Kraftwerk_Letten1

Das EWZ-Kraftwerk Letten dient der Stromerzeugung und der Seeregulierung © Sidonius/Wikimedia Commons/cc

Strommarkt bringt Verlust für Stadtzürcher EW

Hanspeter Guggenbühl /  Stromflut und Marktöffnung drücken aufs Geschäft: Das EWZ verkauft ab 2014 den Grossteil seiner Stromproduktion mit Verlust.

Das Elektrizitätswerk der Stadt Zürich (EWZ), das grösste Stadtwerk in der Schweiz, war eine Goldgrube: In sieben fetten Jahren, von 2003 bis 2009, summierten sich die Betriebsgewinne des stadteigenen Elektrizitätswerks auf 1,4 Milliarden Franken; im Schnitt auf 200 Millionen pro Jahr. Davon flossen rund 400 Millionen in die Zürcher Stadtkasse, 800 in Rückstellungen und Reserven. Einen Teil der Reserven nutzte das EWZ, um die Stromtarife in seinem Versorgungsmonopol (Stadt Zürich plus Teile Graubündens) zu senken. Die Stadt profitierte damit nicht nur vom Gewinn, sondern von Tarifen, die weit unter dem Schweizer Durchschnitt lagen.
Doch die goldenen Jahre sind vorbei. Die Wirtschaftskrise führte ab 2009 zu einer Stromschwemme. Die Preise im europäischen Strommarkt, auf dem das EWZ seinen Produktionsüberschuss verkauft, sanken stetig; zuerst die Tagespreise auf dem Spotmarkt, später auch die Preise auf dem Terminmarkt. Schon seit 2010 verminderten sich die Betriebsgewinne des EWZ auf weniger als die Hälfte der Vorjahre. Ähnlich erging es andern Schweizer Elektrizitätswerken, die mehr Strom produzieren, als sie in ihrem angestammten Versorgungsmonopol absetzen, etwa der Axpo oder der BKW Energie AG.
Marktpreis fällt unter die Produktionskosten
Diese Situation wird sich weiter verschärfen. Das illustriert die Grafik, die EWZ-Chef Marcel Frei am Stromkongress in Bern präsentierte: Die Terminpreise fürs Jahr 2014 sind schon ab 2013 unter das Niveau der mittleren EWZ-Tarife von 6,75 Rappen pro kWh gefallen. Diese Tarife gelten allein für den Strom (exklusive Netztarife und Abgaben) und entsprechen den mittleren Produktionskosten, die das EWZ für ihre eigenen Werke und Partnerwerke verbucht (dazu gehören Wasserkraftwerke in Graubünden, am Grimsel und im Tessin sowie Anteile an den Atomkraftwerken Gösgen, Leibstadt, Bugey, und Cattenom).
Historisch ist diese Situation nicht einmalig: In den 1990er-Jahren lagen die europäischen Grosshandels-Preise ebenfalls unter den Produktionskosten des EWZ und der übrigen Schweizer Kraftwerke. Schon damals produzierte das EWZ weit mehr Strom, als die Endverbraucher in seinem Versorgungsmonopol konsumierten. Deshalb musste das EWZ den Überschuss mit Verlust verkaufen. Damals aber konnte das EWZ diesen Verlust noch kompensieren, indem es seinen Monopolkunden Tarife verrechnete, die höher waren als die Produktionskosten.
Quersubventionen vom Monopol sind nicht mehr möglich
In den 1990er-Jahren haben also die Kunden im Monopol die Verluste im Stromhandel quersubventioniert. Im Zeitraum zwischen 2000 und 2009 hingegen, als die Preise im europäischen Grosshandel stetig und weit über die Produktionskosten hinaus stiegen, subventionierte der Grosshandel die Monopoltarife in der Schweiz. Heute ist die Situation für produktionsstarke Elektrizitätswerke wie das EWZ nochmals anders – und ungemütlicher. Dies aus zwei Gründen:

  • Quersubventionen sind nicht mehr möglich, weil die Tarife für im Monopol verbleibende Verbraucher den mittleren Produktions- oder Einkaufskosten (Gestehungskosten) der Stromverkäufer entsprechen müssen. Das verlangt seit 2009 das Stromversorgungs-Gesetz, das die Teilöffnung des Schweizer Strommarktes regelt.
  • Seit 2009 haben Grossverbraucher (ab 100’000 kWh Stromkonsum pro Jahr) Zutritt zum Markt, und seit 2013 nutzen immer mehr von ihnen dieses Recht, um von den tiefen europäischen Grosshandels- und Marktpreisen zu profitieren (Infosperber berichtete darüber). Diese marktberechtigten Kunden verbrauchen rund die Hälfte des Stroms, der in der Schweiz konsumiert wird. Im EWZ-Versorgungsgebiet ist dieser Anteil noch höher (siehe 45%-Kreis in der Grafik).

Verlust im Terminmarkt kommt mit Verzögerung
Theoretisch bedeutet das: Ab 2014 muss das EWZ 75 Prozent seines Stroms zu Marktpreisen verkaufen, die tiefer sind als seine mittleren Produktionskosten (die übrigen 25% Stromabsatz in der Grafik entfallen auf Kleinverbraucher wie Haushalte und Gewerbebetriebe, die kein Recht auf Marktzutritt haben und zu Gestehungskosten beliefert werden müssen). Die Öffnung des Schweizer Strommarktes, die der frühere EWZ-Direktor Conrad Ammann noch bejubelte, drückt damit ebenso stark auf das Geschäftsergebnis des Stadtwerks wie der allgemeine Preiszerfall im europäischen Stromhandel.
Allerdings wirken sich diese Einbussen erst mit Verzögerung auf die Jahresrechnungen aus. Denn bei der abfallenden Kurve in der Grafik, die den Marktpreis kennzeichnet, handelt es sich um Terminpreise für die jeweils folgenden Kalenderjahre. Einen Grossteil des Stroms, den das EWZ heute im Grosshandel (30%) absetzt oder marktzutrittsberechtigte Endkunden (45%) liefert, verkaufte es auf Termin, also jeweils ein bis zwei Jahre früher, als die Terminpreise noch höher waren. Zudem blieb ein Teil der Grossverbraucher, die seit 2009 Zutritt zum Markt haben, bislang freiwillig im Versorgungsmonopol und bezahlt damit immer noch Tarife, die den mittleren Produktionskosten entsprechen. Wie gross dieser (grüne) Anteil unter den Grossverbrauchern ist, will das EWZ dem fragenden Journalisten nicht verraten.
Trotz Zeitverzögerung werden die Einbussen hoch ausfallen. Denn die Terminpreise auf dem europäischen Strommarkt, so prophezeien Marktbeobachter, dürften mindestens fünf Jahre lang auf dem heutigen Niveau verharren. In diesem Zeitraum werden wohl immer mehr Grossverbraucher ihr Recht auf Marktzutritt nutzen. Die einst stolzen Betriebsgewinne des EWZ werden damit weiter schrumpfen oder sich zu Verlusten wandeln.
EWZ-Chef setzt aufs Prinzip Hoffnung
«Wenn der Marktpreis weiterhin tiefer ist als unsere Gestehungskosten, werden wir während dieser Zeit nicht forciert investieren», teilt EWZ-Direktor Marcel Frei auf Anfrage mit. Langfristig aber mimt er Zuversicht: «Die Energiewende bleibt finanzierbar, und wir werden unsere Ziele für 2050 erfüllen können», denn, schreibt Frei: «Unser Zeithorizont beträgt nicht ein paar Jahre, sondern Jahrzehnte.»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

Zum Infosperber-Dossier:

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