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Fluor-Kontrolle nach einem Langlaufrennen: Für Sünder gibt es keine Sperren. © RTR

Fluor-Sünder dürfen munter weiter starten

Marco Diener /  In der Schweiz sind fluorhaltige Wachse an allen Langlaufrennen verboten. Wer dagegen verstösst, hat aber kaum etwas zu befürchten.

Der Schweizerische Ski-Verband (Swiss-Ski) hielt letzten Herbst unmissverständlich fest: «Die Verwendung von fluorierten Wachsen oder von Tuning-Produkten, die Fluor enthalten, ist in allen Disziplinen und auf allen Stufen verboten.» Das heisst: auch an Breitensport-Anlässen wie dem Kandersteger Volkslauf, dem Gommerlauf oder dem Engadin-Skimarathon. Diese Läufe gehören zur Swiss-Loppet-Serie und stehen unter der Aufsicht von Swiss-Ski.

Im Wettkampf verboten, aber frei erhältlich

Die Situation ist paradox. Fluorhaltige Wachse werden nach wie vor hergestellt. Sie sind noch immer frei erhältlich. Sportgeschäfte bieten im Vorfeld von Volksläufen den Wachsservice – auf Wunsch – mit fluorhaltigen Wachsen an. Kein Wunder, dass Volksläufer im Zielraum blagieren, welche «Rakete» sie dank des Fluors an den Füssen gehabt hätten.

Nur zwei Kontrollgeräte

Kontrolliert wird wenig. Denn in der Schweiz gibt es bloss zwei Kontrollgeräte und nur drei zertifizierte Tester. Am Gommerlauf Ende Februar kontrollierten die Tester 70 Ski – diejenigen der ersten zehn Männer und der ersten zehn Frauen sowie von zufällig ausgewählten Läufern. Drei Ski waren mit Fluor gewachst worden. Die drei Läufer wurden disqualifiziert. Trotzdem war einer von den dreien zwei Wochen später am Engadin-Skimarathon bereits wieder am Start.

Bloss eine Disqualifikation

Wie ist das möglich? Das Swiss-Ski-Wettkampfreglement sieht bloss vor: «Die Verwendung von fluorierten Wachsen oder von Tuning-Produkten, die Fluor enthalten, wird mit einer Disqualifikation sanktioniert.» Swiss-Ski könnte zwar Fluor-Sünder durchaus sperren. Denn im Wettkampfreglement sind Sperren bei «Nichteinhaltung des Reglements» und bei «unsportlichem Verhalten» vorgesehen.

Trotzdem sieht Swiss-Ski genauso wie der Internationale Ski-Verband (FIS) von Sperren ab. Swiss-Ski erklärt auf Anfrage von Infosperber: «Bei Fluor-Verstössen kann man oft nicht sagen, dass es ein Fehler des Athleten oder der Athletin war. Oftmals werden die Ski nicht selber gewachst, und/oder die Ski kommen auf einem anderen Weg – beispielsweise über verunreinigte Gegenstände – mit Fluor in Kontakt.»

Die Behauptungen der Doping-Sünder

Das leuchtet zwar ein. Einerseits. Andererseits aber gelten diese Einwände auch fürs Doping. Der Schweizer Leichtathlet Alex Wilson redete sich heraus, indem er behauptete, er habe in einem Restaurant in den USA kontaminiertes Fleisch gegessen. Der deutsche Langstreckler Dieter Baumann sagte, jemand habe ihm ein Dopingmittel in die Zahnpastatube gespritzt. Und die norwegische Langläuferin Therese Johaug beschuldigte ihren Arzt, weil er ihr eine Lippenpomade mit einem verbotenen Wirkstoff gekauft hatte. Gesperrt wurden sie trotzdem.

Kleines Risiko

Nur: Solange Fluor-Sünder keine Sperre zu fürchten haben, werden sie von ihrem Tun kaum ablassen. Denn das Risiko, dass sie erwischt werden, ist klein. Und wenn sie doch erwischt werden: Dann ist eine blosse Disqualifikation keine Strafe, die wirklich schmerzt. Ausser bei Läufern, die es an sich aufs Podest geschafft hätten.

Dass das Risiko, erwischt zu werden, sehr klein ist, zeigte sich beim diesjährigen Engadin-Skimarathon. 12’400 Läufer und Läuferinnen kamen ins Ziel. Nur gerade 70 mussten einen Ski in die Kontrolle geben. Das ist nur ein gutes halbes Prozent. Von den 70 Ski waren 6 mit Fluor gewachst.

Beobachtungen in den Abfahrten

Die Organisatoren des Engadin-Skimarathons liessen übrigens die Ski der drei erstplatzierten Männer und Frauen testen. Zudem beobachteten Helfer die Läufer in den Abfahrten. War jemand dort auffallend schnell, musste er am Ziel einen Ski den Kontrolleuren abgeben.

Übrigens: Die Verantwortlichen des Engadin-Skimarathons sind strenger als die Organisatoren anderer Läufe und als der Verband Swiss-Ski. Wer mit Fluor-Wachs erwischt wird, der bleibt zwei Jahre lang gesperrt. Aber nur für den Engadiner. An allen anderen Langlaufrennen dürfen Fluor-Sünder trotzdem teilnehmen.

Fluorhaltige Wachse – von den Anfängen bis zum Verbot

Die ersten fluorhaltigen Wachse kamen 1987 auf den Markt. Sie machen die Ski vor allem in nassem Schnee schnell, weil sie wasser- und schmutzabweisend sind. Rasch zeigte sich aber, dass die Per- und polyfluorierten Alkylverbindungen (PFAS) in Böden und Gewässer gelangen und dort verbleiben. Denn PFAS sind ausgesprochen langlebig.

PFAS können zu Gesundheitsproblemen wie Krebs, Schäden am Erbgut, Schilddrüsenerkrankungen, Leberschäden und Fruchtbarkeitstörungen führen. Sie gelangen normalerweise über die Nahrungskette in den menschlichen Körper. Beim Skiwachsen auch über die Atemluft.

Der Internationale Ski-Verband kündigte schon 2019 ein Verbot für die Verwendung fluorhaltiger Wachse an. Auf Profi-Stufe wurde das Verbot aber erst auf den Winter 2023/2024 eingeführt, auf Amateur-Stufe sogar erst auf diesen Winter hin.

Ausserhalb von Wettkämpfen ist die Verwendung fluorhaltiger Wachse nach wie vor erlaubt. Ebenso die Herstellung und der Verkauf. Die Schweizer Firma Toko, die mittlerweile zum norwegischen Brav-Konzern gehört, stellt keine Fluor-Wachse mehr her. Mehrere Staaten sind daran, gewisse PFAS zu verbieten. Die Schweiz dürfte, wenn es so weit ist, die EU-Regelungen übernehmen.

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Zum Infosperber-Dossier:

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