Die Schwierigkeit, im Überfluss den (Strom-)Mangel anzukünden
Pech für die Schweizerische Elektrizitätskommission (ElCom). Just in einer Zeit, wo die Schweiz über Strom im Überfluss verfügt, terminierte sie ihre (gestrige) Medienkonferenz, um auf den künftig drohenden Strommangel im Winter hinzuweisen. Doch sie tut das zu Recht. Denn die aktuelle Situation unterscheidet sich diametral von der langfristigen Lage.
Vom momentanen Überfluss zum späteren Mangel
Aktuell ist der Stromverbrauch als Folge der Corona-Epidemie und des milden Winters in der Schweiz und in Europa eingebrochen. Die nur bedingt drosselbaren Kraftwerke erzeugen darum überschüssigen Strom zu tiefen und teils negativen Preisen (Infosperber berichtete darüber hier und hier). In normalen Jahren hingegen muss die Schweiz im Winterhalbjahr im Schnitt 4 Milliarden Kilowattstunden (Mrd. kWh) mehr Strom importieren, als sie exportiert, um den Strombedarf im Inland zu decken. Das zeigt die Statistik über die letzten zehn Jahre.
Diese Versorgungslücke wird tendenziell grösser. Denn einerseits werden in den nächsten 10 bis 25 Jahren die alten Atomkraftwerke im Inland abgeschaltet, die bisher rund 40 bis 50 Prozent zur Stromproduktion im Winterhalbjahr beitrugen. Andererseits erhöht der Umstieg auf Wärmepumpen und Elektrofahrzeuge die Nachfrage nach Strom; dies trotz Effizienzsteigerung. Damit wächst die Abhängigkeit der Schweiz vom Stromimport im Winterhalbjahr. Doch die Möglichkeiten zum Import werden unsicherer. Denn Deutschland und Frankreich, die heute die Schweiz im Winterhalbjahr mit Bandstrom aus Atom- und Kohlekraft versorgen, wollen ihre fossile und nukleare Produktionskapazität reduzieren.
ElCom fordert Zubau um 15 bis 30 Prozent
Auf den langfristig drohenden Engpass in der Stromversorgung haben Infosperber (zum Beispiel hier) und ElCom schon in früheren Jahren mehrmals hingewiesen. Neu jedoch beschränkt sich die ElCom nicht aufs Warnen, sondern stellt folgende konkrete Forderung: Die Schweiz soll bis zum Jahr 2035 im Inland neue Produktionskapazitäten bereitstellen, die im Winterhalbjahr 5 bis 10 Mrd. kWh Strom zusätzlich erzeugen, im Minimum 5 Mrd. kWh. Dieses Ziel soll mit der laufenden Revision im Stromversorgungs-Gesetz (StromVG) gesetzlich verankert werden.
Was das bedeutet, zeigen folgende Grössenordnungen:
o Die Atomkraftwerke im Inland, die bis spätestens 2044 stufenweise abgeschaltet werden, erzeugen heute im Winterhalbjahr bei störungsfreiem Betrieb rund 12 Mrd. kWh Strom. Sie könnten also selbst mit dem maximalen Zubau, den die ElCom anpeilt (10 Mrd. kWh), nicht vollständig ersetzt werden.
o Der gesamte Stromkonsum in der Schweiz im Winterhalbjahr beträgt zurzeit rund 34 Mrd. kWh (Inlandproduktion aus Atom-, Wasser-, Wind-, Solarkraft und fossilen Anlagen plus rund 4 Mrd. kWh Importüberschuss). Der von der Elcom verlangte Zubau könnte also knapp 15 bis 30 Prozent des heutigen Strombedarfs im Winterhalbjahr decken.
Mehr Strom im Winter erzeugen, aber wie?
Die Forderung der ElCom, die inländische Stromproduktion im Winterhalbjahr um 5 bis 10 Mrd. kWh zu erhöhen, vermindert die künftige Importabhängigkeit der Schweiz also nur geringfügig; einige Umweltverbände und die Solarlobby haben – allerdings bezogen aufs ganze Kalenderjahr – weit ehrgeizigere Ausbauforderungen. Aus folgenden Gründen ist es trotzdem nicht einfach, das Ziel zu erreichen:
– Die einfachste Lösung, nämlich der Zubau von flexiblen gasbetriebenen Kraftwerken oder Wärmekraftkopplungs-Anlagen, die Strom gezielt im Winter erzeugen, stehen im Konflikt mit dem Klimaziel «netto null CO2 bis 2050».
– Das Potenzial für zusätzliche Windkraftnutzung oder Verstromung von Biomasse ist in der Schweiz gering und teilweise umstritten.
– Ein massiver Zubau an Solarstrom-Anlagen erhöht den Stromüberschuss vor allem im Sommer, aber bringt im Winter relativ wenig. Denn Fotovoltaik-Anlagen erzeugen im Schnitt nur einen Viertel ihres Stroms im Winterhalbjahr.
– Die Umwandlung von im Sommer erzeugtem Solarstrom-Überschuss in Wasserstoff, der sich im Winter zurück verstromen lässt, ist ineffizient (hohe Umwandlungsverluste) und teuer.
– Der weitere Ausbau der Wasserkraft in der Schweiz ist ökologisch umstritten und begrenzt. Zudem würden die meisten noch verbliebenen Wasserkraft-Projekte vor allem Sommerstrom erzeugen.
Der Markt versagt. Stromsparen als Ausweg
Der Markt, den viele beschwören, kann das Problem nicht lösen. Denn solange die Strompreise tief sind, investieren die Stromfirmen nicht in neue Anlagen, sofern der Staat diese nicht massiv subventioniert. Die weitere Subventionierung der Stromproduktion ist aber ebenfalls umstritten.
Als naheliegender Ausweg aus diesem Winterstrom-Dilemma bleibt eines. Wir müssen den Konsum der wertvollen aber heute sehr billigen Elektrizität reduzieren. Als Mittel dazu dienen Lenkungsabgaben, die den Strom verteuern, aber auch Gesetze, die unnötige Stromanwendungen einschränken. In Zeiten, wo die Schweiz im Elektrizitätsüberfluss schwimmt, haben solche Forderungen politisch allerdings einen schweren Stand.
Weitere Artikel zu diesem Thema auf Infosperber:
– «Mangel an Strom im Winter – kein Problem. Oder doch?
– «Die Stromlücke im Winter – und wie sie sich stopfen lässt»
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine. Hanspeter Guggenbühl ist Autor des Buches: "Die Energiewende, und wie sie gelingen kann", Somedia/Rüegger-Verlag 2013.
Ich verstehe den Inhalt dieses Artikels nicht ganz.
Die Argumentation, den Strom im Winter produzieren zu müssen auch nicht.
Wenn man den Im Sommer (durch eine Kombination dieser erneuerbar erzeugten Kw/h) mehr Strom exportieren kann, kommt doch auch genügend Geld zusammen, um im Winter den nun evtl. teureren Strom aus dem Ausland importieren zu können.
Da diese Wasser/Solar/Windkraftwerke auch im Winter (zugegebenermassen weniger, aber trotzdem) Strom erzeugen, braucht man halt Dem entsprechend weniger importe.
Es gibt keinen Befreiungsschlag. Es ist nicht möglich, gleichzeitig aus der Atomenergie auszusteigen, auf fossilen Energien zu verzichten und die Wirtschaft zu erhalten. Hier müssen alle ihre Haltung überdenken, denn keiner der Vorschläge löst das Problem. Sicher ist einzig, dass je länger wir warten, desto schmerzhaft wird es uns treffen.
Aus meiner Erfahrung wird die Fotovoltaik immer noch unterschätzt. Wirklich wenig Energie erzeugen diese nur im Dezember und Januar, oder wenn Schnee draufliegt, was bei winteroptimierten Fassadenanlagen ja nicht der Fall ist. Die Winterlücke ist also nicht 6 Monate lang, sondern höchstens zwei oder drei Monate.
Es gibt auch keinen Grund, die Anlagen eher etwas über als unter zu dimensionieren und dafür im Sommer eventuell eine Leistungsbegrenzung in Kauf zu nehmen. Die dadurch nicht benutzte Energie im Sommer ist relativ gering.
Inzwischen gibt es auch Untersuchungen, die zeigen, dass PV-Anlagen in den Alpen im Winter gleichviel erzeugen könnten wie im Sommer, wenn sie richtig aufgestellt sind.
Langsam geht es mit der PV voran, weil es immer noch zahlreiche unnötige Hürden gibt. Eine davon ist eine distanzunabhängige Durchleitungsgebühr von Strom. Wäre diese Gebühr auf kurze Distanzen (z.B. 10 km) sehr klein, würden plötzlich tausende von Dächern wirtschaftlich interessant. Ich kenne persönlich mehrere Projekte, die genau an diesem Punkt scheitern.
Und ja, warum können wir nicht besonders stromintensive Betriebe im Dezember und Januar ausser Betrieb nehmen? Wenn der Strom wirklich knapp wird, wird dies über den Preis sowieso automatisch passieren.
Sie schreiben:
"Die Umwandlung von im Sommer erzeugtem Solarstrom-Überschuss in Wasserstoff, der sich im Winter zurück verstromen lässt, ist ineffizient (hohe Umwandlungsverluste) und teuer."
Die Sonne sendet 6000 mal mehr Energie, als wir benötigen und sendet dafür keine Rechnung. Die Rücksendung dieser Energie ins Weltall wird zum bedrohlichsten Problem für unser Klima (Treibhauseffekt). Diese «Unwandlungsverluste» muss mir endlich jemand genauer erklären. Welche Krämerrechnung! Die Natur hat ja das Speicherproblem vor Millionen von Jahren gelöst, Kohle, Erdöl und Gas, wissend, dass ein Mensch kommen wird, der zur Lösung des Problems Speicherung von Sommerenergie und Rückverstromung nicht fähig sein wird. Oder will etwa die Interessenpolitik nicht, dass sie dazu fähig ist? Man rede mal mit dem PSI!
Eine Standard-Solaranlage auf einem Flachdach im Mittelland produziert zwar nur 25% des Stroms im Winter. Es können aber auch deutlich mehr sein, beispielsweise dank Anlagen an der Fassade. Szenarien für mehr Solar-Winteranteil werden in einer BFE-Studie dargestellt: https://pubdb.bfe.admin.ch/de/publication/download/9825. Im Maximalszenario wären es über 50%, in einem mittleren Szenario 36%. Ein rascher PV-Ausbau ist deshalb ein wichtiger Beitrag zur Versorgungssicherheit im Winter. Die damit verbundenen Überschüsse im Sommer sind kein Problem, denn sie können zur Wasserstoffproduktion genutzt werden – auch diese Technologie wird laufend billiger und effizienter.
Natürlich stimmt die Aussage von hpg: Wir müssen sparsam mit der wertvollen Ressource Strom umgehen. So haben wir auch etwas mehr Zeit für den Ausbau der Photovoltaik.
Auch Kleinstwasserkraftwerke sind nicht zu unterschätzen. In Deutschland tüftelt man an Mikrokraftwerken herum, die mit 2m Falltiefe 1000kw leisten. Sowas liesse sich praktisch überall verbauen, wo der nötige Platz vorhanden wäre. Beim «2000w Standard» wären das 500 Haushalte pro Kraftwerk. Zur Solarenergie:Je nach Ausrichtung wären Satteldächer ähnlich effektiv wie Flachdächer. Einzig bei Windkraft sehe ich nicht so viel Potenzial, weil leistungsfähige Anlagen nun mal gross sein müssen.
Vielen Dank für die Darlegung der Probleme. Gegen die zu geringe Stromproduktion im Winterhalbjahr kann man also mit neuen (Gas-)Kraftwerken angehen – wenn man die Klimafrage ausser Acht lässt. Ich befürchte, dass das Klimaziel «netto 0 bis 2050» nur eine Worthülse sein wird. Schon Moritz Leuenberger hatte gegen Ende seiner Amtszeit als Bundesrat Gaskraftwerke als Alternative zu Nuklearanlagen vorgeschlagen. (Soweit mir noch ist, dachte man an ein grosses Kraftwerk im Unterwallis). Diese Idee landete zwar auf dem Müllhaufen, wo sie hingehörte, doch geistert sie seither in den Köpfen der Energieerzeuger weiter herum. – Das Problem hier ist, dass nicht im grossen Zusammenhang gedacht wird. Würde der Verbrauch fossiler Energieträger (stark) gesenkt mittels höherem Preis, Lenkungsabgaben und Energiesparmassnahmen (Wärmedämmung der Gebäude, Senkung des Verbrauchs im Verkehr), so könnte man durchaus daran denken, ein Gaskraftwerk in der Zeit des Strommangels zu betreiben. Doch leider wird eben in der Politik mehrheitlich nicht im grossen Zusammenhang gedacht und ein bedeutender Teil davon bestreitet sogar jede Klimaprognose, die eine Erwärmung voraussagt.
S. Thoma, bestverdienende Chefin der BKW (1.7 Mio oder mehr pro Jahr) hat jedenfalls keine Visionen und keine Ideen für die Zukunft. Sie denkt laut nur über Gaskraftwerke nach, aber natürlich nicht darüber, wie man den (fossilen) Energieverbrauch ansonsten senken könnte. Aber vielleicht sollte man sie einfach einmal fragen? IS?
Kostenwahrheit heisst Subventionen eliminieren und Lenkungsabgaben und Steuern auf den Konsum, gemäss dem verursachten Schaden. – Und es ist möglich die Energie vom Sommer in den Winter zu verlagern: synergieplus.ch und andere zeigen das beispielhaft.