Saubere Wärme aus alten Bohrlöchern
Das niedersächsische Munster ist eine Kleinstadt im Norden Deutschlands. Ausser Heidelandschaft gibt es dort einen Golfplatz, ein Panzermuseum und vor allem Kasernen und Truppenübungsplätze. Munster – nicht zu verwechseln mit Münster in Nordrhein-Westfalen – ist nicht nur einer der grössten Standorte des deutschen Heers, Exxon Mobil förderte dort ausserdem jahrelang Gas.
Viele Bohrlöcher sind nicht mehr produktiv und müssten eigentlich verschlossen werden. Munster will das verhindern und ein Geothermiekraftwerk daraus machen – eine Idee, von der man sich fragt, warum sie nicht schon längst jemand hatte. Das Wasser aus dem 5000 Meter tiefen Gasbohrloch ist 147 Grad heiss und damit voller Energie, die sich nutzen lässt.
Zur Wärmegewinnung soll es über einen Wärmetauscher geleitet und anschliessend wieder in den Boden gepumpt werden. Mit der gewonnenen Wärme will Munster zusätzlich Strom und grünen Wasserstoff erzeugen.
Fernwärme für 4000 Haushalte
Allzu spektakulär sieht das derzeit noch nicht aus. Ein Redakteur der «Böhme Zeitung» hat das 10 Zentimeter grosse Bohrloch 2020 fotografiert. Ausser einem eingezäunten Gelände und ein paar Tanks ist bisher nichts zu sehen.
Eine letzte Testbohrung ist für nächstes Jahr geplant, dann kann mit dem Bau begonnen werden. Wenn alles klappt, wird Geothermie bis 2026 um die 4000 Haushalte mit Fernwärme versorgen.
Die Stadtwerke Munster sehen das Vorhaben als «Leuchtturmprojekt». Die klima- und umweltfreundliche Weiternutzung der Überbleibsel aus der fossilen Ära soll ein Modell für einen ganzen Landesteil sein. 90 Prozent aller deutschen Öl- und Gasbohrungen befinden sich in Norddeutschland, ein Grossteil davon in Niedersachsen, fasst der SWR in einer Sendung über das Munsteraner Kraftwerk zusammen.
Nicht mehr produktive Bohrlöcher gibt es reichlich. Rund 2000 Bohrungen, die tiefer als 400 Meter sind, sind noch nicht verschlossen. Zehn Prozent davon könnten zur Wärmegewinnung benutzt werden. Ganz ohne Aufwand wird das allerdings nicht gehen: Das «Abflussbohrloch», das das Wasser zurück in die Erde leitet, muss neu gebohrt werden – kein ganz billiges Unterfangen. Eine Bohrloch, das mehr als ein paar hundert Meter tief ist, kann in die Millionen gehen, das gesamte Projekt soll laut dem «Deutschlandfunk» um die 40 Millionen Euro kosten.
Das begehrte Metall Lithium gibt es obendrauf
Dafür lohnt sich die Ausbeute eines anderen Rohstoffs, der in der Gegend vorkommt: Bevor das Tiefenwasser wieder im Boden verschwindet, soll daraus Lithium gewonnen werden. Lithium ist derzeit eines der begehrtesten Metalle der Welt. Es wird unter anderem zur Herstellung von Autobatterien benötigt. Die Gewinnung geschieht aber oft unter fragwürdigen Umständen.
Mit dabei im niedersächsischen Projekt ist Vulcan Energy, ein Unternehmen, das die Pfalz am Oberrheingraben durch Lithiumfilterung aus Thermalwässern in ein deutsches Lithium-Mekka verwandeln will (Infosperber: «Lithium, der flüssige Schatz am Oberrhein»). Dort gilt Tiefenwärme als Nebenprodukt.
In Rheinland-Pfalz stehen die Einwohner den Geothermie- und Lithiumprojekten aber teilweise skeptisch gegenüber. In Niedersachsen sei die Stimmung eher positiv, sagt der Redaktor einer Lokalzeitung zum SWR. Auch an anderen niedersächsischen Orten wird die Lithiumförderung vorangetrieben.
Doppelt so viel Lithium wie am Oberrhein
Die Bohrlöcher in Niedersachsen sollen dabei eine doppelt so hohe Ausbeute abwerfen wie das Wasser am Oberrhein. Sebastian Spöring, Projektleiter bei den Stadtwerken Munster-Bispingen, rechnet laut dem SWR damit, dass pro Liter Wasser 400 Milligramm Lithium gewonnen werden können.
Insgesamt könne Munster so 500 Tonnen Lithium pro Jahr erzeugen. Bei derzeitigen Marktpreisen bedeutet das 40 Millionen Dollar Gewinn pro Jahr, hat der SWR ausgerechnet. Und Munster hofft, dass Vulcan das Filterverfahren noch verbessert. Derzeit können laut Vulcan 90 Prozent des enthaltenen Lithiums aus dem Wasser gewonnen werden.
Valentin Goldberg vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT), das zur Lithiumgewinnung forscht, sieht die Ausbeute unter Produktionsbedingungen allerdings eher bei 50 Prozent.
Grubenwasser: nicht so heiss, aber ohnehin da
So ganz neu ist die Idee mit der Wärme aus ausgedienten Tiefenstrukturen nicht. Im Ruhrpott wird Grubenwasser aus stillgelegten Steinkohlebergwerken beispielsweise schon längere Zeit genutzt. In Essen wird seit 1984 ein Altenheim mit den 22 Grad warmen Grubenwässern beheizt und die Stadt Bochum gewinnt aus einem 1968 stillgelegten Bergwerk seit zehn Jahren Fernwärme. Im niederländischen Heerlen steht seit 2008 sogar das weltweit erste Grubenwasserkraftwerk.
Grubenwasser ist kälter als Wasser aus Tiefenbohrungen, die Temperatur hängt hauptsächlich von der Tiefe ab. Je 100 Meter steigt sie um etwa drei Grad, Wasser aus 1000 Metern Tiefe hat also etwa 30 Grad.
Dafür ist Grubenwasser ohnehin da und muss abgepumpt werden. Pro Jahr fallen in Deutschland etwa 100 Millionen Kubikmeter davon an. Die zugehörige Infrastruktur ist in Teilen meist auch schon vorhanden, neue Bohrungen braucht es nicht.
Wien: Alte Ölbohrlöcher heizen Gewächshäuser
Einen anderen Weg geht Österreich. Im Wiener Becken laufen noch hunderte Ölpumpen. Pro Jahr werden etwa 30 davon obsolet. Ein Zehntel könnte für Geothermie genutzt werden, sagt die CEO des Start-Ups Greenwell, das diese Energie nutzen will.
Seit 2021 laufen Pilotprojekte, die mit der Wärme aus dem 35 bis 70 Grad heissen Wasser Gewächshäuser heizen, was viel Energie benötigt. Landwirte können die günstige und klimafreundliche Heizung als Service mieten. Auch eine Nutzung in anderen energieintensiven Bereichen schwebt Asetila Köstinger vor, zum Beispiel zum Trocknen von Holz.
In einem grösseren Projekt plant Wien ausserdem, tiefe Geothermie zur Fernwärmegewinnung zu nutzen. Eine Heisswasserblase 3000 Meter unter Wien könne die Stadt Jahrzehnte mit Wärme versorgen, sagt Peter Keglovic, Projektleiter von Geotief Wien.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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