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Paul Scherrer Institut in Villigen/AG: Bund bestellte eine Studie über künftige Atom-Reaktoren © psi

Trotz Atomausstieg: Steuermillionen für neue AKW

Kurt Marti /  Der Bundesrat will künftige Atom-Reaktoren mit hunderten von Millionen subventionieren. Im Widerspruch zum Ausstiegs-Beschluss.

Keine drei Monate nach der Atomkatastrophe von Fukushima verkündete der Bundesrat am 25. Mai 2011 den schrittweisen Ausstieg aus der Atomenergie und sprach sich damit klar gegen den Bau von neuen AKW aus. Logischerweise braucht es dann auch keine Forschung für zukünftige AKW, sondern bloss eine Forschung zur Erhaltung der Sicherheit der bestehenden Atomkraftwerke und zur Stilllegung derselben sowie zur Langzeitlagerung radioaktiver Abfälle.

Doch weit gefehlt: Der Bundesrat hält weiterhin an der nationalen und internationalen Erforschung zukünftiger Atomreaktoren fest und ist bereit, dafür hunderte von Millionen Franken in Luftschlösser zur Erhaltung der europäischen Atomindustrie zu investieren. Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit haben sich hinter den Kulissen die Atomlobbyisten durchgesetzt.

Bund bestellt PSI-Studie über zukünftige AKW

Nach der Ankündigung des Atomausstiegs beauftragte der Bundesrat das Departement für Umwelt, Energie, Verkehr und Kommunikation (UVEK) mit der Ausarbeitung der Energiestrategie 2050. Dazu gehörte auch ein Auftrag an das Paul Scherrer Institut (PSI), welches die «aktuellen und zukünftigen Kernenergietechnologien» bewerten sollte. Das PSI ist zusammen der ETH Zürich und Lausanne brennend an der Weiterführung der millionenteuren Forschung für zukünftige Atomreaktoren interessiert und lobt in seiner Studie die zukünftigen Reaktoren der 3. und 4. Generation für ihre «wirtschaftliche und ökologische Effizienz» im Gegensatz zu «den meisten erneuerbaren Energie». Ein perfektes Argumentarium der Atombranche für neue Atomkraftwerke und im krassen Widerspruch zur Ausstiegsstrategie des Bundesrates. Kein Wunder, denn von den neun Autoren der Studie sind fünf Mitglied des Nuklearforums. Allen voran der ETH-Professor Horst-Michael Prasser.

BFE-Broschüre propagiert zukünftige Atomreaktoren

Knapp einen Monat nach der Ankündigung des Atomausstiegs publizierte das Bundesamt für Energie (BFE) die Broschüre «Öffentliche Energieforschung in der Schweiz». Darin wird das hohe Lied der zukünftigen Atomreaktoren der 4. Generation und der Kernfusion gesungen, welche laut BFE-Broschüre «eine Energietechnologie mit grossem Potenzial» darstellt. Bekanntlich hat die Schweiz in den letzten Jahrzehnten über eine Milliarde in die Fusionstechnologie gesteckt, ohne nur eine Kilowattstunde Strom damit zu produzieren. Das BFE gibt auch zu, dass Fusionsreaktoren vor 2050 nicht realistisch seien. Trotzdem wird unverdrossen weiterinvestiert.

Kommission im Dienste der AKW-Forscher

Im August 2012 machte sich eine weitere, einflussreiche Lobbytruppe für zukünftige Atomkraftwerke bemerkbar. Die Eidgenössische Energieforschungskommission CORE, welche alle vier Jahre im Auftrag des Bundes die Schwerpunkte der Energieforschung festlegt. Ungeachtet des bundesrätlichen Entscheids zum Atomausstieg machte sich die CORE stark für die Erforschung der Atomreaktoren der 4. Generation und der Kernfusion.

Die CORE ist hauptsächlich eine Kommission von Interessenvertretern der Industrie, der Stromwirtschaft und der Hochschulen. In der fünfzehnköpfigen Kommission sitzen unter anderen Tony Kaiser (Präsident), der Direktor von Alstom Power, Manfred Thumann, Mitglied der Axpo-Konzernleitung, Professor Alexander Wokaun vom Paul Scherrer Institut, Willi Paul, Direktor ABB-Konzernforschungszentrum, sowie Professor Hans-Björn Püttgen, Direktor des Energy Centers der ETH Lausanne, welche an der Fusionsforschung direkt beteiligt ist.

Bundesrat knickt vor der Atomlobby ein

Diese geballte Ladung des Atomlobbyings schlug sich in der Haltung des Bundesrates zur Erforschung zukünftiger Reaktoren nieder. Im erläuternden Bericht zur Energiestrategie hält der Bundesrat im September 2012 ausdrücklich fest, dass die Erforschung zukünftiger Reaktoren der 4. Generation und der Kernfusion immer noch möglich seien. Einen Monat später veröffentlichte der Bundesrat die Botschaft zum Aktionsplan «Koordinierte Energieforschung Schweiz». Darin kommt seine Gespaltenheit in der künstlichen Unterscheidung der «schweizerischen Forschung im Nuklearbereich» einerseits und der «schweizerischen Energieforschung» andererseits zum Ausdruck.

Letztere erfordere nur die «Sicherheitsforschung, Strahlenschutz, Bewirtschaftung radioaktiver Abfälle sowie Betrieb und Rückbau der bestehenden Anlagen» und die Fusionsforschung sei «nicht von Bedeutung». Für die «Forschung im Nuklearbereich» hingegen sei es eine «weitere Vollbeteiligung am Euratom-Rahmenprogramm ab 2014 (Laufzeit 2014–2018) wünschenswert».

Am 30. November 2012 wurde das intensive Lobbying der CORE, des PSI, der ETH Zürich und Lausanne belohnt. Der Bundesrat genehmigte die Weiterführung der Forschungskooperation zwischen der Schweiz und der Europäischen Atomgemeinschaft Euratom und sprach bis Ende 2013 einen grosszügigen Beitrag von 100 Millionen Franken. Von der Öffentlichkeit fast unbemerkt. Zufall oder nicht: Zwei Tage zuvor kam im Deutschen Bundestag ein Vorstoss der SPD und der Grünen zur Abstimmung, welche einen Rückzug aus der Atomforschung der Euratom forderte. Der Vorstoss wurde abgelehnt. Doch die Diskussionen über die Euratom gehen weiter. Auch in Österreich.

Milliardenteure Luftschlösser

Das Euratom-Budget für die Jahre 2012 und 2013 beträgt 2,5 Milliarden Euro und fliesst hauptsächlich in den Bau des internationalen Fusionsversuchsreaktors ITER in Südfrankreich. Insgesamt wird der ITER-Reaktor 16 Milliarden Euro kosten. Bei der Kernfusion handelt es sich im wahrsten Sinne des Wortes um ein Jahrhundertprojekt: Vor 50 Jahren wurde damit begonnen und es soll noch weitere 50 Jahre dauern bis damit vielleicht Strom produziert wird.

In der Schweiz profitiert vom ITER-Projekt vor allem die ETH Lausanne, die kürzlich den Zuschlag für das EU-Projekt in der Hirnforschung erhielt. Mit der Weiterführung des Euratom-Vertrages hat der Bundesrat dem Human Brain Projekt den letzten Stein aus dem Weg geräumt. Auf diese Weise ziehen sich die Fäden von einem milliardenteuren Luftschloss in Südfrankreich zum anderen in Lausanne.

Die Schweiz zahlt bereits seit 1978 Millionen jährlich zwischen 4 und 26 Millionen Franken an die Euratom. Von 2014 bis 2018 sollen es jährlich 41 Millionen für das Folgeprojekt «Horizon 2020» sein, falls die Zusammenarbeit mit Euratom weitergeführt wird. Dies hielt der Bundesrat letzten Sommer in seiner Antwort auf eine Interpellation von SVP-Nationalrat Jean-François Rime fest.

Neben dem Beitrag für die Euratom finanziert der Bund die Atomforschung zusätzlich mit Geldern aus dem Topf der Energieforschung. In den vergangenen Jahren war rund ein Drittel der jährlich 150 Millionen für die Atomforschung vorgesehen. Allein die Kernfusion kassierte im Schnitt 25 Millionen pro Jahr, was über 40 Jahre rund eine Milliarde ausmacht.

Nukleargemeinde treibt Bundesrat in die Enge

Zuerst haben die Fürsprecher der Atomforschung dem Bundesrat die Weiterführung der Forschung für zukünftige Atomreaktoren untergejubelt und nun freuen sie sich diebisch über das Eigentor des Bundesrates. In der Antwort, welche das Nuklearforum zur Vernehmlassung der Energiestrategie 2050 einreichte, wird genüsslich – und völlig zu Recht – auf den offensichtlichen Widerspruch des Bundesrates hingewiesen: Es sei «schwer nachvollziehbar», warum der Bau von Forschungsreaktoren weiterhin möglich sein solle, gleichzeitig «aber der Einsatz der Nukleartechnik zur Stromerzeugung a priori verboten werden soll». Und folglich verlangt die vereinigte Nukleargemeinde vom Bundesrat, auf den Atomausstieg zu verzichten.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Kurt Marti war früher Beirat (bis Januar 2012), Geschäftsleiter (bis 1996) und Redaktor (bis 2003) der Schweizerischen Energie-Stiftung (SES)

Zum Infosperber-Dossier:

SolaranlageBauernhof-1

Energiepolitik ohne neue Atomkraftwerke

Erstes, zweites und drittes Gebot: Der Stromverbrauch darf nicht weiter zunehmen.

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2 Meinungen

  • am 7.02.2013 um 17:07 Uhr
    Permalink

    Wer hat den Atomausstieg «beschlossen"? Die Stimmbürger wurden meines Wissens bisher noch nie befragt, ob sie diesen wünschen oder nicht. Versuchen die Ausstiegsbefürworter soviel Geld in dieses Projekt hineinzubuttern bis quasi der point-of-no-return erreicht ist? Ein nicht so neuer Trick, um die manchmal unbeliebte und unangenehme Demokratie auszuhebeln.

  • am 7.02.2013 um 21:23 Uhr
    Permalink

    Also wieder viele Steuermillionen in die Atomforschung, die nie im Preis des Atomstroms enthalten sein werden. Subvention für die teuerste und riskanteste Art der Stromgewinnung. Dabei schwafelt die Strombranche immer vom günstigen Atomstrom. Würde Forschung, Sicherheit und insbesondere die hypothetischen Versicherungskosten der sogenannten Grossschadenregelung auf den Strompreis gelegt, dann wäre Atomstrom unbezahlbar.

    Als Konsumenten dürfen wir brav wählen und zusätzliche Tarife bezahlen für «Naturstrom» aus Wasser, Wind oder Sonne, als Zeichen, dass wir solches wollen. Nirgends wird für Atomstrom ein Zuschag verlangt, der Mehrpreis wird der Allgemeinheit und den künftigen Generationen zugemutet.
    Demokratie über die Tarifzuschläge? Wir wollen sehen, wer unbedingt Atomstrom kaufen möchte, wenn je kWh CHF 5.00 Begeisterungs-Zuschlag zu zahlen wäre.

    Trotz der guten Geschäfte haben die Verantwortlichen der Altreaktoren in den 40 Jahre nicht einmal genug Kapital für die Stillegung der Monster geäufnet, geschweige denn für einen grossen Störfall.

    Stillegen, bevor das Unsägliche und Unbezahlbare passiert!
    Vor dem GAU ist günstiger als nach dem GAU!

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