Verdreifachung des Strompreises, aber kein Crash
Die Schweiz erlebt zurzeit die intensivste Kälteperiode seit 27 Jahren. Das bestätigt Stephan Bader, Klimaexperte bei MeteoSchweiz: Die Durchschnitts-Temperatur in den ersten neun Februartagen 2012 betrug in Zürich minus 10,8 Grad und lag damit um elf Grad unter dem langjährigen Mittelwert. Eine intensivere Kältephase gab es laut MeteoSchweiz letztmals im Januar 1985.
Die Stromlobby warnte schon letzten Sommer, Elektrizität könne in der kalten Jahreszeit knapp werden, nachdem Deutschland als Reaktion auf den Atomunfall in Fukushima acht Atomreaktoren abgestellt hatte. Doch der Crash blieb aus; selbst die kurzfristige Abschaltung des inländischen KKW Mühleberg am letzten Mittwoch liess sich problemlos bewältigen. Denn in Mitteleuropa und in der (Stromdrehscheibe) Schweiz gab und gibt es viel Ersatzkapazität für den wegfallenden Atomstrom. Zudem haben sich die Swissgrid und die Netzbetreiber in den Nachbarstaaten frühzeitig vorbereitet, um die Regulierung der Stromnetze an die veränderte Situation anzupassen.
Bis 16 Prozent mehr Verbrauch
Trotz gesicherter Versorgung hinterlässt die aktuelle Kältewelle ihre Spuren auf dem in- und ausländischen Strommarkt; dies in verschiedener Hinsicht:
o Der Stromverbrauch steigt, weil Elektroheizungen und Wärmepumpen mehr Energie zapfen. Das Zürcher Kantonswerk EKZ zum Beispiel registrierte am 6. Februar einen um 10 Prozent höheren Stromverbrauch gegenüber dem Vergleichstag im Januar, als die Tagestemperatur zehn Grad höher war. Die Nachfrage ihrer Kantonswerke habe in den letzten Tagen um 5 bis 15 Prozent zugenommen, stellte die Axpo fest, welche die Kantonswerke in der Nordostschweiz vom Aargau bis St. Gallen mit Strom versorgt. Im Versorgungsgebiet der Berner BKW, wo es überdurchschnittlich viele Elektroheizungen gibt, stieg der Stromverbrauch in der ersten Februarwoche sogar um 16 Prozent.
o Massiv verschoben haben sich die internationalen Stromtransporte. Das illustriert eine Momentaufnahme der Lastflüsse gestern Freitagmorgen um zehn Uhr: Die Schweiz importierte aus Deutschland und Österreich zusammen rund 2500 Megawatt und exportierte gleichzeitig 2700 Megawatt nach Frankreich und Italien. Unter dem Strich blieb damit ein Exportüberschuss von 200 Megawatt. Zum Vergleich: Alle Schweizer Atomkraftwerke zusammen erzielen im Vollbetrieb eine Leistung von 3200 Megawatt.
Kohle und Gas ersetzen Atomstrom
Ungewöhnlich ist der temporäre Export-Überschuss nach Frankreich. Denn übers ganze Jahr importiert die Schweiz viel Atomstrom aus ihren französischen AKW-Beteiligungen. Momentan aber verbraucht Frankreich mehr Strom, als es produziert, weil die Franzosen primär mit Strom heizen. Den wegfallenden Atomstrom aus Frankreich ersetzt die Schweiz zurzeit durch zusätzliche Importe aus Kohle- und Gaskraftwerken. Denn Deutschland und Osteuropa verfügen über hohe Kapazitäten an fossilen Ersatzkraftwerken. Diese CO2-Schleudern werden jetzt vermehrt genutzt, weil die Kälte die Nachfrage nach Strom in ganz Europa anheizt.
Zudem nutzen die Schweizer Elektrizitätsproduzenten mehr Wasserkraft: Die alpinen Speicher-Kraftwerke, die primär Spitzenstrom fürs Inland und den Export produzieren, laufen zurzeit auf Hochtouren und länger als üblich. Das lässt sich aus der wöchentlichen Statistik über die Speicherbewirtschaftung ableiten: In der ersten Kältewoche (30. Januar bis 6. Februar) sank der Füllungsgrad aller Schweizer Stauseen um 6,4 Prozent und damit rund doppelt so stark wie in einer Durchschnitts-Woche im Winterhalbjahr.
Strompreise hat sich verdreifacht
Den kältebedingt wachsenden Stromverbrauch spiegelt die europäische Strombörse EEX: Gegenüber dem Mittelwert im Januar haben sich die Spotmarkt-Preise für kurzfristig gehandelten Strom im Februar verdreifacht (siehe Grafik): Umgerechnet kostete letzten Freitag eine Kilowattstunde (kWh) Bandstrom 15,5 Rappen, eine kWh Spitzenstrom sogar 20 Rappen.
Von hohen Strompreisen profitieren die Schweizer Stromkonzerne, weil sie mit ihren inländischen Kraftwerken und französischen AKW-Beteiligungen in der Regel viel mehr Strom produzieren, als die Schweiz verbraucht. Doch Axpo-Sprecher Erwin Schärer schränkt ein: «Wir erleben keine goldenen Tage». Seine Begründung: Den Grossteil ihres Produktionsüberschusses verkauft die Axpo auf dem Terminmarkt, also langfristig. Die gleiche Begründung liefern auch die Berner BKW und das Zürcher Stadtwerk EWZ. Zusätzlich beschränkt wird die Strommenge, die Schweizer Stromfirmen auf dem Spotmarkt zu lukrativen Preisen verkaufen könnten, durch den Minderbezug aus AKW-Beteiligungen in Frankreich sowie durch den höheren Verbrauch im eigenen Versorgungsgebiet.
Wärmepumpen am Limit
Optimale Heizungen im Mittelland sind auf Minimaltemperaturen von minus zehn Grad dimensioniert. Darum stiessen viele in den letzten Kältetagen ans Limit. Besondere Mühe bekundeten Elektro-Wärmepumpen, die ihre Umgebungswärme aus der Luft beziehen (weil sie billiger sind als Wärmepumpen mit Erdsonde): Sinkt die Aussentemperatur unter minus zehn Grad, vermindert sich ihr ohnehin tiefer Wirkungsgrad respektive der Anteil der Umgebungswärme an der Heizleistung. Folge: Der Stromverbrauch steigt.
Manche Haushalte haben in den letzten Tagen feste oder mobile Elektroheizungen zugeschaltet, um ihre Raumtemperaturen hoch zu halten. Heizungsinstallateure leisteten Überstunden, weil Heizungen ausfielen oder Leute reklamierten, ihre Wohnungen würden die gewohnt hohen Raumtemperaturen nicht mehr erreichen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine
Heizen mit Strom ist immer dumm, weil die Schlüsselenergie Strom eben nicht wie Brennstoff vor Ort gespeichert werden kann. Der Spitzenbedarf in kalten Phasen ist ein unnötiges und teures Risiko für die gesamte Gesellschaft und die Infrastruktur. Die «Stromheizer» profitieren von Aktionspreisen und bürden die Nachteile der Allgemeinheit auf. Sozialschmarotzer als Symbionten des Stromadels!
Deshalb sollte jeder «Stromheizer» zu einem Wärmespeicher verpflichtet werden. Damit könnte die Wärme in günstigeren Zeiten produziert werden und die kollapsgefährdende Bedarf-Spitze im Allgemeininteresse gebrochen werden.