Sperberauge
«Klima vor acht» gegen Börsensendung
Auch nach bald einem Jahr Coronakrise ist die Pandemie medial das dominante Thema. Die andere globale Krise, jene ums Klima, ist etwas in den Hintergrund getreten, obwohl ihr Katastrophenpotenzial längerfristig um einiges grösser ist als Covid 19. Klimaaktivistinnen und -aktivisten in Deutschland fordern nun mehr Medienaufmerksamkeit für das Thema. Konkret wollen sie einen fixen Sendeplatz, beispielsweise im öffentlich-rechtlichen Sender ARD. Objekt der Begierde ist das jeweils wenige Minuten vor der Tagesschau um 20 Uhr ausgestrahlte Format «Börse vor acht». Seit fast 20 Jahren schaltet die ARD werktags jeden Abend an die Frankfurter Börse und erreicht mit diesem Spitzen-Sendeplatz täglich um die 2,5 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer; wahrscheinlich ein Grossteil davon Leute, deren Interesse wohl nicht primär dem Börsengeschehen gilt.
«Kurzes, hochwertiges Sendeformat»
Die Klimabewegten wollen nun die «Börse vor acht» durch «Klima vor acht» ersetzen. «Wir sind der festen Überzeugung, dass ein kurzes und qualitativ hochwertiges Sendeformat zur Klimakrise dringend nötig ist», heisst es auf der Homepage. Bereits Anfang Oktober 2020 ist Phase 1 der Kampagne abgeschlossen worden: das Crowdfunding. Das Ziel von 20’000 Euro wurde 3,5 Stunden nach dem Start erreicht, insgesamt sind 45’425 Euro zusammengekommen. Nun ist das Team aufgestockt worden. Die fachliche Beratung sollen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler diverser Fachrichtungen, Kommunikationsprofis und Wissenschaftsjournalistinnen und -journalisten sicherstellen.
Entscheidende Phase
Nun tritt das Projekt in die entscheidende Phase. Bis Anfang 2021 sollen sechs Videos mit drei bis fünf Minuten Länge produziert und auf Youtube und anderen Plattformen veröffentlicht werden. «Anspruch der Gruppe: Die Videos sollen so professionell gemacht sein, dass sie in der ARD gezeigt werden könnten – und dass es in diesem Format funktioniert», schreibt die Frankfurter Rundschau. Zielpublikum sind Menschen, für die das Thema bisher keine hohe Priorität hatte. Der Mathematiker, Philosoph und Datenanalytiker Norman Schumann, Mitinitiator von «Klima vor acht», sagt es so: «Die gängigen Sendungen zum Klimawandel sind umfangreiche Dokus, die meistens so gegen 22.30 oder 23.30 Uhr laufen. Die erreichen vor allem ein Publikum, das sich ohnehin schon sehr für das Thema interessiert. Deshalb gehört die Klimakrise in die Primetime».
Idee hat nur geringe Chance
Ob die Idee von der ARD oder einem anderen professionellen Sender aufgenommen wird, bleibt fraglich. Der Tenor lautet: Das Klimaschutz-Thema sei schon heute gut abgedeckt, von Service-Beiträgen bis zu investigativen Dokus. Auch Hannah Schmid-Petri, Professorin für Wissenschaftskommunikation in Passau, sieht kein Defizit bei der Klimaberichterstattung. Das Problembewusstsein und der Informationsstand sei in der Bevölkerung recht gross, was allerdings nicht heisse, dass dann auch alle ihr Verhalten änderten oder dass auf politischer Ebene sehr viel passiere.
Aber bisher habe der Fokus der Berichterstattung vor allem auf den negativen Folgen des Klimawandels gelegen – was dem Einzelnen wiederum das Gefühl gebe, nichts bewirken zu können, wie sie dem Deutschlandfunk sagte. Sie begrüsst deshalb die Initiative. «Man muss auch sagen, dass das ein Thema ist, wie viele Wissenschaftsthemen, das natürlich sehr schwierig zu vermitteln ist. Und ich glaube, da zielt die Initiative wirklich in eine sehr gute Richtung, weil ja ihr Anliegen auch ist, wirklich konkrete Lösungsansätze oder mögliche Antworten darzustellen.»
Ähnliche Sendung in der Schweiz
Eine vergleichbare Initiative wie in Deutschland gibt es in der Schweiz nicht – eine vergleichbare Sendung mit vergleichbarem Sendeplatz wie «Börse vor acht» allerdings schon: «SRF Börse» wird jeweils vor der Tagesschau um 19.30 Uhr von Schweizer Fernsehen SRF ausgestrahlt. Im Sendungsporträt heisst es: «Sie beobachtet und analysiert Trends und Perspektiven. ‘SRF Börse’ holt dazu die Meinung von Konzernchefs und anderen wichtigen Entscheidungsträgern der Wirtschaft ein.»
Die Sendung geriet 2016 ins Visier von Infosperber, und zwar mittels einer Beschwerde wegen Konzessionsverletzung. «SRF Börse» erlaube es den Zuschauenden nicht, sich eine eigene Meinung über das Börsengeschehen zu bilden, hielten die Beschwerdeführenden fest. Andere Sendungen würden die Einseitigkeit höchstens punktuell, aber nicht genügend wahrnehmbar, kompensieren. «SRF Börse» liessen nur CEOs, Verwaltungsratspräsidenten oder «Chefökonomen» von Banken zu Wort kommen, die selber an der Börse handeln und in der Börsensendung ihre eigenen Interessen vertreten, beanstandete Infosperber. «Die Sichtweisen der Anleger, der Pensionskassen-Versicherten, der Kleinsparer und Obligationenbesitzenden kommen praktisch nicht zum Ausdruck.» Die Beschwerde wurde von der Unabhängigen Beschwerdeinstanz (UBI) abgelehnt.
Themenbezogene Interessen (-bindung) der Autorin/des Autors
Keine.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine