Die wolkigen Klimaversprechen der Fleisch- und Milchbranche
Die Lebensmittelindustrie steht unter zunehmendem Druck, ihren Beitrag zur Bekämpfung der Klimakrise zu leisten. Doch eine neue Analyse der Nichtregierungsorganisation Changing Markets zeigt ernüchternde Ergebnisse: Keines der 22 grössten Fleisch- und Milchunternehmen erreicht die von einer UN-Expertengruppe festgelegten Integritätsstandards, die auf der Weltklimakonferenz COP27 vorgestellt wurden.
Von den 22 untersuchten Unternehmen haben nur 15 ein Netto-Null-Ziel formuliert. Die umfangreiche Untersuchung zeige, dass die Lebensmittelkonzerne Taktiken und Strategien anwenden, die man bereits von «Big Oil», «Big Plastic» und der Tabakindustrie kenne. Die häufigsten Taktiken der Konzerne seien Verzögerung, Verschleierung und Ablenkung (Englisch: Delay, Distract, Derail).
Taktiken der Lebensmittelkonzerne
Changing Markets hat nicht nur das Engagement der grössten Lebensmittelkonzerne für das Klima untersucht. Es hat auch Werbeslogans, Spenden, Lobbying-Aktivitäten, personelle Verstrickungen und Scheinlösungen unter die Lupe genommen.
Das Fazit des Berichts: Wenn «Big Ag» Regulierungen zuvorkommen wolle, kündige die Agrar- und Lebensmittelbranche freiwillige Massnahmen an, tue jedoch alles, um zu verzögern, abzulenken und Bemühungen zum Scheitern zu bringen. Gleichzeitig würden Unternehmen finanziell grosszügig von der öffentlichen Hand unterstützt.
Beherztes Eingreifen wäre dabei dringend nötig. Ein Drittel der weltweiten Treibhausgasemissionen stammt aus der Lebensmittelherstellung, ein grosser Teil davon aus der Viehhaltung.
Danone vorne, Nestlé na ja. Sonst: Kein Ehrgeiz und wenig Plan
Der französische Konzern Danone schnitt im Klima-Ranking am besten ab. Danone hat Emissionsziele, die etwa einem 1,5-Grad-Szenario entsprechen. Als einziges untersuchtes Unternehmen will Danone zudem seine Methanemissionen bis 2030 um 30 Prozent reduzieren und auf pflanzliche Produkte umstellen. Seine Pläne haben laut Changing Markets die grösste wissenschaftliche Integrität.
Nestlé bewege sich langsamer und weniger transparent auf eine klimafreundlichere Zukunft zu. Changing Markets kritisiert zum Beispiel die fehlende Transparenz der Lieferketten und die Tatsache, dass Nestlés Reduktionsziel für 2030 am «business as usual» gemessen wird statt an einem fixen Punkt der Vergangenheit (Infosperber berichtete).
Vielen anderen Unternehmen fehlten Ehrgeiz und ein ganzheitlicher Ansatz, um Emissionen in der Lieferkette zu verringern. Die Ansätze von Unternehmen wie JBS, dem weltgrössten Fleischvermarkter und grössten Klimasünder in der Studie, seien mindestens umstritten.
Irreführende Narrative und Greenwashing
Viele Aktivitäten der Lebensmittelindustrie könne man unter «Greenwashing» zusammenfassen. Etwa die Strategie, Produkte anzubieten, die angeblich umweltfreundlicher und dazu teurer sind. Konzerne wie Nestlé, Friesland-Campina, Mafrig und Danone scheuten sich auch nicht, Kaffee, Schokolade, Milchpulver, Joghurt und sogar Rindfleisch als «klimaneutral» zu vermarkten.
Was den Weg zu einer klimafreundlicheren, pflanzenbasierten Ernährung betrifft, die sich so mancher Konzern auf die Fahne schreibt, geschehe wenig bis nichts. Unternehmen, die an pflanzenbasierten Produkten forschten, täten das häufig eher, um zusätzliche Märkte zu erschliessen, nicht, um ihr Sortiment klimafreundlicher zu gestalten.
Unsinnsgeschichten mit wissenschaftlicher Unterstützung
Die Unternehmen im Agrarsektor investieren gerne in Forschung, die ihre Position stärkt und Erzählungen ermöglicht, die ihre Sache fördern. Changing Markets identifizierte besonders drei gängige Narrative:
- Biogenes Methan: Methan aus der Viehhaltung wird als Teil des natürlichen Kreislaufs dargestellt. Die erheblichen Erwärmungseffekte des Gases werden verschwiegen.
- Argumentiert wird mit der umstrittenen Metrik GWP (Global Warming Potential, Deutsch: THP, Treibhausgaspotenzial), die das Erwärmungspotenzial von Gasen gegenüber CO2 bezeichnet. Das ist aber nicht ihrem tatsächlichen Anteil an der Erwärmung gleichzusetzen. Es wird behauptet, dass selbst kleine Reduzierungen zur Klimaneutralität des Agrarsektors führen können.
- Regenerative Landwirtschaft: Diese soll angeblich grosse Mengen Kohlenstoff im Boden speichern, doch die wissenschaftlichen Belege dafür sind zweifelhaft.
Bei sehr vielen grünen Vorhaben grosser Unternehmen könne man schon bei den Zahlen misstrauisch werden, schreiben die Autor:innen des 260-seitigen Reports. Nur ein kleiner Bruchteil dessen, was Unternehmen für Werbung aufwenden, gehe in Projekte zur Verringerung von Emissionen oder in die Forschung dazu.
JBS beispielsweise gebe 20 Millionen Dollar für Klimaanliegen aus. Das klinge nach einer grossen Summe, sei aber nur 6,2 Prozent dessen, was das Unternehmen für Marketing und PR bereitstelle, und 0,03 Prozent seines Umsatzes.
Lobbying und Einflussnahme
Die Lebensmittelkonzerne setzen jedoch erhebliche Summen für Lobbying ein, besonders in der EU und in den USA. Zwischen 2014 und 2022 gab es beispielsweise hunderte Meetings zwischen den Top-22-Unternehmen, ihren Lobbyorganisationen und verschiedenen EU-Politikern. Interne Memos, deren Freigabe Changing Markets, über Öffentlichkeitsgesetze erzwungen hat, zeigten, wie die Branche sich dafür feiere, das Klimagas Methan weitestgehend aus Regulierungsgesetzen herausgehalten zu haben.
Nestlé, Danone, Arla Foods, Lactalis, Cargill, Fonterra und Friesland-Campina geben jährlich zusammen zwischen 1,8 und 2,4 Millionen Euro für Lobbying in der EU aus. In den USA gaben acht der untersuchten Unternehmen vor 2022 insgesamt 7,2 Millionen Dollar für Lobbying aus und engagierten 15 Lobbyingunternehmen.
Ein aktuelles Beispiel für zweifelhafte Wissenschaft und Lobbying-Anstrengungen ist eine Kampagne zum Verbot von Fleisch aus Zellkulturen oder «Laborfleisch» in der EU, über die «Unearthed» berichtet.
Technologie soll’s richten, der Steuerzahler bezahlen
Mindestens 16 der 22 von Changing Markets durchleuchteten Unternehmen haben in den vergangenen Jahren technologische Lösungen angekündigt, die Emissionen reduzieren sollen, beispielsweise Futterzusätze für Vieh.
Viele davon seien wissenschaftlich zweifelhaft. Viele «Techno-Fixes» würden zwar entwickelt, aber nicht in grösserem Rahmen eingesetzt, weil das zu teuer oder aus anderen Gründen schwer realisierbar sei.
Zum Beispiel, weil Algen, die als Futterzusatz den Methanausstoss von Kühen reduzieren, gar nicht grossflächig angebaut werden können oder weil sie Substanzen enthalten, die für Menschen giftig sein könnten. Das hindere die Branche nicht daran, Subventionen für die Entwicklung solcher Lösungen zu kassieren.
Dringend geboten wäre es, mehr pflanzliche und weniger tierische Lebensmittel ins Programm aufzunehmen. In dieser Hinsicht geschehe wenig bis nichts, kritisiert Changing Markets. Unternehmen, die an pflanzenbasierten Produkten forschten, täten das eher, um zusätzliche Märkte zu erschliessen, und nicht, um ihr Sortiment pflanzlicher und damit klimafreundlicher zu gestalten.
Danish Crown, das für sich in Anspruch nimmt, für gesündere Ernährung in Dänemark sorgen zu wollen, habe sein Absatzgebiet beispielsweise lediglich nach China und Südostasien verschoben.
Werbung zielt auf die jüngere Generation
Überzeugen wollen die Lebensmittelkonzerne vor allem die Jungen. Diese seien generell bewusster und auch besorgter über Klima- und Gesundheitsanliegen. Was bereits dazu geführt hat, dass sie weniger Fleisch- und Milchprodukte konsumieren. Nach einer Untersuchung des Marktforschungsunternehmens Circana, die die «New York Times» aufgenommen hat, kaufen Mitglieder der Genation Z in den USA 20 Prozent weniger Milch als im nationalen Durchschnitt.
Die Vermarktung in der Gen-Z-Zielgruppe der etwa 15- bis 25-Jährigen über Social Media ist daher eine der wichtigsten Aktivitäten der Lebensmittelkonzerne. Fleisch wird als nachhaltige, natürliche und gesunde Wahl präsentiert. Dabei gehen die Hersteller insbesondere auf gesundheitliche Bedenken der Generation Z ein, um alternative pflanzliche Lebensmittel anzugreifen. Die Werbung soll vermitteln, dass diese verarbeitet und voller unnatürlicher Chemikalien sind.
Die Vermarktung findet über zielgruppennahe Kanäle wie Tiktok und Youtube, über Gamer, Wellness-Influencer, Internetpersönlichkeiten oder bekannte Sportler statt.
Es werde auch versucht, in Schulen auf Kinder und Jugendliche Einfluss zu nehmen, etwa in die Richtung, dass Fleisch und Milch ein unverzichtbarer Teil der Ernährung seien. Oder als Sympathie- und Solidaritätskampagne für die Produzenten.
Argumente verdrehen am Beispiel Nestlé
Zur Not tun es auch schräge Argumente. Nestlé argumentierte in seinem Nachhaltigkeitsbericht 2022, dass der Konzern nicht aus der Milchproduktion aussteigen werde, da sonst der Markt von Unternehmen erobert werde, die Milch auf weniger umweltfreundliche Weise produzieren. Also in etwa: «Wir machen so weiter, sonst macht es ein anderer. Und der wird viel schlimmer als wir.» Die Produktion von Milch und Milchprodukten macht ein Drittel der Emissionen Nestlés aus.
Eine andere beliebte Herangehensweise sei es, die Öffentlichkeit glauben zu machen, dass Regulierungen vor allem den kleinen Produzentinnen und Produzenten schaden. Diesen schadet aber vor allem das Marktgefüge, welches grosse Betriebe begünstigt. Von Subventionen profitieren ebenfalls vor allem grosse Unternehmen.
Kritik auch an den Medien
Kritik übt Changing Markets auch an den Medien. Der Einfluss der Fleisch- und Milchproduzenten auf das Klimageschehen werde in den grossen Medien zu selten thematisiert, findet die Organisation. Häufig würden Einzelne oder die gesamte Branche dabei als Opfer der Klimakrise dargestellt, obwohl sie einen erheblichen Anteil daran habe.
Konsumententipps
Zum Schluss des sehr umfangreichen und informativen Reports gibt es, natürlich, Tipps für Konsumentinnen und Konsumenten. Dieses sollen
- den Konsum von Fleisch und Milchprodukten einschränken. Wer zwei Drittel seiner Mahlzeiten vegan gestalte, könne seine Klimaemissionen bereits um 60 Prozent reduzieren.
- Unternehmen dazu auffordern, überprüfbare und realisierbare Klimaziele zu setzen.
- Kleinbauern und -bäuerinnen unterstützen, beispielsweise durch den Kauf von Gemüseboxen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Diese Riesenkonzerne, die weltweit für Armut, Ausbeutung, Raubbau und Umweltzerstörung verantwortlich sind, sollen ernsthaft wegen ihres Ausstoßes an Treibhausgasen an den Pranger gestellt werden? Das ist ein Feigenblatthema; selbst wenn diese Konzerne ganz wunderbare «klimakonforme» Produktion betrieben, würde es doch nichts an ihrem raubtierhaften Gebaren ändern. Weder verbesserte sich die Qualität der Produkte, noch würde der Raubbau, die zerstörerischen Monokulturen oder das menschenverachtende Preisdumping beendet. Dann gibt es eben mehr angeblich klimaschonende Kunstprodukte und kein Fleisch mehr, das ist denen doch völlig egal, solange die Kasse stimmt. Hier wird eine ganz und gar einseitige Sichtweise propagiert, dass mehr pflanzliche und weniger tierische Ernährung automatisch das Klima, die Umwelt und unsere Gesundheit retten; ein gefährlicher und vereinfachender Trugschluss.
Im Moment (11.08., 18.05) finden 44 % diesen Artikel nützlich, 56 % lehnen in ab. Das sagt alles über das Klimabewusstsein unserer Bevölkerung. Weniger als die Hälfte !!!!
Der Humus unserer Böden wurde durch weidene Wiederkäuer aufgebaut. Der monokulturelle Pflanzenanbau, mit allem was dazu gehört, zerstört diese Schicht, vergiftet Grundwasser und minimiert die Artenvielfalt. Ebenso bindet Humus CO2 im Boden. Eine umweltfreundliche Ernährung ist lokal und nicht von weltumspannendem Transport und Abholzung von Regenwald abhängig. Durch meine fast ausschliessliche, fleischliche (tierische) Ernährung bin ich kaum noch in einer der bekannten Ladenkette mit ihren hochverarbeiteten Produkten aus aller Welt. Meine gesamten Nahrungsmittel beziehe ich von zwei lokalen Biobauern. Wenn Kühe auf der Weide das Klima zerstören, tuen das dann auch Büffelherden in Afrika? Dass normale, natürliche Prozesse als Klimaschädlich propagiert werden können und geglaubt werden zeigt, wie weit weg die Klimahysterie von der Natur ist.
Danke für den Artikel. Einige Behauptungen in den Kommentaren finde ich hingegend haarsträubend, wie auch die vielen Downvotes. Selbstverständlich ist der übermässige Fleischkonsum ein grosser Treiber der Klimaerhitzung. Die FAO (Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen) gibt an, dass 14,5% aller vom Menschen verursachten Treibhausgasemissionen auf das Konto der Nutztierhaltung entfallen und der Fleischkonsum nimmt weltweit ständig zu. Der größte Teil der Emissionen entsteht bei der Futtermittel-Produktion. Es wäre deshalb dringend, die Fleischproduktion auf Weidefleisch und Raufutter (Gras, Heu, Silage) zu beschränken. Bei Bio-Labels ist das teilweise der Fall, bei Bio-Suisse z.B. zu 90%.