Bundesrat nimmt seinen Atomausstieg nicht ernst
Für Lampen, Umwälzpumpen, TV- und Kühlgeräte gelten in der Schweiz ab Januar 2012 neue Strom-Verbrauchsvorschriften. Geräte, die mehr Strom brauchen, dürfen noch bis Juli 2012 produziert oder importiert und bis Januar 2014 verkauft werden. Diese Revision der Energieverordnung hat der Bundesrat heute Mittwoch beschlossen. Damit ergänzt er bereits früher beschlossene Verbrauchsvorschriften, die einige Haushaltgeräte sowie Teile der Beleuchtung erfassen (Teilverbot von Glühlampen, etc.).
Vorschriften sparen mittelfristig 2,25 Prozent
»Die neuen Vorschriften bewirken bis 2020 eine jährliche Stromeinsparung von 1,35 Milliarden Kilowattstunden (kWh), was dem dreifachen Jahresstromverbrauch des Kantons Schaffhausen entspricht», schreibt dazu die PR-Abteilung des federführenden Bundesamtes für Energie (BFE). Das tönt schön. Nur: Der Kanton Schaffhausen verbraucht weniger als ein Hundertstel des Stroms in der Schweiz.
Gemessen am massgebenden gesamten Schweizer Stromverbrauch von jährlich 60 Milliarden kWh sparen die neuen Vorschriften ab 2020 lediglich 2,25 Prozent; dies immer im Vergleich zur unbeeinflussten Entwicklung. Zum Vergleich: Allein von 2000 bis 2010 hat der Stromabsatz in der Schweiz um 14,2 Prozent zugenommen.
Genutzt wird nur ein Viertel des Sparpotenzials
Die Schweizer Verbrauchsvorschriften orientieren sich weitgehend an den Normen der EU. Ausnahmen: Einen tieferen Stromverbrauch als die EU verordnete der Bundesrat schon früher für Wäschetrockner und jetzt neu auch für Kühl- und Gefriergeräte.
Insgesamt aber bleiben die neuen Vorschriften in der Schweiz und in der EU weit hinter dem Stand der besten Technik (»best available technology») zurück. Das liegt einerseits daran, dass die Verbrauchswerte zu large sind, zum Beispiel für TV-Geräte und Industriemotoren. Andererseits bestehen für eine Reihe von gewichtigen Stromfressern überhaupt keine Vorschriften; das gilt etwa für weitere Haushaltgeräte, Bürobeleuchtungen, Ventilatoren, Computer, Wärmepumpen und industrielle Pumpen.
Wenn der Bund überall die beste Stromspar-Technik vorschriebe, so hat die Schweizerische Agentur für Energieeffizienz (SAFE) ausgerechnet, liesse sich der Stromverbrauch in der Schweiz mittelfristig um mehr als fünf Milliarden kWh oder rund neun Prozent vermindern. Das entspricht annähernd der zweifachen Jahresproduktion des KKW Mühleberg.
Wirtschaftspolitik kommt vor Energiepolitik
Unzufrieden mit den neuen Vorschriften sind die Umweltorganisationen, welche die Durchsetzung der besten Energiespar-Technik gefordert hatten: «Der Effort beim Stromsparen, den sich der Bundesrat mit seinem Beschluss zum Atomausstieg selber auferlegt hat, ist mit dieser Energieverordnung leider ausgeblieben», kritisiert Greenpeace-Sprecherin Annette Reiber. Aus energiepolitischen Gründen wäre die Durchsetzung der besten Technik zwar wünschbar, erkennt auch BFE-Sprecherin Marianne Zünd. Doch der Bundesrat habe einen gesamtpolitischen Entscheid gefällt. Denn aus wirtschaftlichen Gründen sei es nur in Ausnahmefällen möglich, strengere Vorschriften als die EU zu verordnen, nämlich bei Geräten, die auch in der Schweiz erzeugt werden. Dem wiederum widerspricht SAFE-Mitglied Eric Bush: «Wenn die Schweiz mit strengeren Vorschriften eine Pionierrolle übernimmt, kann sie Druck zum Nachvollzug in der EU ausüben und damit die Wirkung ihrer Verbrauchsvorschriften vervielfachen.»
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine