Die Axpo verheimlicht das Ausmass ihrer Wettgeschäfte
Der Strommarkt ist kompliziert. Gerade deshalb sollten Bürgerinnen und Bürger möglichst verständlich informiert werden, damit sie sich eine Meinung bilden können. Schliesslich setzt der Bundesrat Steuergelder aufs Spiel, wenn er dem Stromkonzern Axpo eine Kreditlimite von über vier Milliarden Franken gewährt. Der Kredit würde laut Bundesrat «nachhaltig» vergeben. Das heisst im Verlustfall, dass der Bund als allerletzter der Gläubiger Geld zurückerhalten würde.
Das Geschäftsmodell und die Geschäftspraxis der Axpo (und anderer grosser Stromkonzerne) sind in folgende Rahmenbedingungen eingebettet:
- Die Preise von Strom schwanken an der Börse viel mehr als früher.
- Die Axpo will ihren selber produzierten Strom möglichst im Voraus zu einem vereinbarten Preis verkaufen, um so eine Planungs- und Investitionssicherheit zu haben.
- Die Axpo könnte ihren Strom, den sie in den Jahren 2023, 2024 und 2025 voraussichtlich produzieren kann, zum Voraus zu einem vereinbarten Preis an ihre Schweizer Endkunden verkaufen. Sofern die Axpo die verkaufte Menge dann tatsächlich produzieren kann, wäre dies ein risikoloses Geschäft. Doch die meisten Schweizer Kunden der Axpo wollen ihren Strombedarf nicht so lange im Voraus absichern oder sie sind nicht in der Lage dazu.
- Um den selbst produzierten Strom trotzdem zum Voraus zu einem vereinbarten Preis verkaufen zu können, verkauft die Axpo sämtlichen Strom, den sie an ihre Abnehmer in der Schweiz nicht zum Voraus verkaufen kann, stattdessen mit einem Termingeschäft an der Börse an meist ausländische Käufer. Bei einem Termingeschäft erfolgt Lieferung und Bezahlung am vereinbarten zukünftigen Termin. Die Axpo schreibt dazu: «Die Axpo muss ihre Produktion aus Schweizer Kraftwerken von rund 25 TWh pro Jahr über den Grosshandel verkaufen und sichert deren Preis bis zu drei Jahre im Voraus ab.»
So lässt sich der Verkauf der eigenen Stromproduktion langfristig absichern
Diese Termingeschäfte sind zweckmässig, so lange sie den Verkauf des Stroms absichern, den die Axpo in den nächsten ein bis drei Jahren wahrscheinlich produzieren kann.
Ein vereinfachtes Beispiel: Angenommen die Axpo konnte insgesamt 10 TWh auf Termin für den Zeitraum 2023 verkaufen . Und zwar für 100 Euro pro MWh oder insgesamt eine Milliarde Euro. (Siehe «Futures»)
Der Strompreis an der Börse kann im Jahr 2023 steigen (Variante 1) oder sinken (Variante 2).
Variante 1: Der Tagespreis (Spotpreis) an der Börse steigt 2023 auf das Doppelte: 200 Euro pro MWh.
In diesem Fall will die Börse sicher sein, dass der Käufer des Axpo-Stroms die 10 TWh von der Axpo im Jahr 2023 auch wirklich erhält. Falls nicht, müsste die Börse selber den Strom für 200 Euro pro MWh oder insgesamt zwei Milliarden erwerben, um den oder die Käufer zu befriedigen. Aus diesem Grund verlangt die Börse, dass die Axpo die Differenz von 200 zu 100 Euro sofort als eine Art Kaution hinterlegt. Das sind in diesem Beispiel eine Milliarde Euro.
Sollte die Axpo diese Milliarde nicht selber aufbringen können, werden ihr Grossbanken diese Milliarde Euro für eine markgängige Verzinsung gerne ausleihen. Denn ein Ausfallrisiko würde nur bestehen, wenn bei der Axpo grössere Produktionsausfälle entstünden und die Axpo den ihr fehlenden Strom im 2023 für 200 Euro/MWh zukaufen müsste, um den Verkaufsvertrag einhalten zu können.
Kann die Axpo ihren Strom aber wie geplant liefern, muss sie ihn zum vereinbarten Preis von 100 Euro/MWh liefern und erhält dann die Kaution von einer Milliarde von der Börse zurück. Es ist der Axpo kein Verlust entstanden.
Doch weil die Axpo 10 TWh ihrer Stromproduktion ans Ausland verkaufte und diese nun für ihre Schweizer Kunden fehlen, muss sie diese Menge im Jahr 2023 an der Börse zum gestiegenen Preis von 200 Euro pro MWh kaufen, damit sie ihre Schweizer Kundschaft bedienen kann.
Falls es der Axpo möglich ist, den Schweizer Kunden diesen Strom zum gestiegenen und von der Axpo bezahlten Marktpreis von 200 Euro/MWh zu verkaufen, also für insgesamt zwei Milliarden Euro, macht die Axpo weder Gewinn noch Verlust.
Falls aber die Axpo den Strom an Schweizer Kunden günstiger abgeben müsste, so macht Axpo einen entsprechenden Verlust.
Variante 2: Der Tagespreis (Spotpreis) an der Börse halbiert sich 2023 auf 50 Euro pro MWh.3
Die Axpo hat gemäss Annahme die 10 TWh für 100 Euro pro MWh oder insgesamt eine Milliarde Euro an den ausländischen Käufer zum Voraus verkauft. Sie wird dies tun müssen und kann vom halbierten Preis nicht profitieren. Es entsteht der Axpo zwar kein Verlust, aber sie kann vom halbierten Preis auch nicht profitieren.
Doch weil die Axpo diese 10 TWh ihrer Stromproduktion ans Ausland verkaufte und diese nun für ihre Schweizer Kunden fehlen, muss sie diese Menge im Jahr 2023 zusätzlich an der Börse einkaufen, allerdings kann sie dies zum unterdessen halb so hohen Preis von 50 Euro pro MWh tun. Sie kann diesen Strom ihrer Schweizer Kundschaft auch zu diesem günstigen Preis anbieten.
Nur falls die Axpo den Strom an Schweizer Kunden teurer abgeben kann, macht die Axpo einen entsprechenden Gewinn.
Fazit: Solange der Strompreis an der Börse nicht unter die Gestehungskosten der Axpo sinkt, geht die Axpo mit der langfristigen Absicherung der Stromverkäufe kein grosses Risiko ein.
Die Axpo-Webseite räumt diesen Geschäften zur Absicherung des Verkaufs ihrer eigenen Stromproduktion sehr viel Platz ein.
Der «Eigenhandel» besteht aus reinen Wettgeschäften
Ganz anders sieht es aber aus, wenn die Axpo auf Termin, also beispielsweise für den Zeitraum 2023 mehr Strom verkauft, als sie produzieren kann.
Nehmen wir an, die Axpo verkauft an der Börse für eine weitere Milliarde Euro zusätzliche 10 TWh Strom auf Termin für 2023 zum Preis von 100 Euro/MWh. Über diesen Strom verfügt die Axpo gar nicht und sie wird ihn auch nicht produzieren können, um ihn im Jahr 2023 zu liefern.
Die Axpo wettet vielmehr darauf, diese Strommenge bis zum Datum des jeweiligen Verkaufstermins im Jahr 2023 an der Börse für insgesamt weniger als eine Milliarde Euro (ebenfalls als Termingeschäft oder als Spotgeschäft) kaufen zu können. Die Differenz kann sie dann als Gewinn verbuchen. Es ist ein Spekulations- oder Wettgeschäft, welches die Axpo und viele Medien als «Eigenhandel» oder manchmal als Teil des «Handelsgeschäfts» bezeichnen.
Mit solchen Wettgeschäften (zukünftiger Verkauf von Strom, den die Axpo gar nicht hat. Oder zukünftiger Kauf von Strom, den die Axpo gar nicht selber verkaufen kann) verdiente die Axpo in den letzten vier Jahren insgesamt über eine Milliarde Franken – zur grossen Freude einiger Kantone als grosse Aktienbesitzer, des Konzernchefs Christoph Brand, der im Geschäftsjahr 2020/21 neben seinem Lohn Boni in Höhe von 585‘000 Franken kassierte, und zur Freude von 15 Axpo-Händlern, die nach bestätigten Angaben von «Inside Paradeplatz» pro Jahr je eine Million Franken und mehr verdienten.
In der Regel geben Unternehmen ihren Händlern «Handelslimiten» vor, also Maximalbeträge, mit denen sie spekulieren dürfen (das heisst sogenannte «offene Positionen» eingehen können). Nach eigenen Angaben der Axpo sei der Eigenhandel «intern mit strikten Limiten begrenzt». Näheres erfährt man allerdings nicht. Etwas anders tönte der Axpo-Verwaltungsratspräsident Thomas Sieber. Er erklärte in den Zeitungen von CH-Media, die Axpo müsse «im Stromhandel aktiv sein», denn die die Axpo verfüge bald über viel weniger eigenen Strom, den sie verkaufen könne. Grund: Die Kernkraftwerke würden in absehbarer Zeit abgestellt und die Wasserkraftwerk an die Kantone zurückfallen.
Doch wo hohe Gewinne locken, steigen bekanntlich entsprechend die Risiken. «Wie toxisch ist die Axpo-Bilanz?» titelte die NZZ am 17. September. Der Wert der Termingeschäfte oder «derivaten Finanzgeschäfte» der Axpo seien seit 2019 von 4 auf 32 Milliarden Franken gestiegen. Das kann nicht nur auf gestiegene Strompreise und gute Vermittlungsgeschäfte im Ausland zurückzuführen sein. Auch bedeutend mehr «Eigenhandel» oder Wettgeschäfte als früher müssen dazu beigetragen haben.
Wie gross bei allen Termingeschäften der Anteil der Absicherungsgeschäfte (Verkauf des tatsächlich zu produzierenden Stroms) und wie gross der Anteil reiner Wettgeschäfte ist, geht aus den Zahlen der Axpo nicht hervor.
Der Stromkonzern Axpo machte und macht Wettgeschäfte nicht nur mit Strom, sondern auch mit Gas, Öl und Kohle. Die Axpo habe das zwar nicht verschwiegen, schreibt Wirtschaftsredaktor Peter Burkhardt in der Sonntags-Zeitung vom 25. September, doch die Axpo habe dies «nur im Kleingedruckten erwähnt, und zwar ohne Angabe von Umsätzen, Lieferanten, Herkunftsländer und Absatzmärkten». Im Geschäftsbericht 2020/21 kann man lesen, dass Axpo-Händler ihre Wettgeschäfte (Axpo-Trading-Büros) von New York, London, Madrid und Singapur aus abwickeln. Mit dem Verkaufen des Axpo-Stroms hat dies nichts zu tun.
Auch die Aufsichtsbehörde Elcom konnte Infosperber keine Auskunft darüber geben, welches Ausmass die Spekulationsgeschäfte der Axpo angenommen haben: «Sollten im Eigenhandel tatsächlich ungedeckte Risiken vorhanden sein, hat die Elcom keine Kompetenz, hier aktiv zu werden», teilte die Elcom mit. Zuständig seien das konzerninterne Kontrollsystem sowie der Verwaltungsrat.
Die Axpo-Webseite räumt diesen Termingeschäften mit Strom, den die Axpo gar nicht produziert, sehr wenig Platz ein und bezeichnet sie natürlich auch nicht als Wettgeschäfte.
Ob der Axpo-Verwaltungsrat und die Hauptaktionäre über das Ausmass der Wettgeschäfte Bescheid wissen, ist fraglich. «Ist die Axpo ein Spielcasino oder nicht?», fragte die NZZ. Die Firma preise sich selbst als international führender Stromhändler an und habe bisher im Handel Gewinn gemacht.
Die Betonung liegt auf «bisher». Der Bund hat der Axpo eine Kreditlimite in Höhe von über vier Milliarden Franken gewährt, jedoch nur zu teuren Bedingungen: Marktzins plus 4 bis 8 Prozentpunkte Risikoprämie sowie Dividendenverbot. Dass Grossbanken nicht bereit waren, der Axpo zu diesen Bedingungen eine Kreditlimite zu gewähren, spricht nicht dafür, dass die Wettgeschäfte der Axpo weiterhin Gewinne einfahren. Denn wäre das Verlustrisiko klein, hätte die Axpo die Milliarden, welche sie als Sicherheit hinterlegen muss, bei den Grossbanken zu besseren Bedingungen beschaffen können.
«Der grosse Rest ist der Handel»
Die Sonntags-Zeitung schrieb am 1.9.2022:
«De facto funktioniert die Axpo in der Abteilung Trading & Sales wie eine Bank, gemessen an der Grösse der Bilanz vergleichbar mit der Julius Bär, der Nummer sechs auf dem Schweizer Bankenplatz. In der Halbjahresbilanz der Axpo von Ende März finden sich «derivative Finanzinstrumente» im Wert von 32 Milliarden Franken, davon die allermeisten sehr kurzfristig finanziert.
Das ist viel mehr, als die eigenen Kraftwerke und die Beteiligungen wert sind, nämlich rund 6 Milliarden Franken. Gleiches gilt für den Umsatz: 6 Milliarden betrug dieser im letzten halben Jahr. Er war damit doppelt so hoch wie im Jahr zuvor. 1,4 Milliarden Franken davon stammen aus den eigenen Kraftwerken, der grosse Rest ist Handel.»
FUSSNOTEN
1Hierbei wird angenommen, dass der tagesaktuelle Spotpreis 2023 konstant bei 200 Euro/MWh liegt (was weitestgehend unrealistisch ist aber der Veranschaulichung dienen soll).
2Hierbei wird angenommen, dass a) die Schweizer Kunden keinen anderen Lieferanten gefunden haben und von Axpo beliefert werden und b) der Spotpreis 2023 konstant bei 200 Euro/MWh liegt (was weitestgehend unrealistisch ist aber der Veranschaulichung dienen soll).
3Hierbei wird angenommen, dass der tagesaktuelle Spotpreis 2023 konstant bei 200 Euro/MWh liegt (was weitestgehend unrealistisch ist aber der Veranschaulichung dienen soll).
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Danke, Herr Gasche!
Endlich habe ich diese komplexe Materie & einige der Fachbegriffe gut verstanden! – Dank Ihrer anschaulichen, vereinfachten, aber doch sehr gut nachvollziehbaren Darstellung/Schiderung!
Und schon wieder ein typisches Beispiel des Liberalisierungs-Wahns, die Firmen, CEO’s, Aktionäre etc kassieren ab soviel und solange es geht, danach darf der Steuerzahler den Scherbenhaufen finanzieren.
Diejenigen Grossverbraucher (ab 100’000 kWh / Jahr), welche ab 2009 teils massiv von dieser Teil-Liberalisierung profitiert haben und dies unter anderem auf Kosten der Privathaushalte taten, jammern heute, aber die entstehenden Kosten müssen dan doch auch von der Allgemeinheit getragen werden.
Wie immer gilt: Gewinne privatisieren, Schulden und Risiko verstaatlichen.
Die Liberalasierung des Strommarktes hat bis heute in keinem Land funktioniert und gefährdet sowohl die Wirtschaft, welche auf eine zuverlässige und günstige Stromversorgung angewiesen ist, als auch die Privathaushalte, welche ebenfalls diese Bedürfnisse haben. Das ganze Land mit Notstromgruppen und Notstromagregate auszustatten ist wirtschaftlich und ökologisch ein Irrsinn und bei den meisten Mietern ohnehin unmöglich.
Die Axpo ist mehrheitlich im Besitz von Kantonen! Diese Excesse sind nicht einer Liberalisierung zuzuschreiben, sondern fehlender Aufsicht staatlicher Akteure. Der Staat wirtschaftet halt nicht nachhaltiger als die Privatwirtschaft.
Grüezi Herr Gasche
Herzlichen Dank für diesen sehr wertvollen Beitrag. Bedauerlicherweise glauben viele Leser des Infosperbers immer noch, dass ganze hätte etwas mit der Öffnung des Strommarktes zu tun. Wie Hanspeter Wüstiner schreibt gehören die grosssen Stromkonzerne mehrheitlich den Kantonen. Wie er auch richtige sagt, haben die Kontrollorgane versagt, dazu gehören vor allem die zahlreichen aktuellen und ehemaligen politischen Vertreter, die damit ihre Einkommen erheblich aufbessern. Noch tragischer ist, dass z.B. Axpo alles daran setzt, dass der Regelenergiemarkt nicht geöffnet wird und dadurch die Versorgungssicherheit gefährden und die kleinen Stromkonsumenten von diesem Markt gar nicht profitieren können. Wozu es überhaupt Staatsbetriebe braucht, die an der Strombörse zocken, ist nochmals eine ganz andere Frage.
Die Argumentation zu Variante 2 ist für mich nicht nachvollziehbar. Wenn ein Produzent den Strom im Voraus für 100 Euro pro MWh verkauft hat, dann hat auch jemand diesen Strom im Voraus gekauft. Wenn sich danach der Marktpreis halbiert, dann schätzt sich der Verkäufer glücklich, denn der Verkaufsvertrag gilt immer noch. Der Käufer ärgert sich vielleicht, weil er den Strom schon teuer eingekauft hat. Es ist vergleichbar mit der Situation, wenn man ein Gerät zum Normalpreis kauft und dann eine Woche später sieht, dass es jetzt mit 50% Rabatt zu haben wäre.
Sehr irritiert hat auch mich die Aussage von VR-Präsident Thomas Sieber, die Axpo müsse den Stromhandel ausbauen, um so Rückgänge in der Produktion (AKWs, die ausser Betrieb gehen, Wasserkraftwerke, die an die Kantone heimfallen) kompensieren zu können. Dies steht in direktem Widerspruch zu der Beteuerung, der Handel diene nur dazu, den selbst produzierten Strom absetzen zu können.
Es lassen sich auf diese weise bei Termingeschäften aber auch Long Positionen (effektive Menge/Produktion) hedgen (versichern)
Aber ja.
Warum finanziert die «Hausbank» das Margin nicht mehr ?
Das Kreditvolumen bereits erreicht ?
Über was man sich ME mehr Gedanken machen muss, sind die Leerverkäufe, welche bei anderen Leerverkäufer, mit Leerverkäufen von Leerverkäufern … abgesichert wurden.
Wenn eine Menge eines Lieferanten in dieser Kette zu einem Termin ausfällt, squeezt das Ganze bis zum Mond.