Unmögliches Projekt Toules Staumauer im Wallis.Romande Energie

Toules-Staumauer bei Martiny im Wallis: Soll in dieser Geologie um 32 Meter erhöht werden. © Romande Energie

Einige Staumauerprojekte für grünen Strom sind Augenwischerei

Christian Bernhart /  Vier Staumauer-Projekte, geplant um die Winterstromlücke zu decken, sind technisch unmöglich oder zu aufwendig.

Das Augenmerk galt vor allem der Umwelt, als sich der Runde Tisch unter Bundesrätin Simonetta Sommaruga im Dezember 2021 auf die 15 Wasserkraftprojekte zur Deckung der Winterstromlücke einigte. Doch neben Umweltverbänden stellte sich auch die Schweizerische Wasserwirtschaft mit dem damaligen Präsidenten Albert Rösti hinter die Projekte. Und seitens der Wasserkraftbetreiber setzte Axpo-Chef Christoph Brand die Unterschrift unter das Dokument. Es sieht vor, bis 2040 die Winterstromlücke von 2,2 Terawattstunden (TWh) pro Jahr grösstenteils mittels Erhöhung bestehender Staumauern zu decken. Ob jedoch Doppelbogen-Staumauern* um 20 Meter erhöht werden können, dazu fehlten verlässliche Angaben, wie aus den geheimen Dokumenten hervorgeht, die Infosperber am 8. Januar 2023 publik machte.  

Betroffen sind namentlich Projekte im bündnerischen Vorderrhein für die Stauseen Curnera (+20 m) und Nalps (+25 m) und im Wallis für den Stausee Moiry (+22 m), der seitlich des Val d’Anniviers liegt, sowie für den gestauten Lac de Toules im südlichen Seitental von Martigny (Bild oben), dessen Mauer sogar um 32 Meter aufzustocken wäre. Aus den Dokumenten geht hervor, dass aufschlussreiche Vorprojekte fehlen; vorhanden sind einzig Vorstudien, allenfalls solche nach SIA 103, welche die Leistungen für Honorare der Bauingenieurarbeiten abdecken.

Eine skeptische Einschätzung zum Moiry-Projekt von Alpiq äusserte dessen Chefbauleiter Jonathan Fauriel im Gespräch vor einem Jahr mit dem deutschen «Bild der Wissenschaft». Fauriel stufte das Vorhaben als «sehr kompliziert und sehr teuer» ein, denn: «Die Mauer muss rückgebaut werden, um deren Geometrie anzupassen.» 

Lac de Moiry VS.Geometrie passt nicht
Staumauer Moiry seitlich des Val d’Anniviers. Sie soll um 22 Meter erhöht werden: «Kompliziert und sehr teuer».

Zu hoher Wasserdruck 

Fauriels Wissen gründet auf seiner Erfahrung bei der Firma Gruner des Staumauer-Pioniers Alfred Stucky, der 1921 in Europa die erste Doppel-Bogenstaumauer für den Lac de Montsalvens im Greyerzerland plante und erstellte. Bei solchen eleganten Talsperren ist die Bogenführung exakt auf den Taleinschnitt ausgerichtet, in dessen Felsstruktur sich die Mauer dicht verankert. Die spezielle Bauweise und Geometrie führen dazu, dass ein Aufbau von mehr als zehn Metern entweder unmöglich oder äusserst kostspielig ist (siehe Box).

Eine Erhöhung um 20 Meter mit steigendem Wasserpegel würde den Druck auf die Mauer stark erhöhen, was eine Anpassung der Mauergeometrie bedingen würde. Dazu müsste zunächst der obere Drittel der Mauer rückgebaut werden, wie Fauriel anhand einer Grafik erläuterte. Der Rückbau wäre heikel und vor allem aufwendig, denn es gälte Erschütterungen zu vermeiden. Bohrmaschinen oder Sprengungen kämen nicht infrage. Wie Gruner-Ingenieur Alexandre Wohnlich 2021 in einem Fachartikel zur Erhöhung der alten Emosson-Staumauer ausführte, müssten zunächst der See entleert und 20 Meter der Betonmauer mit einem Hobel sachte weggefräst werden. Heikel wäre auch die Verbindung der neuen mit der alten Mauer, weil zwischen alt und neu ein Unterschied von 60 Jahren bestünde, hier müssten Stahlbolzen für eine adäquate Verbindung sorgen. 

Experten äussern Bedenken

Stabile Felsen für die Erhöhung der Bogenmauer von über 20 Metern fehlen jedoch bei den Staumauern Moiry (VS), Les Toules (VS) und Nalps (GR). Weil bei der alten Emosson-Staumauer diese Verankerung an der rechten Talseite fehlte, musste man eine massive Gewichtsstaumauer zur Stabilität erstellen. Das war mit ein Grund, weshalb die reinen Bauarbeiten ohne das Auffüllen des entleerten Sees fünf Jahre (2012 bis 2016) dauerten, wobei auf 2230 Meter Höhe nur von April bis Oktober gebaut werden konnte.

Über den Fortschritt der 15 Projekte des Runden Tisches setzte das Bundesamt für Energie (BFE) im April vor einem Jahr die ständerätliche Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie (Urek-S) dahingehend ins Bild, dass die Axpo bei Nalps und Curnera (GR) die angekündigten 99 Gigawattstunden (GWh) pro Jahr aus technischen Gründen um mehr als die Hälfte, um 50 GWh, reduzieren muss. Beim Lac des Toules gelte es noch zu klären, ob das Projekt technisch überhaupt realisierbar sei. Zum Moiry-Projekt meint Alpiq-Mediensprecher Guido Lichtensteiger heute: «Die endgültige Höhe ist noch nicht festgelegt, eventuell wird sie weniger als 20 Meter betragen.» 

Kritische Worte zur Erhöhung kommen von einem mit Staumauern vertrauten Ingenieur. Weil sich vor allem die beiden Firmen Lombardi und Gruner mit solchen Projekten einen Namen geschaffen haben, will er anonym bleiben. Zum Projekt Lac des Toules, dessen Mauer zwischen 2008 und 2011 verstärkt wurde, sagt er: «Jeder, der die Staumauer kennt, weiss, dass, sie zu erhöhen, aus technischen und geometrischen Gründen unmöglich ist.» Zum Mory-Projekt will er als Insider wissen, dass eine Erhöhung von acht bis neun Metern vorgesehen ist. Und bei der Staumauer von Nalps fehle auf der einen Seite nicht nur die mögliche Felsverankerung. Bei einer Mauerhöhe von 127 Metern sei eine Erhöhung um 20 Meter sehr gewagt. 

Die Vorbehalte zu Erhöhungen von 20 Metern werden auch von Giovanni De Cesare, Dozent für Wasserbau an der ETH-Lausanne, geteilt, denn: «Hauptsächlich verankern sich Doppel-Bogenstaumauern beidseitig in der Felsstruktur, die dem Druck bei einer Erhöhung standhalten muss.» Was die Form anbetrifft, meint De Cesare: «Die Doppelbogen-Geometrie kann eventuell angepasst werden. Das ist aber nicht immer möglich, weil sich die Mauer gegen oben verschlankt. Andernfalls muss der obere Teil der Mauer rückgebaut werden. Dies hängt jedoch von der Geometrie und Qualität der bestehenden Betonmauer ab.» Dabei müsse der See teilweise oder ganz entleert werden, falls der verbliebene Teil der Mauer nicht mehr für die ursprünglich ausgelegte Wasserspeicherung und Stromproduktion funktioniert.

Ausbau von Fördergeldern abhängig

Diese vier Projekte (Nalps, Curnera, Moiry, Toules), die mit rund 300 GWh pro Jahr zur Deckung des Winterstroms beitragen sollen, sind entweder Makulatur oder auf massive Fördergelder bei rund zehn Jahre ausfallender Stromproduktion angewiesen. Deren Präsident, der Walliser Ständerat Beat Rieder meint, dass am Runden Tisch ja noch weitere Projekte vorgelegt wurden und vor allem: «Die Annahme des Stromgesetzes für die Förderung erneuerbarer Energien erlaubt es dem Bundesrat, auch andere Projekte aufzugleisen.»

Am 7. September machte der «Tages-Anzeiger» mit Bezug auf den «Walliser Boten» bekannt, dass die Walliser Regierung zusätzlich zum 2022 beschlossenen Ausbau neun weitere Projekte forcieren will, darunter das Projekt Oberaletsch mit 765 GWh pro Jahr. 

Die Annahme des Stromgesetzes wirkt sich auch auf die Nalps- und die Curnera-Projekte der Axpo aus. Deren Sprecher Martin Stutz meint, dass nun die Klärung zur Förderung der Vorhaben im Vordergrund stehe, und: «Dazu müssen auch die finalen Verordnungen zum Mantelerlass abgewartet und analysiert werden» Mit Mantelerlass ist das angenommene Stromförderungsgesetz gemeint. 

Ob diese Wasserkraftprojekte bis 2040 die 2,2 Terawatt pro Jahr liefern werden ist ungewiss. Einzig die Berner Projekte könnten rechtzeitig spruchreif sein. Für die Erhöhung der Grimselsee-Staumauern um 20 Meter läuft beim Kanton das Konzessionsgesuch. Vorsorglich wurde die Geometrie der neuen Spitallammmauer bereits auf eine nachfolgende Erhöhung ausgerichtet, Für Trift ist die Konzession vorhanden und die Detailplanung im Gange. Der Kanton Graubünden hingegen kann dem Bund voraussichtlich erst Ende Jahr den für die Projektplanung nötigen Energie-Richtplan einreichen. 

*Die Technik von Doppelbogen-Staumauern

Das Spezielle einer Doppelbogen-Staumauer besteht darin, dass sie in einzelnen Blöcken gestaffelt hochgezogen wird. Den Vorläufer-Blöcken folgen dazwischen die Inselblöcke. Dabei verzahnen sich Blöcke seitlich durch die konvexen Ausbuchtungen der Inselblöcke, die in die Aussparungen der Vorläufer hineinpassen. Diese Mauerblöcke verhalten sich wie die Quader römischer Bogenbrücken, die sich ohne Mörtel einzig durch den Druck von oben stabilisieren. Bei der Doppelbogen-Staumauer ist es der Wasserdruck, der einerseits den horizontalen Bogen seitlich in die Felsen verankert und der anderseits den vertikalen Bogen nach unten in die Talsohle verfestigt.

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Hochziehen der Doppelbogen-Staumauern in einzelnen Blöcken am Beispiel des Neubaus der Spitallamm-Staumauer.

Zwischen den Blöcken wird mit Hochdruck Zement eingepresst, damit die beiden Bögen die Druckkräfte in die Felsen seitwärts und in das Fundament ableiten. Die Betonierung ohne Armierungseisen ist ein heikler Prozess, da bei der Verbindung von Wasser mit Zement Wärme von bis zu 50 Grad entsteht, die gezielt abgeleitet werden muss, um Risse in die bis zu 20 Meter dicken Mauerblöcke, zu vermeiden. Die Entlüftung sowie seismographische Daten werden in den vier bis fünf horizontalen Galerien im Inneren der Mauer aufgezeichnet und kontrolliert.

Dieser aktualisierte Beitrag erschien zuerst in der Aargauer Zeitung.


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Zum Infosperber-Dossier:

SolaranlageBauernhof-1

Energiepolitik ohne neue Atomkraftwerke

Erstes, zweites und drittes Gebot: Der Stromverbrauch darf nicht weiter zunehmen.

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