Gletscherschmelze in Grönland kann unser Wetter vorhersagen
Letzten Sommer erlebte Grönland eine Hitzewelle. Während das Augustwetter in Europa eher durchwachsen war, schmolz in Grönland ungewöhnlich viel Eis. Das viele Schmelzwasser, das in den Atlantik floss, wird Südeuropa in diesem Jahr vermutlich einen heissen, trockenen Sommer bescheren, sagt Marilena Oltmanns vom National Oceanography Centre (NOC) in England. In den nächsten fünf Jahren erwartet sie ausserdem eine Hitzewelle in Nordeuropa.
Die Gewissheit, mit der die Ozeanografin das sagt, ist eine bemerkenswerte Neuerung. Bisher gilt beim Wetter, dass man es hinterher immer am besten weiss. Ob der kommende Februar warm wird oder der Oktober trocken, können Meteorologen bislang nur qualifiziert vermuten. Mittel- und langfristige Wettervorhersagen sind deshalb notorisch ungenau.
Oltmans ist Erstautorin einer Studie des NOC, die untersucht hat, wie das Wetter in Grönland das Wetter in Europa beeinflusst. Je mehr Schmelzwasser dort ins Meer fliesst, desto heisser wird demnach der kommende Sommer hier. Die grönländische Gletscherschmelze beeinflusse das Wetter sogar für mehrere Jahre, legt das Forschenden-Team in der in «Weather and Climate Dynamics» veröffentlichten Studie dar.
Wetter ist ein Cocktail aus Wasser, Wind und Energie
Dasss schmelzende Gletscher das Wetter beeinflussen, vermutete man schon länger. Das NOC-Team hat nun die Kaskade beleuchtet, die dazu führt.
Grundsätzlich: Für unser Klima mitverantwortlich ist der Golfstrom als Teil des Nordatlantikstroms. Durch ihn gelangt warmes, salziges Wasser aus dem Golf von Mexiko bis nach Spitzbergen und fliesst dabei an Europa vorbei. Bei Spitzbergen taucht der Golfstrom ab, weil das salzreiche Wasser schwerer ist als salzarmes in der Umgebung. Das abgekühlte und dann salzärmere Wasser fliesst als Tiefenstrom entlang der nordamerikanischen Küste zurück nach Süden.
Eine wichtige Rolle für das Wetter spielt es, woher der Wind weht. Wind kann man verstehen als Ausgleichbewegung zwischen Gebieten mit hoher Energie und Gebieten niedriger Energie. Für Europa wichtig ist vor allem der nördliche Polarfrontjetstream, ein sich verändernder, wellenförmiger Höhenwind über Europa, der um den ganzen Erdball reicht und von West nach Ost weht. Liegt ein Gebiet oberhalb der Jetstream-Schleife, ist es – grob gesagt – kühler, liegt es darunter, ist es wärmer.
Das Schmelzwasser ändert alles
In diesem Cocktail aus Wasser, Wind und Energie ist das Gletscherwasser aus Grönland eine Zutat, die alles ändert. Durch die Gletscherschmelze entsteht vor Grönland eine Kaltwasserblase. Dort, wo wegen des Golfstroms warmes, salziges Oberflächenwasser sein müsste, ist dann kaltes Süsswasser. In grösserer Höhe entsteht dadurch eine Kaltluftbeule. Der Wind an Europas Küsten wird dadurch nach Norden abgelenkt, was tendenziell für wärmere, trockenere Sommer sorgt.
Das kalte Schmelzwasser grenzt sich im Winter deutlich vom umgebenden warmen Wasser ab, haben die Forschenden herausgefunden. Die Atmosphäre darüber wird instabil – es gibt mehr Wind. Auch der Nordatlantikstrom rutscht deshalb im Winter nordwärts, was die Temperaturunterschiede verstärkt.
Temperaturgrenzen im Wasser schieben warmes Wetter nach Norden
Im darauffolgenden Sommer würden die Winde der Temperaturfront folgen und dabei nach Norden umgelenkt, legen die Forschenden dar. Dies trage zur Bildung der grossräumigen atmosphärischen Zirkulationsbewegungen bei, die wärmeres und trockeneres Wetter über Europa bringen.
Die weltweit zunehmende Gletscherschmelze verursache zudem extremeres Wetter. Das sagen neben dem NOC beispielsweise auch die Max-Planck-Gesellschaft und die Victoria University of Wellington in Bezug auf die Antarktis, wo ebenfalls Tauwetter droht.
Informationen über Grösse, Lage und Stärke der Schmelzwasserzuflüsse aus Grönland könne man nutzen, um das Wetter über Europa in den darauffolgenden Jahren abzuschätzen, sagte Oltmanns zum «Guardian». Dieses Jahr erwarte man günstige Bedingungen für einen ungewöhnlich warmen und trockenen Sommer über Südeuropa. Wann genau ein solcher über Nordeuropa zu erwarten sei, könne man im vorhergehenden Winter präzisieren.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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