Juristen fordern stärkeres Umweltrecht
Im Zentrum des im Juni stattfindenden Rio-Gipfels für nachhaltige Entwicklung steht der ökologische Umbau der Wirtschaft. Die Schweiz will der Weltgemeinschaft an dieser Konferenz eine visionäre Roadmap für ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum präsentieren. Die Roadmap soll die Staaten zum Beispiel darauf verpflichten, bis in 20?Jahren ihre Güter und Dienstleistungen gemäss den Kriterien der Nachhaltigkeit einzukaufen.
Ohne rechtlich bindende multilaterale Verträge würden solche visionären Forderungen jedoch nichts nützen, warnten Ende März Rechtsexperten in New York. Prominente Juristen aus aller Welt erinnerten an einem internationalen Treffen daran, dass im Kampf gegen Klimawandel und Umweltzerstörung seit dem Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung 1992 in Rio de Janeiro kaum Fortschritte erzielt wurden. Die meisten Länder seien ihren Verpflichtungen aus der Rio-Konferenz vor 20 Jahren nicht nachgekommen.
Die Juristen haben deshalb, initiiert vom Obersten Gerichtshof Brasiliens, im Vorfeld der Rio+20-Konferenz am 20. bis 22. Juni in Rio de Janeiro eine neue Initiative auf den Weg gebracht, um Gerichte und Rechtsprechung im Sinne der nachhaltigen Entwicklung zu stärken: der so genannte «World Congress on Justice, Governance and Law for Environmental Stability» (Weltkongress für Justiz, Regierungsführung und Recht für Umweltstabilität). Ein Kongress, der direkt vor der Rio-Konferenz ebenfalls in der brasilianischen Küstenstadt stattfinden soll, will Probleme und Hindernisse aus dem Weg räumen, die multilateralen Umweltabkommen bisher zu zahnlosen Papiertigern machen.
Vorbild ist Abkommen zum Schutz der Ozonschicht
Trotz der zahlreichen Abkommen, die seit der Stockholm-Konferenz über die menschliche Umwelt 1972 und dem Rio-Gipfel 1992 getroffen worden sind, sei der Erfolg bei der Umsetzung von Nachhaltigkeitszielen bisher äusserst gering, mahnen die Juristen. Unter den multilateralen Abkommen habe einzig das Montrealer Protokoll zum Schutz der Ozonschicht zum Erfolg geführt – konkret zu einem 98-prozentigen Rückgang ozonschädlicher Substanzen. Vorbild der Juristen-Prominenz ist deshalb dieses Abkommen.
«Das Montrealer Protokoll ist ein Paradebeispiel dafür, was erreicht werden kann, wenn Länder auf der Grundlage fest verabredeter Rechtsrahmen effektiv zusammenarbeiten», sagte Amina Mohamed, Vize-Exekutivdirektorin des UN-Umweltprogramms (UNEP), letzte Woche in New York laut dem Online-Magazin Klimaretter-Info. Der Juristen-Kongress wird sich deshalb mit Massnahmen befassen, die den Übergang zu einer Kohlendioxid-armen, effizienten und grünen Ökonomie auf der Grundlage der Rechtstaatlichkeit erreichen sollen.
Umweltschützer warnen vor zweitem Rio-Flop
Bereits in den letzten Wochen haben auf allen Ebenen vorbereitende Gespräche zum Rio-Gipfel stattgefunden. Umweltschützer sind alarmiert: Erneut drohe der Gipfel von Lobbygruppen derart vereinnahmt zu werden, dass am Ende nichts dabei herausschaue.
Auch die Schweizer Delegation ist sich der Problematik fehlender Verbindlichkeiten bewusst, die jede Vision zur blossen Absichtserklärung macht. «China investiert viel in eine grüne Wirtschaft und will bis 2030 der grösste Produzent erneuerbarer Energie werden», sagt der Schweizer Umweltbotschafter Franz Perrez, der an der Konferenz in Rio teilnehmen wird. «Gleichzeitig hat die Regierung Angst vor einer Einschränkung ihres Handlungsspielraums durch bindende internationale Verpflichtungen».
Wenn niemand die Einhaltung der Ziele kontrolliere, werde wohl jedes Land dem anderen den Vortritt lassen, sagt Perrez. Die Schweiz wolle deshalb einem inkohärenten und nicht umsetzbaren Vertragswerk mit pragmatischen Vorschlägen für thematische Themencluster begegnen. «Die Schweiz hat erfolgreich die Schaffung eines solchen Zentrums im Chemikalien- und im Abfallbereich initiiert. Die drei Sekretariate der relevanten Konventionen sind heute alle in Genf angesiedelt und werden von derselben Person geleitet». Das gewährleiste auch die Kontrollen zur Einhaltung der vereinbarten Ziele. Die UN-Umweltbehörde, so Perrez laut einem Interview im Magazin des Bundesamts für Umwelt (Bafu), sei dieser Aufgabe nicht mehr gewachsen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine