Klimaschutz: UN-Regulierungsbehörde beugt sich Industrie
Die Internationale Seeschifffahrts-Organisation (IMO) ist eine – der Öffentlichkeit nur wenig bekannte – Sonderorganisation der Vereinten Nationen. Sie wurde 1948 gegründet; seitdem sind die Ziele der Organisation klar umrissen: alle nicht rein wirtschaftlichen Angelegenheiten der Handelsschifffahrt auf internationaler Ebene regeln, die Meeresverschmutzung durch Schiffe verringern und möglichst ganz verhüten sowie die Schiffssicherheit und die Sicherheit der Seefahrt verbessern.
Vor allem der Schutz der Weltmeere hat für die IMO Priorität. So lautete ihr Motto bis vor knapp zwei Jahren: «Sicherere Schiffe und sauberere Meere.» Danach wurde es angepasst, hat aber nichts von seiner Bedeutung verloren: «Sichere, geschützte und effiziente Schifffahrt auf sauberen Meeren.»
Eine immense Herausforderung – immerhin verursacht die kommerzielle Schifffahrt mehr Schadstoffe als etwa der Flugverkehr. In Zeiten des Klimanotstands besteht für die UN-Organisation also enorm grosser Handlungsbedarf. Nur: Am 17. Juni hat die IMO alle Hoffnungen auf eine wirksame Regulierung der Branche zunichte gemacht. Sie beugte sich dem Druck der Industrie und beschloss nur kosmetische Massnahmen, die nicht zum Schutz des Klimas taugen.
Schnell wachsende Industrie – schwerfällige Regulierungsbehörde
Die Schifffahrt macht 90 Prozent des Welthandels aus und ist für drei Prozent der weltweiten CO2-Emmissionen verantwortlich. Wäre die Schifffahrt eine Nation, sie wäre die sechstgrösste Verursacherin von CO2, wie französische Medien vorrechnen. Und die Emissionen werden weiter ansteigen: Um 15 Prozent bis 2030 – wenn die IMO keine regulatorischen Massnahmen ergreift.
Der Handlungsbedarf ist also nicht nur gegeben, sondern dringend. Trotzdem handelt es sich bei der IMO um eine Organisation, die nur schwerfällig agiert. Denn der internationale Seehandel kann nicht von einzelnen Nationen reguliert werden, es braucht die Zusammenarbeit der 174 Staaten, die der IMO angehören.
Streit um Prozentsätze statt wirksamer Umweltschutz
Was das bedeutet, konnte zwischen dem 10. und 17. Juni beobachtet werden. An diesen Tagen veranstaltete der Ausschuss für den Schutz der Meeresumwelt (MEPC), also das Gremium der IMO, das sich mit Umweltfragen befasst, eine Arbeitssitzung über die dringende Notwendigkeit einer drastischen Reduzierung der Emissionen im Seeverkehr.
Schon vor der Sitzung brachten die Marshallinseln den Vorschlag ein, als Instrument zur Reduzierung der Treibhausgase eine Kohlenstoffsteuer zu beschliessen. Statt die wirksame Regulierungssteuer anzunehmen, stiess der Vorschlag aber nur bei einigen wenigen Mitgliedsstaaten auf Zustimmung. Lieber stritten die Mitgliederstaaten über den Prozentsatz, der effektiv eingespart werden solle.
Um die globalen Klimaziele zu erreichen, schlugen zum Beispiel die Europäische Union, die USA sowie die Marshallinseln, die Salomon-Inseln und Tuvalu eine Reduktion der Treibhausgase um 22 Prozent vor und verlangten, diese Reduktion zwischen 2023 und 2030 umzusetzen. Eine Gruppe um China, Brasilien und Indien unterstützte für denselben Zeitraum eine Reduktion von noch elf Prozent.
Nach einer Woche erbitterter Debatten führten die Gespräche der Mitgliedsstaaten dann zu einem mickrigen Kompromiss: Der Seeverkehr muss seine Emissionen zwischen 2023 und 2026 um nur elf Prozent reduzieren, für den Zeitraum zwischen den Jahren 2027 und 2030 wurde erst gar kein Ziel formuliert. «Das ist ein echter Fehlschlag. Dieser erste Schritt zur Dekarbonisierung des Seeverkehrs ist eindeutig nicht hoch genug», liess sich ein Vertreter der IMO-Delegation von Frankreich im französischen Online-Portal «mediapart» zitieren.
Umweltschutzorganisationen bezeichnen den Kompromiss als «totale Missachtung der Klimawissenschaft» und als «kosmetische Massnahme». Das im Pariser Abkommen festgelegte Ziel einer globalen Erwärmung, die nicht 1.5 Grad Celsius übersteigen darf, könne damit niemals erreicht werden.
Sechs Jahre Stillstand
Es ist nicht das erste Mal, dass die IMO und der MEPC beim Schutz der Umwelt und des Klimas enttäuschen. Bereits im Jahr 2018 haben die Mitgliedsstaaten eine Strategie verabschiedet, um den Kohlenstoff-Fussabdruck von Schiffen bis 2030 um 40 Prozent im Vergleich zu 2008 zu reduzieren; die Treibhausgasemissionen des Sektors sollen bis 2050 halbiert werden.
Allerdings schaffte es der Ausschuss für den Schutz der Meeresumwelt erst im Herbst 2020 einen rechtlichen Rahmen zu verabschieden, um dann ab 2023 «kurzfristige» verbindliche Massnahmen zu ergreifen. Zur Dekarbonisierung des Seeverkehrs wurden zwei Instrumente ausgehandelt. Der «Energy Efficiency Existing Ship Index (EEXI)», der Schiffen eine Leistungsbewertung gibt, wodurch bestimmte Effizienzstandards erfüllt werden sollen.
Die zweite Massnahme ist der «Carbon Intensity Indicator (CII)». Mit diesem Instrument, mit dem Schiffe anhand ihrer CO2-Intensität bewertet und in verschiedene Kategorien eingeteilt werden (ähnlich den Bewertungen bei Elektrogeräten oder Motorfahrzeugen), soll unter anderem der Druck auf Schiffsbetreiber erhöht werden, nur noch effiziente Schiffe einzusetzen. Die umweltschädlichsten Frachtschiffe müssten ab 2023 einen verpflichtenden Massnahmenkatalog vorlegen, ohne den sie nicht fahren dürfen. Der Anreiz: Die am wenigsten emittierenden Schiffe sollen weniger Hafengebühren bezahlen müssen.
Das sind wichtige erste Massnahmen, die aber viel zu langsam umgesetzt werden. Von der Verabschiedung bis zur Umsetzung werden insgesamt knapp sechs Jahre vergehen. Sechs Jahre, in denen rostige und veraltete Dreckschleudern weiter ungestört die Meere und Ozeane sowie die übrige Umwelt verschmutzen werden.
Regulierungsbehörde ertrinkt im Lobbyismus
Die Langsamkeit der UN-Behörde hat zwei Gründe. Erstens haben Länder wie Singapur, Indien, Brasilien oder China nur wenig Interesse daran, ihre Flotten zu dekarbonisieren. Die Flotten sind für ihr boomendes Wirtschaftswachstum unerlässlich, eine Um- oder Nachrüstung der Schiffe ist teuer und zeitaufwändig.
Zweitens wurde die Internationale Seeschifffahrts-Organisation längst von Lobbygruppen der Schifffahrtsindustrie unterwandert: Sie sitzen mitten in der UN-Regulierungs-Behörde. Zum Teil ist das historisch bedingt: Die IMO arbeitet mit einem starken Technik-Bezug, weshalb sie schon immer Schiffsbauer oder Ölfirmen als Berater hinzugezogen hat. Dabei war klar, dass diese Berater nicht nur ihr Fachwissen zur Verfügung stellten, sondern auch eigene wirtschaftliche Interessen verfolgten. Erst in jüngerer Zeit, als der Klima- und Umweltschutz zum Politikum wurden, sind dann immer mehr auch politische Interessen aufgetaucht.
Zu den Organisationen, die einen beratenden Status bei der IMO haben, gehören zum Beispiel die Weltreeder-Lobby Bimco; die mächtige Internationale Schifffahrtskammer (ICS); der Verband der Superyacht-Bauer und verschiedene Unternehmen, die Tanker bauen. Mit dabei ist auch die Association of Oil & Gas Producers, also das globale Forum der Erdölindustrie, welches die Interessen der fossilen Brennstoffriesen ExxonMobil, Shell und Chevron verteidigt.
Die Vertreterinnen und Vertreter dieser multinationalen Konzerne können bei den Sitzungen jeweils nach den Mitgliedsstaaten das Wort ergreifen – und ihre Zahl übersteigt bei weitem die der wenigen akkreditierten NGOs wie etwa WWF oder Greenpeace. Aber es kommt noch schlimmer: Den Delegationen der einzelnen Mitgliedsstaaten können ebenfalls Industrielle angehören. So stammt jeder vierte Delegierte, der im Ausschuss für den Schutz der Meeresumwelt sitzt, aus der industriellen Schifffahrtsbranche.
Handeln, wenn es zu spät ist
Weiter werden einige Staaten direkt von Registergesellschaften vertreten. Also von Organisationen, die Schiffe registrieren, sie damit einem Hafen zuordnen und so dem dort geltenden Rechtssystem unterwerfen. Darunter zum Beispiel Liberia, die Bahamas und die Marshallinseln. Zu diesen drei Ländern gehören denn auch die weltweit grössten Schiffsflotten.
Die Marshallinseln sind zwar «nur» ein Archipel im Herzen des Pazifiks mit knapp 58’000 Einwohnerinnen und Einwohnern, dafür fahren 3’700 Schiffe unter ihrer Flagge. Denn nach der internationalen Anerkennung seiner Unabhängigkeit unterzeichnete der Inselstaat 1990 ein Abkommen mit dem US-Unternehmen International Registries Inc., um Frachtschiffe durch steuerliche Anreize dazu zu bewegen, unter seiner Flagge zu fahren.
Trotz der grossen eigenen Schiffsflotte unterbreiteten die Marshallinseln im März 2021 den übrigen IMO-Mitgliedsstaaten plötzlich die Idee einer Kohlenstoffsteuer, die auf die gesamte internationale Schifffahrt erhoben werden soll. Beginnend mit 100 US-Dollar pro Tonne sollte diese Steuer auf die CO2-Emissionen von Schiffen alle fünf Jahre schrittweise ansteigen, so dass bis 2050 die Nutzung fossiler Brennstoffe in der Schifffahrt komplett eingestellt würde.
Bei den meisten Mitgliedsstaaten fand der Vorschlag kein Gehör. Der Vorschlag wurde auf Eis gelegt. Gemäss dem kürzlich verabschiedeten Arbeitsplan der IMO wird diese Massnahme als «mittelfristig» bezeichnet und könnte damit erst nach 2024 entwickelt werden.
Allerdings ist es bezeichnend, dass ausgerechnet eine der Drehscheiben des internationalen Seehandels plötzlich den Wunsch hegt, der Schifffahrtsindustrie konkrete Emissions-Regeln aufzuzwingen. Der Grund ist einfach: Wegen der globalen Erwärmung steigt der Meeresspiegel. Die 30 Atolle, aus denen die Marshallinseln bestehen, könnten bereits bis 2080 vollständig überflutet werden.
Oder anders ausgedrückt: Umwelt- und Klimaschutz erst dann, wenn man selber von den negativen Auswirkungen der Klimakrise betroffen ist. Nur dürfte es dann in vielen Fällen bereits zu spät sein.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Solange sich der globalistische Ausbeuterkapitalismus weiter inszeniert darf, wird sich vermutlich an der Verschmutzung der Meere, durch grosskalibrige alte Dreckschleudern nichts ändern. Vielleicht in weiterer Zukunft, wenn zum Beispiel die neue Seidenstrasse, oder gar eine Brücke über die Beringstrasse Landkommunikation der Kontinente möglich macht.
Besser wäre es allerdings mit der globalen Ausbeutung auf zu hören, die Produktion von Konsum- und sonstigen Wirtschaftsprodukten, wieder in die nähe der jeweiligen Verbraucher zu bringen. Vermutlich würde uns dadurch, so mancher Krieg, ob kalt oder warm und so manche sozialen Unruhen, erspart bleiben.
Die anthropogenen CO2-Freisetzungen zu reduzieren, kann nur sinnvoll sein, wenn tatsächlich nur die Hälfte von ihnen rasch aus der Atmosphäre ausgeschieden wird und die andere Hälfte langfristig verbleibt. Dass das systematisch so ist, darf bezweifelt werden. Eine physikalische Erklärung hierfür gibt es jedenfalls nicht. Nach der Physik hängt die Entnahme vielmehr nur von der (momentanen) Konzentration ab und sie ist unabhängig von der (momentanen) Freisetzung. Und wenn die Konzentration steigt, dann steigt auch die Entnahme, was dem weiteren Anstieg der Konzentration entgegen wirkt. Da die natürlichen Freisetzungen und Entnahmen ungefähr 20 mal größer als die anthropogenen Freisetzungen sind, können letztere die Konzentration auch nur um etwa 5 % erhöht haben. Die tatsächliche Zunahme um ca. 50 % kann daher nur erreicht worden sein, indem die natürlichen Freisetzungen stark angestiegen sind. Als Ursache kommt vor allem die allgemeine Erwärmung in Frage, weil die Ozeane bei Erwärmung CO2 abgeben. Das viele CO2 wäre dann eine Folge der Erwärmung, nicht deren Ursache und der anthropogene Anteil wäre nur sehr klein.
Unterstützt wird die natürliche Verursachung des vielen CO2 noch durch eine ganze Reihe weiterer Argumente, siehe Eike Roth, «Abgesagt! Dem Klimanotstand bricht die Basis weg», ISBN 978-3-7526-4764-8. Angesichts der möglichen Konsequenzen ist es höchste Zeit, dass die dort vorgebrachten Argumente sorgfältig diskutiert werden.
Lieber Herr Tscherrig
Die Entrüstung sollte etwas relativiert werden weil es «nur» um 3% des CO2 geht bei diesem Thema.
Trotzdem könnte viel getan werden gerade mit Verbrennungsmotoren. Schon seit langem bekannt und von gewissen Interessenkreisen verhindert ist die HHO Technologie. Ein wenig Wasserstoff in die Ansaugluft gegeben und schon reduziert sich der Treibstoffverbrauch um 30% und mehr. Zudem wird die Verbrennung sauber und schohnt so die Umwelt zusätzlich.
Solange sogar unsere MFK einen Einbau solcher im Handel erhältlichen Geräte nicht zulässt, stehen wir mit echten und wirksamen Methoden hinter Politik und Grosskonzernen auf verlorenem Posten.
«Die Schifffahrt macht 90 Prozent des Welthandels aus und ist für drei Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich.» – Der Schifffahrt ist die Basis der Grundversorgung und damit auch der Zivilisation wie wir sie kennen. 90% gegen 3% CO2 scheint mit ein sehr gutes Verhältnis zu sein. Klimaauflagen die sich einschränkend oder gar drangsalierend auf den Welthandel auswirken, bedrohen die globale Grundversorgung, das muss man klar sehen. So wie ich informiert bin emittiert vor allem die schweröl-betriebene Schifffahrt weit schädlichere Schadstoffe als das geruchlose CO2. Hier sehe ich mehr Handlungsbedarf. Aufrüsten, nicht abrüsten muss die Devise sein.