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Im Nationalpark Gorongosa in Mosambik bilden Elefantenkühe kaum noch Stosszähne aus. Die Tiere haben sich innerhalb von nur einer Generation dem hohen Druck durch Wilderei und Trophäenjagd angepasst – mit fatalen Folgen für die gesamte Population © pixabay/Symbolbild

Jagd auf Elefanten führt zu Veränderungen im Genpool

Tobias Tscherrig /  In Mosambik haben sich Elefanten in kurzer Zeit weiterentwickelt: Nun kommen sie ohne Stosszähne zur Welt. Schuld ist die Wilderei.

Im Gorongosa-Nationalpark von Mosambik werden auffallend viele Elefantenkühe ohne Stosszähne geboren. Der Grund: Während des Bürgerkriegs von 1977 bis 1992 töteten Menschen so viele Elefanten wegen ihres lukrativen Elfenbeins, dass sich die Tiere innerhalb von nur einer Generation weiterentwickelt haben. Da traumatische Erlebnisse in der Geschichte einer Tierpopulation auch im Genom der Tiere Spuren hinterlassen können, haben die weiblichen Elefanten des Nationalparks ihre Stosszähne in kürzester Zeit zurückgebildet.

Bereits im Oktober haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Gene identifiziert, die für dieses Phänomen verantwortlich sind. Die Mutation der zahnbildenden Gene führt aber nicht nur dazu, dass Elefantenkühe keine Stosszähne mehr entwickeln – bei Elefantenbullen verläuft die Mutation oft sogar tödlich.

Langfristige Folgen für Population

Seit die Elefantenkühe keine Stosszähne mehr entwickeln, ist ihre Lebensdauer gestiegen. Schlichtweg deshalb, weil sie für Wilderer uninteressant geworden sind. Neben diesem positiven Effekt, wird sich die Mutation in den zahnbildenden Genen aber sehr wahrscheinlich auch langfristig und negativ auf die Elefantenpopulation im Gorongosa-Nationalpark auswirken.

Denn normalerweise haben sowohl männliche als auch weibliche Elefanten Stosszähne – nur in Ausnahmefällen werden sie ohne die massiven Zähne geboren. Wie die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler herausgefunden haben, ist es bei starker Wilderei wahrscheinlicher, dass diese wenigen Elefanten, die keine Stosszähne haben, ihre Gene weitergeben. Genau dieses Phänomen haben die Forscherinnen und Forscher im Gorongosa-Nationalpark beobachtet – wo Elefanten ohne Stosszähne heute ein alltäglicher Anblick sind. Auffallend dabei: Bei sämtlichen zahnlosen Tieren handelt es sich um weibliche Exemplare. Männliche Tiere ohne Stosszähne kommen nicht vor.

«Wir hatten die Ahnung, dass die genetische Mutation, die den Elefanten die Stosszähne nimmt, auch die Männchen tötet», sagt Shane Campbell-Staton, Evolutionsbiologe an der Princeton University, gegenüber der «New York Times». Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wollten mehr erfahren und werteten deshalb Langzeitdaten aus: Mit Hilfe dieser Daten, darunter zum Beispiel auch Videoaufnahmen der Elefanten des Gorongosa-Nationalparks aus der Vorkriegszeit, kamen sie zum Schluss, dass bereits vor dem Krieg fast jedes fünfte Weibchen keine Stosszähne entwickelt hatte. Das könnte etwa auf frühere Konflikte und den Druck der Wilderei zurückzuführen sein, sagt Campbell-Staton. Zum Vergleich: Bei gut geschützten Elefantenpopulationen entwickeln nur etwa zwei Prozent der Tiere keine Stosszähne.

Ohne Stosszähne: Fünfmal höhere Überlebenschance

Im Gorongosa-Nationalpark entwickeln dagegen bereits rund die Hälfte aller Elefantenkühe keine Stosszähne mehr. Die weiblichen Tiere, die den Krieg überlebt haben, haben diese Eigenschaft an ihre Nachkommen weitergegeben. So zeigte eine Modellrechnung, dass diese Veränderung mit ziemlicher Sicherheit auf eine natürliche Selektion zurückzuführen ist und nicht zufällig geschieht. Denn bereits in den Jahrzehnten vor dem Krieg hatten Elefantenkühe ohne Stosszähne der Wilderei wegen eine mehr als fünfmal höhere Überlebenschance.

Das Muster der Stosszahnlosigkeit in Familien bestätigte die Vermutung der Wissenschaftler: Es scheint sich um ein dominantes Merkmal zu handeln, das von Weibchen getragen wird und für Männchen tödlich ist. Das bedeutet, dass ein Weibchen mit einer Kopie der Gen-Mutation keine Stosszähne entwickelt. Die Hälfte ihrer Töchter wird dagegen trotzdem Stosszähne ausbilden, die andere Hälfte nicht. Von ihren Söhnen wird die Hälfte Stosszähne entwickeln – die andere Hälfte wird sterben, oft bereits vor der Geburt. Deshalb sind die Folgen für die Elefanten-Population im Gorongosa-Nationalpark so gravierend: Es werden immer weniger Elefantenbullen geboren.

Rückbildung von Stosszähnen: Zwei Gene spielen eine Rolle

Das wissenschaftliche Team sequenzierte die Genome von Weibchen, die keine Stosszähne entwickelt hatten, und verglich sie mit den Genomen der Elefantenkühe, die Stosszähne ausgebildet hatten. Sie suchten nach Unterschieden und fanden zwei Gene, die bei der Rückbildung der Stosszähne eine Rolle spielen: Beide Gene tragen zum Aufbau der Zähne bei. Das Gen, das die von den Wissenschaftlern in der Natur beobachteten Muster am besten erklärt, heisst AMELX und befindet sich – wie erwartet – auf dem X-Chromosom. Dieses Gen ist auch an einem seltenen menschlichen Syndrom beteiligt, das kleine oder missgebildete Zähne verursachen kann.

Allerdings kennen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die exakten Veränderungen im Genom noch nicht, die bei Elefanten zum Verlust der Stosszähne führen. Die Antwort auf diese Frage will das Team um Campbell-Staton demnächst herausfinden. Ausserdem wollen sie eine Antwort auf die Frage liefern, wie Elefanten ohne Stosszähne leben. Normalerweise benutzen die Tiere ihre Stosszähne als wichtiges Werkzeug, etwa um Baumrinde abzuschälen, Wasserlöcher zu graben und sich zu verteidigen. Deshalb liegt die Vermutung nahe, dass die betroffenen Elefanten ihr Verhalten grundlegend ändern müssen, um den Verlust ihrer Stosszähne zu kompensieren.

Phänomen bereits bei Dickhorn-Schafen beobachtet

Es ist nicht das erste Mal, dass Forscher beweisen, dass sich Wilderei und Trophäenjagd auf die Genome von Tieren auswirken können. So fand zum Beispiel Fanie Pelletier, eine Populationsbiologin an der Université de Sherbrooke in Quebec, heraus, dass männliche Dickhornschafe in Kanada kleinere Hörner entwickelt haben, nachdem sie jahrzehntelang wegen ihrer grossen Hörner gejagt worden waren. Zwar ist die Veränderung bei den Schafen – im Vergleich zum vollständigen Verlust der Stosszähne bei Elefanten – nur subtil, aber sie ist da.

Und im Gegensatz zu der genetischen Veränderung der Dickhornschafe hat die Veränderung bei den Elefanten massive Auswirkungen. Selbst wenn die Wilderei aufhören würde, die Stosszahnlosigkeit würde weiterhin viele Elefantenbullen töten. Und es wird lange dauern, bis die Häufigkeit dieser Genveränderung auf ein normales Mass zurückgeht.


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Eine Meinung zu

  • am 8.12.2021 um 13:34 Uhr
    Permalink

    Ich würde es nicht so formulieren wie der Autor, dass «sich» die Stosszähne zurückgebildet haben, sondern diese Entwicklung ist offensichtlich Resultat menschlicher Eingriffe. Man sollte dies also eher als (negative) «Züchtung» oder Auslese bezeichnen – verursacht von den Elefantenjägern, aber sicherlich nicht so von ihnen beabsichtigt.
    Die betreffenden Gene setzen «sich» genauso wenig von alleine durch, wie Preise und Mieten quasi (und von den üblichen Formulierungen suggeriert) von sich aus steigen, so, als könnten Menschen bzw. Produktionsverhältnisse irgendwie gar nichts dafür…

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