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Erst die Verbindung von Effizienz, Suffizienz und natürlichen erneuerbaren Energien macht Energiekonsum nachhaltig. © li: Andres Siimon, Unsplash; re: zvg.

in memoriam hpg: Effizenz versus Nachhaltigkeit

Rudolf Rechsteiner /  Seit der Industriellen Revolution steigt die Produktivität. Doch «mehr Effizienz» ist tückisch. Nachhaltigkeit geht anders.

Effizienz ist nichts Schlechtes: Ein Haus, das weniger Heizenergie verbraucht, ein Auto, das mit weniger Benzin auskommt, gut so. Politikerinnen und Politiker pflegen die Worthülse von der «erhöhten Effizienz» mit Inbrunst. Das kommt gut an, denn damit kann man Geld sparen, bei gleichbleibender Qualität, so wird stillschweigend unterstellt.

Rudolf Rechsteiner ist alt Nationalrat (SP, Basel), Ökonom (Dr. rer. pol.), selbständiger Berater und Dozent für Umwelt- und Energiepolitik mit Schwerpunkt erneuerbare Energien, Basel. Er verfasste diesen Beitrag im Rahmen der Serie «in memoriam hpg» (siehe Box). © zvg

Dass wir immer effizienter werden, lässt sich an konkreten Beispielen nachweisen. Neubauten brauchen heute noch einen Bruchteil der Heizenergie, gemessen an den alten, «modernen» Neubauten aus den 60er Jahren. Auch Lampen, Kühlschränke, Computer und Waschmaschinen sind effizienter geworden. Der Stromverbrauch pro Kopf ist in den meisten OECD-Ländern gesunken, in der Schweiz von 7721 kWh (2006) auf 6451 kWh (2020), minus 16,5 Prozent. Dies geschah trotz der Verdreifachung elektrischer Wärmepumpen und vermehrter Elektromobilität.

Die schlechten Seiten

Effizienz hat den Umweltverbrauch also spezifisch abgesenkt. Aber der Gesamteffekt ist nicht eindeutig. Das Geld, das wir dank Effizienz einsparen konnten, dient neuen Verwendungen, die die Umwelt vielleicht stärker belasten als zuvor. In der Ökonomie spricht man von Rebound-Effekten: Wenn ein Auto weniger Benzin schluckt, können wir weiter fahren; der Verbrauch sinkt nicht oder viel weniger als erwartet. Wir können natürlich auch weniger Auto fahren. Und das Geld für Ferien mit dem Flieger einsetzen. Effizienz verkleinert den ökologischen Fussabdruck nicht automatisch, es gilt people’s choice.

Der englische Ökonom William Stanley Jevons hat die Problematik schon 1865 in seinem Buch «The coal question» beschrieben: Der technische Fortschritt, einen Rohstoff besser auszunutzen, erhöht die Nachfrage nach diesem Rohstoff. Am Ende sinkt der Verbrauch nicht, sondern er steigt, und mit ihm die Umweltfolgen.

Zwingend ist dieser Weg aber nicht. Die höhere Produktivität könnte auch zur Verkleinerung des ökologischen Fussabdrucks eingesetzt werden: wenn ich Geld spare, muss ich weniger lang arbeiten – theoretisch.

Mehr materieller Wohlstand oder mehr Freizeit – beides fand in der Vergangenheit Zuspruch. Wir konsumieren mehr, aber wir arbeiten auch weniger: wir starten unsere Erwerbskarriere nicht mehr im Kindesalter wie im 19. Jahrhundert, sondern zwischen 20 und 30. Wir leben nach der Pensionierung nochmals 20 bis 30 Jahre von der Rente, ohne zu arbeiten. Auch die Ferien wurden länger und die Wochenarbeitszeit kürzer.

All das verdanken wir dem technischen Fortschritt, der allerdings auch mit einem gigantischen Anstieg des Materialverbrauchs einherging. Die Problematik höherer Einkommen ist für die Umwelt weit dramatischer als die Verwendung der Produktivitätsgewinne zugunsten des süssen Nichtstuns. Nichterneuerbare Energieverbräuche und Rohstoffe verschmutzen Luft, Meere und Böden in hohem Tempo. Die Erhitzung der Atmosphäre wird nach Jahrzehnten des Wegschauens als existenzbedrohend anerkannt.

Implosion der Verbräuche?

Wäre es nicht das Gebot der Stunde, steigende Effizienz zur Reduktion des ökologischen Fussabdrucks einzusetzen? Materieller Wohlstand und Arbeitszeit bleiben sich gleich, aber der Produktivitätsgewinn könnte der Verkleinerung des Materialdurchlaufs dienen und den ökologischen Fussabdruck reduzieren. Für den Klimaschutz braucht es den schnellen und vollständigen Verzicht auf fossile Energie. Auch der Flächenverbrauch könnte sinken, und das gedankenlose Wegwerfen knapper Mineralien und Metalle sollte sich zur Kreislaufwirtschaft transformieren.

Und nein, Kreislaufwirtschaft heisst nicht, dass wir alle ärmer werden, denn dank den erneuerbaren Energien, die die Sonne täglich zur Erde schickt, sind saubere Ressourcen zur operativen Bewältigung der Aufgabe ausreichend vorhanden.
Der solare Energieeintrag ist erstens riesengross. Zweitens ist er dezentral und «demokratisch» auf alle Weltregionen verteilt. Drittens sind erneuerbare Energien meist auch effizienter als die fossilen und nuklearen Dinosaurier der alten Energiewelt. Die Stromerzeugung vom Hausdach stellt die langen Versorgungsketten der herkömmlichen Energieträger grundlegend in Frage. Kein Wunder ist die Börsenkapitalisierung der fossilen und nuklearen Energiefirmen in den letzten zehn Jahren gesunken wie in keiner anderen Branche.

Lokale und regionale Netze werden die Versorgungssicherheit in Zukunft billiger und besser gewährleisten. Auf problematische Importe von mineralischen Energieträgern aus krisengeschüttelten Diktaturen können wir dank erneuerbaren Energien problemlos verzichten. Nicht vergessen sollte man die Energieverluste der vorgelagerten Beschaffungsketten: Exploration, Förderung, Raffinierung, Transport und Speicherung von Öl und Gas, die weltweit Luft, Gewässer und Böden belasten. Sie alle fallen in Zukunft weg.

Die Effizienz von erneuerbaren Energien zeigt sich nicht nur auf der Gewinnungsseite, sondern auch bei der Verwendung. Elektromotoren haben einen Wirkungsgrad von über 95 Prozent, ein Mehrfaches der 20 bis 25 Prozent jedes Benziners. Auch die Umwandlungsverluste auf dem Weg von der Primär- zur Nutzenergie sind kleiner. Es sind keine thermischen Prozesse im Spiel, wenn die Energie aus Wasserkraft, Wind- oder Solarstrom stammt.

Effizienz wird zweitrangig

Anders als bei Öl und Gas geht es beim Sonnenlicht nicht darum, die gegebenen Ressourcen vollständig auszubeuten. «Effizientere» Solarzellen sind nur dann sinnvoll, wenn sie die Kosten, den Materialverbrauch oder den Flächenbedarf senken. Auch mit bescheidenen 20 Prozent Wirkungsgrad von Solarzellen kommen wir ans Ziel, so unendlich gross ist das Energieangebot.

Die «neue Energiewelt» kommt dank den geringeren Energieverlusten mit einem Bruchteil der bisherigen Primärenergie aus. Vielleicht brauchen wir nur 10 bis 20 Prozent, um ein befriedigendes Konsumniveau zu erhalten.

Elektro-Fahrzeuge verbrauchen mit 15 kWh/100 km etwa 1 bis 2 «Liter» Strom, also fünfmal weniger als herkömmliche Autos. Wärmepumpen gewinnen aus einer Einheit Strom drei bis vier Einheiten Wärme – dank Umgebungswärme. Und wenn Gebäude gut isoliert sind, lässt sich der Verbrauch nochmals spielend halbieren. Das sind gute Nachrichten.

Wenn manche Schlaumeier maliziös auf die noch immer geringen Anteile der erneuerbaren Energien am gesamten Primärverbrauch hinweisen, dann spricht dies nicht gegen erneuerbare Energien, sondern deutet eher auf Begriffsverwirrung. Denn solche Vergleiche übersehen die gigantischen Energieverluste der «alten» Energiewelt, die zu beschaffen es sich erübrigt, wenn die fossilen und nuklearen Versorgungsketten aus dem Strommix verschwinden. Oder anders gesagt: werden die letzten 30 Prozent Kohlestrom durch Windkraft ersetzt, verschwinden 80 Prozent des bisherigen Primärenergieverbrauchs, aber der Endverbrauch bleibt dank Windenergie gleich hoch wie bisher.

Misst man die Nutzenergie, die bei den Konsumentinnen und Konsumenten ankommt, dann liegt der Anteil der erneuerbaren Energien schon heute in der Grössenordnung von 50 Prozent. Bis 2050 kann er spielend auf 100 Prozent steigen, denn auch kostenmässig haben Sonne und Wind inzwischen die Nase vorn.

Auch «erneuerbar» ist nicht zwingend nachhaltig

Die Hypothese «erneuerbar = effizient» gilt zwar sehr oft, aber nicht immer. Elektro-Fahrzeuge und Wärmepumpen werden die Implosion der Energieverbräuche vorantreiben. Doch was geschieht mit dem Schiffs- und Flugverkehr, der sich bisher stets an den internationalen Reduktionszielen vorbeimogelte? Hier sind einfache, effiziente Lösungen nicht so einfach oder noch wenig verbreitet. Man könnte die Welt deglobalisieren und den internationalen Handel zurückfahren. Oder aufs Fliegen verzichten und den Nachtzug benutzen. Beides ist politisch alles andere als «sexy».

Die Öl- und Gaskonzerne setzen auf das Wundermittel Wasserstoff (H2). Doch «grüner» Wasserstoff, auch wenn er ganz aus erneuerbaren Energien kommt, basiert auf den ineffizientesten Versorgungsketten, die es gibt. Bei der Herstellung, Speicherung, beim Transport und bei der Verwendung in Brennstoffzellen oder Wärmekraft-Kopplungsanlagen sind die Verluste noch grösser als bei herkömmlichen fossilen Energien. Batterien wären effizienter und billiger, aber bis sie in den gewünschten Kapazitäten verfügbar sind, wird es Zeit brauchen.

Wer echte Nachhaltigkeit will, darf sich deshalb weder mit Effizienz noch mit erneuerbaren Energien zufrieden geben. Es gehört auch Suffizienz dazu: der Entscheid zum Verzicht, um den exzessiven Ausbau an erneuerbaren Energien zu vermeiden. «Flugscham» ist ein Symptom dieser Problematik, bis auch hier Innovationen das Problem wahrscheinlich lösen. Bis dahin sollten Lenkungsabgaben der Verschwendung Einhalt gebieten.

Der Witterungs-Joker

Die erneuerbaren Energien haben aber noch einen «Joker» parat. Die natürlichen Energieflüsse, die aus Wasserkraft, Sonne und Wind geerntet werden, hängen entscheidend von der Witterung ab. Die saisonalen, wöchentlichen und täglichen Hoch- und Niedrigphasen der Produktion sorgen in manchen Zeiten für Energie im Überfluss.

Wer möchte sich an einem sonnigen Tag im Frühjahr nicht in die Sonne legen? Es gibt genug Sonne für alle, und dies erst noch kostenlos. Der immense Überfluss, den die Sonne zyklisch auf die Erde schickt, lässt Effizienzüberlegungen verblassen.
Gelingt es, aus diesen Wetter-Zyklen überschüssige Energie abzuspeichern, lassen sich selbst verschwenderische Zwecke legitimieren. Menschlichem Erfindungsgeist sind kaum Grenzen gesetzt. Darum dürfte uns «harte Suffizienz», von oben verordnet, erspart bleiben.

Die Grundidee der Suffizienz ist deshalb nicht einfach falsch. Denn «Masshalten» ist nicht bloss ein ökologisches Gebot, sondern es kann auch befreiend sein. Man denke in Analogie ans tägliche Essen: Ein Mehr ist nicht immer besser. Es verursacht Übergewicht, führt zu Passivität und Krankheit. Freiheit hört bekanntlich dort auf, wo sie uns oder anderen schadet. Das Optimum an Energiekonsum liegt im Dreieck von Effizienz, Suffizienz und natürlichen erneuerbaren Energien.

***

in memoriam hpg: Serie im Gedenken an Hanspeter Guggenbühl

HPG

Hanspeter Guggenbühl (2. Februar 1949 – 26. Mai 2021) gehörte zu den profiliertesten Schweizer Journalisten und Buchautoren für die Themen Energie, Umwelt, Klima und Verkehr. Hanspeter Guggenbühl engagierte sich seit den Gründerjahren mit viel Leidenschaft für Infosperber – er schrieb mehr als 600 Artikel und prägte die Online-Zeitung ganz wesentlich. Sein unerwarteter Tod ist ein grosser Verlust für den Journalismus, für Infosperber und für alle, die ihm nahestanden.

Um einen Beitrag an das Andenken von Hanspeter Guggenbühl zu leisten, haben sich mehrere Schweizer Autor:innen bereit erklärt, einen Text mit der Vorgabe zu schreiben, dass Hanspeter ihn gerne gelesen hätte. «Gerne gelesen» heisst nicht, dass er nicht widersprochen hätte – war ihm die argumentative Auseinandersetzung doch ebenso wichtig wie das Schreiben.

Diese Texte werden in den kommenden Wochen in loser Folge publiziert und sind an der blauen Grafik erkennbar, die auch in diesem Text enthalten ist. Alle Beiträge werden als Serie «in memoriam hpg» zusammengefasst und im hier verlinkten Dossier vereint.

Die Beitragenden (in alphabetischer Reihenfolge):

  • Marcel Hänggi, Journalist und Autor mit Fachbereich Umwelt und Klima, Lehrer, Mit-Initiant der Gletscher-Initiative, Zürich. 
  • Reto Knutti, Professor für Klimaphysik, ETH Zürich, Zürich. 
  • Jürgmeier (Jürg Meier), Schriftsteller, Winterthur. 
  • Rudolf Rechsteiner, alt Nationalrat (SP, Basel), Ökonom (Dr. rer. pol.), selbständiger Berater und Dozent für Umwelt- und Energiepolitik mit Schwerpunkt erneuerbare Energien, Basel.
  • David Sieber, Journalist, Chefredaktor von «Die Südostschweiz» (bis 2015), Chefredaktor «Basellandschaftliche Zeitung» (bis 2018), Chefredaktor «Schweizer Journalist» (bis 2021), Basel. 
  • Felix Schindler, Journalist mit Fachbereich Mobilität, Zürich.
  • Billo Heinzpeter Studer, Sozialforscher und Journalist, Gründer und Präsident der Organisation fair-fish, Adria.
  • Jakob Tanner, emeritierter Professor für Geschichte der Neuzeit und Schweizer Geschichte, Universität Zürich, Zürich.
  • Jakob Weiss, war zwanzig Jahre lang in der kleinbäuerlichen Landwirtschaft tätig und ist Autor des Buches «Die Schweizer Landwirtschaft stirbt leise. Lasst die Bauern wieder Bauern sein».

Den Nachruf, den sein langjähriger Freund und Weggefährte Urs P. Gasche schrieb, finden Sie hier: Adieu, lieber Hanspeter.

(fxs.)


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

HPG

in memoriam hpg

Mehrere Schweizer Autor:innen leisten einen Beitrag zum Andenken an den Journalisten Hanspeter Guggenbühl (2.2.1949 - 26.5.2021).

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2 Meinungen

  • am 3.10.2021 um 16:44 Uhr
    Permalink

    Ach, lieber Ruedi, frag doch mal einen Cehmiker, ob Wasserstoff H2 nicht unmittelbar nach der Elektrolyse, als Rohstoff für die Herstellung von Ethanol (Ethanol-Kraftstoff E85) verwendet werden kann. Zur denzentralen Verwertung von überschüssigem Solar- und Windstrom.

  • am 3.10.2021 um 20:29 Uhr
    Permalink

    Ob wohl dieser mechanistisch-technokratische Ansatz mit dem Immer-noch-mehr-Bermudadreieck von Effizienz, Suffizienz und (sogenannt erneuerbarer) Energie der Philosophie von Hans-Peter Guggenbühl entsprechen würde?

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