HPG Tankstelle X

Grüne Tankstelle mit «Biosprit», im Klartext mit Agrartreibstoff. © panthermedia

in memoriam hpg: Die Autos der Reichen …

Red. /  Hanspeter Guggenbühl warnte bereits 1980 davor, dass die Autos der Reichen das Getreide der Armen fressen.

Red. Für sein Gesamtwerk bekam Hanspeter Guggenbühl am 30. August den Zürcher Journalistenpreis. Noch vor seinem Tod wählte er zuhanden der Jury drei seiner Tausenden von Artikeln aus, die ihm wichtig erschienen. Als Teil unserer Serie im Gedenken an Hanspeter Guggenbühl veröffentlichen wir sie an dieser Stelle. Der folgende Artikel erschien am 11. März 1980 (!) u.a. in der «Basler Zeitung».

«Das Vieh der Reichen frisst das Getreide der Armen.» So lautet der provozierende kurze Nenner aus der betrüblichen Tatsache, dass pflanzliche Nahrung den Hungernden in armen Ländern entzogen und in den reichen Ländern zwecks Fleischproduktion den Masttieren verfüttert wird, wobei der Nährwert des in Fleisch umgewandelten Getreides auf einen Drittel bis einen Zehntel zusammenschrumpft. 

Inzwischen ist aber auch den Schweinen und Kälbern der Reichen ernsthafte Konkurrenz erwachsen. Durch die Autos. Seit das Schwarze Gold knapp und teuer geworden ist, haben findige Köpfe entdeckt, dass sich aus pflanzlicher Nahrung genauso gut Treibstoff machen lässt. Fast täglich gibt es darüber neue Erfolgsmeldungen. Aethanol oder Getreidealkohol heisst das Wundermittel, das unsere Autos auch bei versiegenden Erdölquellen in Schwung halten soll. 

Kürzlich haben die Masttiere eine wichtige Schlacht am Futtertrog verloren: Fünf Millionen Tonnen Mais aus den USA, die ursprünglich als Mastfutter für sowjetisches Vieh vorgesehen waren, sollen jetzt zu Kraftstoff für US-Automobile verarbeitet werden. Der Einmarsch in Afghanistan und das Getreideembargo der USA brachten dem Sowjetvieh das Nachsehen. Nicht in den Kampf um den nahrhaften Mais konnten die hungernden Kambodschaner eingreifen.

Vieles deutet darauf hin, dass Schweine, Rinder und Kälber nicht nur auf der politischen, sondern auch auf der wirtschaftlichen Ebene weitere Niederlagen gegen das Goldene Kalb auf vier Rädern werden einstecken müssen: US-Präsident Jimmy Carter möchte nämlich bis 1985 die Aethanol-Produktion in seinem Land auf 7,5 Milliarden Liter steigern. Damit könnten aber erst zwei Prozent aller Autos im Land der unbegrenzten Möglichkeiten angetrieben werden.

Die Schnapsidee, Autos mit pflanzlichem Alkohol anzutreiben, hat Brasilien schon weiter vorangetrieben: Schon heute rollen dort 800’000 Autos mit aus Zuckerrohr gewonnenem Alkohol oder Alkoholzusatz im Tank. Im Amazonas-Staat sollen, so geht der Plan, dereinst drei Prozent der gesamten Bodenfläche des Landes zu Benzingärten umgepflügt werden. 

Das fleischproduzierende Vieh und das abgasproduzierende Auto haben etwas gemeinsam. Sie sind sehr gefrässig. Um einen einzigen Mittelklassewagen pro Jahr 15’000 Kilometer weit zu bewegen, braucht es so viel Mais oder Zuckerrüben, wie auf einer halben Hektare wächst. Wollte man alle zwei Millionen Personenwagen in der Schweiz antreiben, müsste man dazu einen Viertel der ganzen Schweiz (also mehr als alle bisherige Ackerfläche) mit Getreide oder Zuckerrüben bepflanzen. Es sei denn, man importiere die entsprechende Menge Futter, zum Beispiel aus der Dritten Welt. 

In einem Punkt ist indes das Auto dem Vieh überlegen: In der Kaufkraft seines Besitzers. Damit ist abzusehen: Wenn unsere klugen Köpfe weiterhin auf Aethanol als «Alternative» zum autoantreibenden Benzin setzen, ergibt sich eine neue Rangfolge am Futternapf. Zuerst kommen die Autos, dann die Schweine, und am Schwanz stehen die Hungernden, die schon bisher mangels genügender Kaufkraft am Markt um die Nahrung nicht mitbieten konnten. Das eingangs erwähnte Fazit wird dann wohl so lauten: «Die Autos der Reichen fressen das Getreide der Armen.» 


in memoriam hpg: Serie im Gedenken an Hanspeter Guggenbühl

HPG

Hanspeter Guggenbühl (2. Februar 1949 – 26. Mai 2021) gehörte zu den profiliertesten Schweizer Journalisten und Buchautoren für die Themen Energie, Umwelt, Klima und Verkehr. Hanspeter Guggenbühl engagierte sich seit den Gründerjahren mit viel Leidenschaft für Infosperber – er schrieb mehr als 600 Artikel und prägte die Online-Zeitung ganz wesentlich. Sein unerwarteter Tod ist ein grosser Verlust für den Journalismus, für Infosperber und für alle, die ihm nahestanden. 

Um einen Beitrag an das Andenken von Hanspeter Guggenbühl zu leisten, haben sich mehrere Schweizer Autorinnen und Autoren bereit erklärt, einen Text mit der Vorgabe zu schreiben, dass Hanspeter ihn gerne gelesen hätte. «Gerne gelesen» heisst nicht, dass er nicht widersprochen hätte – war ihm die argumentative Auseinandersetzung doch ebenso wichtig wie das Schreiben. Alle Beiträge werden als Serie «in memoriam hpg» zusammengefasst und im hier verlinkten Dossier vereint. 

Diese Woche ergänzen wir die Serie «in memoriam hpg» mit einem der vielen Artikel von Hanspeter Guggenbühl, die auch noch nach Jahren von ihrer Aktualität nichts verloren haben.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

HPG

in memoriam hpg

Mehrere Schweizer Autor:innen leisten einen Beitrag zum Andenken an den Journalisten Hanspeter Guggenbühl (2.2.1949 - 26.5.2021).

Kuh

Landwirtschaft

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4 Meinungen

  • am 5.09.2021 um 12:23 Uhr
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    Unglaublich HPG’s Weitsicht. Sein Artikel könnte ebenso gut heute geschrieben worden sein. 1980 habe ich mit Windkraft beschäftigt, wäre aber nie auf die Idee gekommen, Biosprit in dieser Klarheit zu hinterfragen.

  • am 5.09.2021 um 23:13 Uhr
    Permalink

    Als ich seinerzeit hörte, dass Getreide zu Autotreibstoff umgewandelt würde, kam mir die uralte Sage über die Entstehung des Titisees im Schwarzwald in den Sinn.
    Dort, wo heute der Titisee ist, war früher eine sehr reiche Stadt. Der Reichtum war so gross, das die Menschen in ihrem Übermut BROTLAIBE aushöhlten und sie dann als Schuhe benutzten. Dies erboste eine Fee derart, dass sie beschloss, dem Treiben ein Ende zu machen. Sie verstopfte mit ihrer Filzhaube den Lauf des Seebachs und so versank die Stadt im See, dem Titisee. Alle 1000 Jahre verrottet ein Haar ihrer Haube u. wenn alle Haare verrottet sind fliesst das Wasser ab u. die Stadt taucht wieder auf.

  • am 6.09.2021 um 18:20 Uhr
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    Es war ja noch nie so, dass – in der Schweiz im Kleinen und in der Welt im Grossen – das Wissen gefehlt hätte, was zu tun oder zu lassen ist. Wenn sich wirklich etwas im Sinne beispielsweise von Hanspeter Guggenbühl ändern soll, müssen allein in der Schweiz mindestens 100’000 und weltweit viele Millionen Behördenmitglieder, Politiker*innen und Verwaltungspersonen ihr Amt abgeben bzw. ersetzt werden: sie sind objektiv und nüchtern betrachtet für das, was notwendig ist, auf einem total falschen Weg und für einen Wandel nicht fähig!

  • am 7.09.2021 um 07:14 Uhr
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    Und Carsten Lindemann (CDU) bei Hart aber Fair ( «einfach aber wenigstens dümmlich»), höchstens 10 Minuten zu ertragen (man riskiert einen Nervenzusammenbruch) Lindemann: «China wächst zwischen 6-7% , das müssen wir auch erreichen. Ich schlage vor , wir bemühen uns um mindestens 14% , dann können wir bald sämtliche Zentralheizungen und die Warmwasserversorung abschaffen und mit dem eingesparten Geld kann sich jeder ein Elektrofahrrad, ein Elektromotorrad, ein Elektroauto und ein Elektrokleinflugzeug anschaffen. Wir müssen zuversichtlich und hoffnungsvoll in die Zukunft schauen, es muss wieder aufwärts gehen. Lindemann zeigt uns den Weg, wenn auch bei mindesten 99,5% Luftfeuchtigkeit. Badehose und Kreislaufunterstützung bereithalten. Yes we can ………

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