprit aus Luft und Wasser, nach Angaben des Unternehmens seit zwei Jahren. Audi, das an synthetischen Kraftstoffen forscht, kündigte laut BBC vor einigen Jahren an, dass ein Liter «e-Diesel» um die 25 US-Cent kosten dürfte, falls der CO2-Rohstoff um die 100 Dollar pro Tonne zu haben sei.
Paradox: das konzentrierte Klimagas nützt der Ölindustrie
Wenn es allein um das Klima ginge, liesse sich das tonnenweise eingefangene CO2 einfach vergraben. Aber auch das reine Gas ist begehrt. Unterstützt wird das kleine kanadische Unternehmen auch von der Ölindustrie. Chevron, Occidental und der Kohlegigant BHP haben kürzlich 68 Millionen US-Dollar in das Unternehmen investiert.
Mit Hilfe von Kohlendioxid können die Fördergesellschaften aus einer fast ausgebeuteten Erdöl-Lagerstätte auch noch die letzten Reste herausholen. Kritiker befürchten, dass die klimafreundliche Technologie dazu benutzt wird, um noch mehr klimaschädliches Erdöl zu fördern. Den dringend nötigen Systemumbau zur Begrenzung des Klimawandels würde das ihrer Ansicht nach eher bremsen. Allein könnten alle CO2-Fallen der Welt das Klima eben nicht retten.
Befürworter von CDR-Ansätzen halten dagegen, dass jede Technologie genutzt werden sollte, die den CO2-Gehalt der Luft senkt. Mit einer der bereits geplanten Anlagen im industriellen Massstab könne «Carbon Capture» pro Jahr eine Million Tonnen CO2 aus der Luft entfernen.
Schweizer Firma verkauft CO2 an Gewächshaus
Kleinere Brötchen backt zum Beispiel das Schweizer Unternehmen «Climeworks». Ohne Ventilator geht es auch an seinem Standort in Hinwil nicht. Dort wird Luft über mit Aminen versehene Adsorptionsfilter geleitet, die CO2 abfangen. Durch Erwärmung lässt es sich aus den Filtern wieder lösen.
So fängt «Climeworks» Kohlendioxid ab. (Climeworks)
Diese Pionierleistung brachte das 2009 gegründete Unternehmen schon mehrmals in die «New York Times». Die Extraktion einer Tonne CO2 kostet «Climeworks» zwischen 500 und 600 US-Dollar. Genutzt wird die Ausbeute von einem benachbarten Gewächshaus, dessen Pflanzen sich über den Nährstoffzuschuss freuen und besser wachsen.
Andere Ideen des ETH-Spin-Offs umfassen die Nutzung von Kohlendioxid im Lebensmittelbereich, zum Beispiel in Getränken. So könnte es sein, dass das CO2 aus der Atmosphäre demnächst als Kohlensäurebläschen im Mineralwasser wieder auftaucht, in Beton oder in Zahnpasta. Oder ebenfalls in e-Treibstoff. Einer der grössten «Climeworks»-Partner ist Audi.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
Wieso hochverdünntes CO2 mühsam aus der Luft abscheiden, wenn es doch an der Quelle, z.B. einer industriellen Verbrennungsanlage, hochkonzentriert in riesigen Mengen anfällt und dort bequem gewonnen werden könnte? Technisch machbar ist nicht zwingend technisch sinnvoll.
So lange die Experimente fehlen, welche eine Kausalität von CO2 und der Erderwärmung schlüssig nachweisen, sollte man die Finger von derartigen «Lösungen» lassen!
Paul Bossert, Dipl. Bauing. & Architekt, Basel
Die ganze Produktionskette mit Kalziumhydroxid und Wasserstoff verbraucht enorme Mengen elektrischer Energie. Zuerst muss diese umweltgerecht produzierbar sein.
Es ist richtig, dass man CO2 aus der Luft extrahieren kann. Dass dies unter speziellen Umständen sogar wirtschaftlich sein kann, zeigt schon das Beispiel Climeworks ganz in unserer Nähe. Man hat dann eben CO2 gewonnen, für das es allerlei Verwendungen gibt.
Was auf dem schönen Kreislaufgramm fehlt, sind 2 Pfeile für den nötigen Energie-Input. Einer bei der Extraktion von CO2 und ein ganz dicker bei der Synthese von Treibstoff aus CO2 und zB Wasserstoff (der ja übrigens auch erst irgendwoher kommen muss). Ob dieser Prozess das CO2-Problem löst, oder wenigstens teilweise löst, hängt letztlich davon ab, woher die Energie dafür kommt. In anbetracht des relativ schlechten Wirkungsgrads von Verbrennungsmotoren ist es wahrscheinlich sinnvoller gleich einen Elektroantrieb zu verwenden, statt das CO2 aus der Luft zu gewinnen und dann den synthetischen Kraftstoff in einem zB Audi-Motor zu verbrennen – was energietechnisch eigentlich ein Unfug ist.
Ganz schlimm ist es, wenn (wie in dem BBC-Beitrag) suggeriert wird, es handle sich um eine Lösungsmöglichkeit für das CO2-Problem. Hier werden einfach die Laien für dumm verkauft und falsche Hoffnungen geweckt.
Herr Bossert, Ihre Aussage liesse sich im Umkehrschluss wohl auch so formulieren: So lange die Experimente fehlen, welche eine Kausalität von CO2 und der Erderwärmung schlüssig widerlegen, sollte man die Finger von derartigen «Lösungen» (d.h. weiterhin gedankenlos fossile Energieträger verbrennen) lassen!
Wenn es nur um die Bindung von CO2 ginge, wäre die Eisendüngung sehr preiswert und vielversprechend. Die Vermutung liegt jedoch nahe, dass preiswerte Methoden gar nicht erwünscht sind. Ebenfalls nicht erwünscht sind die Erkenntnisse, dass hauptsächlich das Erdmagnetfeld für den Klimawandel verantwortlich ist, nicht das CO2. Die relevante Sättigung der CO2-Moleküle wurde schon vor Beginn der Industrialisierung erreicht.