Neue Energiestrategie schon fast unter Dach
Nach dem Atomunfall in Fukushima beschloss der Bundesrat, die Schweizer Energiepolitik neu auszurichten; dies mit folgenden Zielen: Der gesamte Energie- und der Stromkonsum pro Person sollen sinken. Der Atomstrom muss langfristig durch erneuerbare Energie ersetzt werden.
Um diese Strategie umzusetzen, beantragte die Regierung eine umfangreiche Gesetzesvorlage. Dazu gehören: Vorschriften, die den CO2-Ausstoss und Energieverbrauch von neuen Autos, Anlagen und Geräten begrenzen, ein Verbot von neuen Atomkraftwerken, Förderbeiträge und Steueranreize für energetische Gebäudesanierungen, Subventionen für die Produktion von Strom aus Solar-, Wind-, Wasserkraft sowie Biomasse und vieles mehr.
Nur noch marginale Differenzen
Das Parlament hat diese Vorlage in den letzten zwei Jahren beraten, vieles genehmigt, einiges verwässert und die Vorlage ergänzt, etwa mit der Ausdehnung der Subventionen auf bestehende grosse Wasserkraftwerke. In der September-Session, die heute Montag beginnt, müssen National- und Ständerat noch folgende Differenzen bereinigen:
● Bundes- und Nationalrat wünschen, dass die Schweiz ihre Stromproduktion aus erneuerbarer Energie exklusive Wasserkraft im Jahr 2035 auf 14 500 Millionen Kilowattstunden (kWh) steigert; das entspricht einem Anteil von 23 Prozent, gemessen an der gesamten Stromproduktion im Jahr 2015. Der Ständerat senkte diesen «Richtwert» auf 11 500 Millionen kWh. 2015 produzierten erneuerbare Energieträger exklusive Wasserkraft im rund 3 Millionen kWh Elektrizität.
● Bundesrat und Parlament wollen den Bau von Anlagen zur erneuerbaren Stromproduktion erleichtern. Umstritten ist heute nur noch, ob Energienutzung und Naturschutz künftig «gleichrangig» oder «grundsätzlich gleichrangig» gewichtet werden sollen.
● Bundesrat und Parlament fördern energetische Gebäudesanierungen und Ersatz-Neubauten mit Steueranreizen. Umstritten ist, ob Steuerabzüge grosszügig (Ständerat) oder sehr grosszügig (Nationalrat) gewährt werden.
Bei dieser Differenzbereinigung geht es also nicht mehr um die Wurst, sondern bloss noch um ein kleines Rädchen davon. Das federführende Bundesamt für Energie (BFE) erwartet deshalb, dass die Schlussabstimmung über diese Vorlage am 30. September stattfinden kann. Ein parlamentarisches Ja ist absehbar; Nein wird lediglich ein Teil der SVP und der FDP-Fraktion stimmen, wobei der Widerstand dieser Rechtspartien in den letzten Jahren bröckelte. Grund: Im Vergleich zum Entwurf des Bundesrates hat die Parlamentsmehrheit wie erwähnt einige Massnahmen verwässert oder gestrichen und einige zusätzliche Stromproduzenten mit Subventionen beglückt.
Wenig Support für Referendum
Nach dem wahrscheinlichen Ja im Parlament beginnt die Referendums-Frist. Eine kleine Organisation, die sich «Alliance Energie» nennt, über eine Homepage, eine E-Mail-Adresse und neben dem Schriftleiter Lukas Weber angeblich über einige weitere Mitglieder verfügt, hat das Referendum angekündigt. Der Vorstand der SVP will das Referendum ebenfalls ergreifen, aber nur, wenn «die Wirtschaft» dieses mitträgt und den Abstimmungskampf mitfinanziert. Der Wirtschaftsverband Economiesuisse hat diese Unterstützung schon früher abgelehnt, der Gewerbeverband zaudert noch.
Das zeigt: Ein Referendum kann zwar zustande kommen, geniesst aber wenig Unterstützung, wenn die Wirtschaftsverbände passiv bleiben. Denn alle politischen Parteien links der FDP, die Umweltorganisationen, die Cleantech-Branchen sowie die Strom- und Berggebietslobby (die von Subventionen profitieren) werden sich aktiv für diese Energiestrategie engagieren.
Falls das Referendum zustande kommt, kann das Schweizer Volk voraussichtlich im Mai 2017 darüber abstimmen. Falls es scheitert oder das Volk das Referendum ablehnt, was zu erwarten ist, kann die Vorlage zur Energiestrategie im Januar 2018 in Kraft treten. Das jedenfalls hofft das BFE. Die dazu notwendigen verwaltungsinternen Arbeiten, insbesondere die Erarbeitung oder Revision von Ausführungsverordnungen, wird das Energiedepartement bereits während der Referendumsfrist in Angriff nehmen. Druck zur baldigen Umsetzung machen auch die Befürworter der Energiestrategie.
Und die Atominitiative?
Keinen Einfluss auf obigen Fahrplan habe der Volksentscheid über die grüne Atomausstiegs-Initiative, erklärten BFE-Mitarbeiter an einer Medienkonferenz am 6. September in Bern. Denn eine Kopplung dieser Initiative mit der Vorlage zur Energiestrategie hat das Parlament schon früher abgelehnt. Die Ausstiegsinitiative verlangt, dass die Laufzeit aller Schweizer Atomkraftwerke auf maximal 45 Jahre begrenzt wird; die Abstimmung darüber findet im November 2016 statt. Falls das Volk der Initiative zustimmt, kann sie direkt umgesetzt werden und die Energiewende beschleunigen. Denn die Vorlage zur Energiestrategie sieht keine Laufzeit-Begrenzung für alte Atomkraftwerke vor.
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Nachtrag
Der Nationalrat schwenkte am Montagabend in folgenden Streitpunkten auf die Fassung des Ständerats ein:
● Er senkte den «Richtwert» für die Produktion von Strom aus erneuerbarer Energie, exklusive Wasserkraft, fürs Jahr 2035 von 14’500 auf 11’400 Millionen Kilowattstunden; dies gegen die Stimmen von Linken und Grünen. Damit soll die Schweiz 2035 – gemessen an der Stromproduktion von 2015 – rund 18 Prozent ihres Stroms aus Biomasse- Wind- und Solarkraft erzeugen, um einen Teil des wegfallenden Atomstroms zu ersetzen.
● Er beschloss eine zeitlich befristete Marktprämie von maximal einem Rappen pro Kilowattstunde Strom aus bestehenden Wasserkraftwerken; dies nach dem präziseren Modell des Ständerats. Damit sollen die Verluste, welche die tiefen Preise auf dem europäischen Strommarkt vielen Stromproduzenten bescheren, gemildert werden.
● Er reduzierte seine massiven Steuerabzüge für energetische Sanierungen und Ersatzneubauten; statt auf vier sollen diese Abzüge auf zwei Jahre verteilt werden (der Ständerat erlaubte den Steuerabzug nur für ein Jahr, wird aber wohl auf diesen Kompromiss einschwenken).
Wenige Differenzen bleiben. Dazu gehört die Streitfrage, ob im Konfliktfall Produktionsanlagen für erneuerbare Energie «gleichrangig» (Nationalrat) oder nur «grundsätzlich gleichrangig» (Ständerat) zu gewichten sind.
Abstimmungstaktik der Rechten scheiterte
In der Debatte vom Montag ging es auch um Abstimmungstaktik: Die Mehrheit der SVP- und FDP-Fraktion, welche die Energiestrategie generell ablehnt, beantragte, die Marktprämie für bestehende Wasserkraftwerke zu streichen. Ihr Hintergedanke: Damit verliere die Vorlage in einer Referendumsabstimmung die Unterstützung der Stromlobby und der Bergkantone. Doch ihr Streichungsantrag unterlag mit 110 zu 78 Stimmen deutlich. In einer Medienmitteilung lobte der Verband der Schweizer Elektrizitätswerke (VSE) diesen Mehrheits-Beschluss und schrieb: «Nun gilt es, die Marktprämie in der Schlussabstimmung Ende September unter Dach und Fach zu bringen.»
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
Es sollte der Leserschaft bei guter Gelegenheit erklärt werden, warum ausgerechnet Alpiq ("e gueti Firma") diese Newssite so penetrant überdeckt. Dem Gebot der Unabhängigkeit dürfe diese Werbung kaum zuträglich sein. Mein Kommentar hat scheinbar nicht direkt mit dem Artikel etwas zu tun, aber, da man unterdessen eine fundierte Ahnung davon haben kann, was Alpiq skrupellos im Parlament anrichtet und durchbringt, dann hat er in gewisser Hinsicht eben doch mit der Strombranche und Alpiq zu tun, etwa, wenn es darum geht, mit welchen Kompromissen und welcher Selbstbedienungsmentalität zu Gunsten der Alpiq die Zustimmung zur ES 2050 erreicht wurde. Bei Alpiq hat man sich, wohl beraten von Lobbys, gut überlegt, warum diese «gueti Firma» ausgerechnet auf Infosperber Werbung für Lehrstellen schaltet. Dass Infosperber ausgesprochen oft von jungen Leuten gelesen wird, die sich für eine Lehre als Elektro- oder Heinzungsinstallateur interessieren, dürfe kaum den Ausschlag für diesen Entscheid gegeben haben.
Tja, Herr Guggenbühl, das würde ihnen wohl schmecken; das Fell verkaufen bevor der Bär erlegt ist. Waidmannsheil. Das passt ja prächtig zu unserer Hochwildjagd in Graubünden.
Nun, ich denke, dass zum Thema Energiestrategie die Bürger/innen ein Wörtchen mitreden möchten. Das Referendum wird kommen und Frau Bundesrätin Leuthard in Erklärungsnot bringen.
Sie schreiben von einem Atomunfall in Fukushima. Das ist natürlich keine wirkliche Lüge; ist aber auch nicht die ganze Wahrheit. Es war ein 9,0 Mw starkes Erdbeben, welches den verheerenden Tsunami auslöste. Durch die über 10 Meter hohe Flutwelle wurde das Kernkraftwerk schwer beschädigt (bis heute keine Toten!). Dass der Tsunami an die 19`000 Menschen tötete, wird kaum mehr erwähnt. Auch von Ihnen nicht.
Die Energiestrategie 2050 ist ein Rohrkrepierer, weil niemand weiss, was 2050 sein wird; und weil man heute weiss, dass CO2 nicht ein Problem ist, welches wir lösen müssen/können/sollen.
Dass Wind- und Solarenergie auch bei wohlwollender Betrachtung keine zukunftsweisende Lösung sein kann ist nicht nur der seriösen Wissenschaft bekannt. Die seriöse Wissenschaft kennt auch Ursache und Wirkung bei Temperatur und CO2. Wie grün kann man sein, ohne rot zu werden…
Und noch was; die Globale Erwärmung findet seit 15 Jahren nicht statt. Das musste sogar IPCC zugeben! Von denen hört man nichts mehr. Dieser UN-Truppe sind die Felle schon längst davongeschwommen. Und Sie, Herr Guggenbühl, suchen immer noch den Bären.
alles kein Brobleem….
http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2014/09/22/tote-ueber-die-keiner-spricht-fukushima-kostete-bereits-1-700-menschenleben/
Betreffend Werbung von Alpiq, die den Kopfteil des Artikels überdeckte, schrieb mir Urs P. Gasche ohne Verzug, dass diese nicht beabsichtigt oder vereinbart gewesen war ("verboten"), und dass Infosperber intervenieren werde. Unterdessen ist die Alpiq-Werbung bereits verschwunden. (Nun, zur Zeit, wird zuoberst ein Auto beworben, wobei nun kein redaktioneller Text überpflastert ist).
Betreffend Kommentar von Renato Stiefenhofer: Ich empfehle dazu diesen aktuellen Beitrag: http://data.giss.nasa.gov/gistemp/news/20160912/ (Die Organisation, die diese Graphik publiziert, hat sich bekanntlich mit bemannten Mondlandungen einen Namen gemacht.) Es gibt gute Gründe, bei Ansicht der Graphik «rot zu werden», als Leugner des Klimawandels und der Rolle, die CO2 dabei spielt, sowieso — aber als mittelgrüner Vertreter der Menschheit auch.
An der ES2050 gibt es meines Erachtens primär diese berechtigte Krtitik zu üben: Es ist ein sinnloses Profilierungsprojekt von Doris Leuthard. Wir brauchen keine Strategie für ein Nichtproblem (Energie) in weit ferner Zukunft. Und zum Beispiel brauchen wir keine Subventionierung von skrupellosen Stromkonzernen und ihrer Eignerkantone via Förderung der Wasserkraft. Ein Atomausstieg ist wünschenswert, doch den können wir ohne Monsterdebatten und Zeitverschwendung im Herbst an der Urne beschliessen. Wir brauchen hingegen so schnell wie möglich griffige Massnahmen gegen das akute Problem Klimawandel.
Ich wünschte mir, die Kommentare wären ähnlich-sachlich fundiert, wie Guggenbühl’s Artikel…
Dass BR Leuthard nur aus Profilierungs-Lust die ES projektiert haben soll, müsste schon noch sachlich erklärt werden! Bekanntlich ist der BR eine Kollektivbehörde, die Interessenverbände mischen in den Parlamenten mit, verändern die Strategie zur Geldquelle für erwähnte und weitere Profiteure.
Der Atomausstieg sei wünschenswert, ja – mehr als das. Der Nichtausstieg ist weder bezahlbar noch zu verantworten. Der suchthafte und ungedeckelte Konsum von Energie ist keineswegs ein Menschenrecht. Die ständig jammernde «Wirtschaft» (wer ist denn das?) wegen zu hohen Energiekosten ist kurzsichtig-dumm, weil diese Exponeten noch nie Interesse an einer Vollkostenrechnung gezeigt haben.
Die Gewerkschaften sind leider auch nicht gescheiter, sie fordern noch mehr Abgaben auf den Löhnen.
So haben wir heute die idiotische Regelung, die Arbeit zu besteuern und die Energieverschwendung zu subventionieren.
Clever, wir Schweizer!?
Nach meiner Wahrnehmung hat BR Leuthard zu Genüge belegt, dass sie an Projekten interessiert ist, mit denen sie gewinnen und sich profilieren kann, also an dem, was für sie machbar und für sie vorteilhaft ist und nicht so sehr an dem, was wünschenswert oder notwendig ist — koste es andere, was es wolle. Statt einen schnellen Atomausstieg per Gesetz oder einem schlanken Verfassungsartikel aufzugleisen und als Folge davon ein Referendum zu riskieren, das scheitern könnte, macht sie den AKW-Ausstieg zu einem Halbausstieg und bläht das Ganze zur ES2050 auf, zu einem Prozess, der Raum gibt für schräge Kompromisse und wo Zugeständnisse gemacht werden, welche ein Scheitern Leuthards unwahrscheinlicher machen. Welch skurrile Blüten das treiben kann, hat HP Guggenbühl unterhalb von «Abstimmungstaktik der Rechten scheiterte» beschrieben. Ob man BR Leuthards Vorgehen gut oder schlecht findet, ist eine andere Frage, aber ich denke, die Beweislast, dass dies nicht so sei, ist eher bei den Unterstützern von BR Leuthard als bei mir. Der Bundesrat eine Kollektivbehörde? Auf dem Papier schon, aber seit der Phase mit Blocher im «Kollegium», macht doch eher wieder jeder BR das, was ihm passt, vermutlich ohne viel Opposition der anderen BR. Warum auch sollten sie sich gegenseitig das Leben schwer machen? Natürlich weiss in unserem immer noch sehr intransparenten Staat von aussen niemand so recht, was z.B. im BR läuft, aber mein persönlicher Eindruck ist sehr derjenige wie dargestellt.