Emissionshandel: Wie der Staat Klimasünder begünstigt
Der Ausstoss von Treibhausgasen soll einen Preis haben. Das verspricht das Emissionshandelssystem, das die Schweiz 2008 eingeführt hat. Die Menge an CO2, die jährlich ausgestossen werden darf, wird staatlich vorgegeben. Und sie soll sich sukzessive verringern. Das Angebot soll knapp werden und folglich sich der Preis für Emissionsrechte erhöhen. Und so soll der Markt Anreize schaffen, die Produktion von klimaschädlich auf klimaschonend umzustellen.
Das tönt gut und verlockend. Warum sollte das Handelssystem nicht geeignet sein, marktliberal Gesinnte und Klimaschutz-Radikale versöhnlich zu stimmen? Doch die Realität folgt nicht dem Lehrbuch. Statt für den Treibhausgasausstoss einen Preis zu bezahlen, beglückt der Staat die Akteure auf dem Emissionshandelssystem reichlich mit Rechten auf Verschmutzung. Alex Tiefenbacher und Luca Mondgenast blicken in ihrem Buch «CO2-Ausstoss zum Nulltarif» hinter die schöne Fassade des Emissionshandelsprojekts und decken minutiös die Absurditäten des Systems auf. Deren gibt es viele und mehr als sich selbst kritische Geister es sich vorstellen mögen.
Kapitelüberschriften geben einen ersten Vorgeschmack: «Selbstsabotage mit Gratisemissionsrechten», «Klimaumverteilung von den KMUs zu den Grosskonzernen», «Klimamilliarden für Lonza, Roche, Holcim und Co». Die Überschriften übertreiben nicht. Zum Beispiel:
- «Der Staat schenkt den Firmen mit den höchsten Emissionen besonders viele Gratisemissionsrechte, um deren Kosten tief zu halten und damit den Verbleib von Wertschöpfung, Arbeitsplätzen, Steuereinnahmen, aber auch CO2-Emissionen am heimischen Standort zu sichern.» (Seite 85)
- «Je nach Jahr verteilte das BAFU 90 bis 95 Prozent aller Emissionsrechte, die pro Jahr total zur Verfügung standen, gratis.» (Seite 85)
- «Dem Pharmariesen (Roche) wurden jedes Jahr ausser 2013 mehr EHS-Zertifikate gratis zugeteilt, als er für seine Emissionen brauchte.» (Seite 111)
- Von 2013 bis 2020 hat Holcim für die Emissionen über das Emissionshandelssystem nicht ganz 1,8 Millionen Franken bezahlt. Hätte der Konzern für jede Tonne Treibhausgase die CO2-Abgabe entrichten müssen, wie es Privathaushalten und KMU auferlegt ist, hätte er «eine Klimarechnung von vermutlich 833 Millionen erhalten». (Seite 114)
- «Von den 56 Industrieanlagen, die von 2013 bis 2020 im Emissionshandelssystem eingebunden waren, erhielten 23 Industrieanlagen mehr Emissionsrechte geschenkt als sie für ihre Klimaverschmutzung abgeben mussten.» (Seite 60f.)
Dass es zu diesen Merkwürdigkeiten kommt, ist auf den ersten Blick nicht ersichtlich. Denn die Konstruktion des Handelssystems ist kompliziert, oft intransparent. Erst hartnäckige Recherchen, im Buch detailliert nachgezeichnet, führen zu diesen wenig erfreulichen Ergebnissen.
Für den Klimaschutz ist das Ergebnis äusserst bescheiden – auch im Vergleich zu den Treibhausgasminderungen der Privathaushalte. Diese sind von 2013 bis 2020 um 31 Prozent gesunken, jene der am Emissionshandelssystem beteiligten Unternehmen der Schwerindustrie hingegen nur um etwas mehr als zehn Prozent.
Im Bundeshaus weiss man es längst, dass der millionenschwere Geldsegen eigentlich abgeschafft werden müsste. Die Eidgenössische Finanzkontrolle hat es bereits 2017 gefordert. Doch geschehen ist es nicht. In den Klimadebatten geniesst das Thema keine Priorität. Subventionen für Unternehmen mit grossen Treibhausgasemissionen gehen vor Klimaschutz.
«CO2-Ausstoss zum Nulltarif» bietet reichlich Fakten, Zusammenhänge, Argumente und mehr als nur wohlbegründete Zweifel an der Ausgestaltung des Emissionshandels. Die Recherche stellt das nötige Rüstzeug bereit für den Umbau der vom Parlament in der Klimadebatte «übersehenen» Fehlkonstruktion.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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