Kommentar

Leitungen als Joker im Stromversorgungs-Poker

Hanspeter Guggenbühl © bm

Hanspeter Guggenbühl /  Die Swissgrid steckt im Sandwich zwischen Strommarkt und Netzmonopol - machtlos.

Sollen die Stromkabel von Höchstspannungsleitungen weiterhin über Masten gespannt, oder sollen sie unter den Boden verlegt werden? Das ist die grosse Streitfrage zwischen Stromwirtschaft, Landschaftsschützerinnen und betroffenen Regionen. Die Wissenschaft kann diesen Streit nicht entscheiden. Das bestätigt die neuste «Metastudie», die Swissgrid der technischen Universität Ilmenau in Deutschland in Auftrag gab, und die als Resultat ein Patt liefert.

Die Auseinandersetzung muss damit weiterhin politisch geführt und entschieden werden. Immerhin gibt sich die Swissgrid als neue Besitzerin des nationalen Übertragungsnetzes kompromissbereiter als die Überlandwerke Axpo, Alpiq und BKW Energie AG, die Erdkabel stets und strikte ablehnten. Swissgrid will jetzt einige «Pilotprojekte» mit Erdverkabelung realisieren. Ob das reicht, um in den nächsten zehn Jahren Höchstspannungsleitungen mit einer Gesamtlänge von tausend Kilometern neu- oder auszubauen, bleibt allerdings fraglich. Denn auch ohne politischen Widerstand wäre dieser sechs Milliarden Franken teure Ausbau eine höchst anspruchsvolle Aufgabe.

Die Swissgrid steckt im Sandwich: Als Netzbetreiberin muss sie dafür sorgen, dass zwischen zunehmend schwankender Produktion und schwankendem Verbrauch jederzeit ein Gleichgewicht besteht, um einen Stromcrash zu vermeiden. Ausserdem soll sie einen Mittelweg finden zwischen dem Anspruch nach billiger Stromübertragung, den Stromproduzenten Grossverbraucher stellen, und dem Landschaftsschutz, den Naturfreunde und betroffene Regionen zu Recht einfordern.

Diese Aufgabe ist besonders schwierig, weil die Swissgrid den Standort und Bau von Kraftwerken nicht beeinflussen kann. Sie darf auch den Stromhandel nicht über Gebühr einschränken, weil das der Marktideologie zuwider läuft. Aus diesem Grund muss Swissgrid mehr umstrittene Leitungen bauen, als bei einer optimalen Koordination zwischen Energiepolitik, Kraftwerks- und Netzplanung nötig wäre.

Das Stromnetz wird damit zum Joker für die künftige Stromversorgung. Wenn es reisst, verlieren alle – Stromproduzenten, Stromhändler und Konsumentinnen. Das ist der Preis für die Liberalisierung der Stromversorgung, die eine Trennung von virtuellem Strommarkt und weiterhin notwendigem Netzmonopol.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

Zum Infosperber-Dossier:

Starkstromleitung_2

Umstrittene Starkstromleitungen

Riesige transeuropäische Starkstrom-Autobahnen oder dezentrale Stromstrassen? Ober- oder unterirdisch?

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.