Sperberauge

Deutschland hat zu viel Schwein

Daniela Gschweng. © Alexander Preobrajenski

Daniela Gschweng /  Gerade noch waren sich alle einig: Billigfleisch gehört abgeschafft. Jetzt muss der «Schweinestau» unter die Leute.

Deutschlands Schweinemarkt steckt in der Krise. In den Lagerhäusern liegen 260‘000 Tonnen Schweinefleisch, die an den Mann oder die Frau gebracht werden müssen. Wenn es sein muss, möglichst günstig. Dabei wollte Deutschland mit Billigfleisch gerade aufhören.

Der Stau hat mehrere Gründe: Die afrikanische Schweinepest (ASP), die sich seit 2020 im Land ausbreitet,  der wiedererstarkende Markt in Asien, die abnehmende Nachfrage in Deutschland. Dazu kamen Corona-Wellen in Schlachthöfen und die Lockdowns in der Gastronomie. Viele Kantinen blieben ganz oder teilweise geschlossen, das nasse Sommerwetter lud wenig zum Grillieren ein, viele Grossveranstaltungen fanden nicht statt.

Krisengipfel ergibt: mehr Billigfleisch

Der Einbruch ist stärker, als es normale Schwankungen, die bezeichnenderweise «Schweinezyklus» heissen, hergeben würden. Am 15. September hielt die deutsche Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner deshalb einen Krisengipfel mit Vertretern des Handels, der Fleischwirtschaft und einigen Landwirtschaftsministerinnen der Länder ab.  

Besprochen wurden mögliche Gegenmassnahmen wie Steuerstundungen und Steuererleichterungen. Die Überbrückungshilfen für Schweinehalter wurden bereits bis Ende Jahr verlängert. Klöckner hat die EU dazu gebeten, die Deckelung der Hilfen von 20’000 Euro pro Betrieb vorübergehend aufzuheben.

Das wichtigste Ergebnis des Gesprächs: An einer «Entlastung durch Absatzförderung» führt kein Weg vorbel. Im Klartext: Das Überangebot an Schweinefleisch muss zum Konsumenten, möglichst schnell und deshalb günstig.

Ende 2020 demonstrierten Bauern noch gegen niedrige Preise

Noch kein Jahr ist es her, da demonstrierten Bauern in ganz Deutschland vor Discounter-Filialen gegen deren Billigfleisch-Strategie, die Politik nahm es wohlwollend zur Kenntnis. Im Februar hatte Klöckner gegenüber der «Deutschen Welle» noch über Billigangebote im Fleischregal geklagt und versprochen, «Dumping-Angebote» per Übernahme von EU-Recht zu verbieten.

Im März forderte das deutsche Umweltbundesamt Konsumentinnen und Konsumenten auf, ihren Fleischkonsum zu halbieren. Nur so sei es möglich, die Massentierhaltung einzuschränken, die Klimagasemissionen zu drosseln, den Nitrateintrag in Wasser und Boden zu reduzieren.

Im Juni 2020 warnte Klöckner Aldi vor «PR-Gag»

Im Juni kündigte die Handelskette Aldi an, auf Billigfleisch in den Regalen künftig zu verzichten – zugunsten des Tierwohls. Eine weitreichende Entscheidung, die günstigste Fleischklasse wird in Deutschland bei weitem am häufigsten verkauft. Klöckner warnte umgehend davor, diese Ankündigung «als reinen PR-Gag» zu benutzen.

Die Kehrtwende macht die Umweltministerin jetzt gleich selbst. Nicht nur die Discounter wunderten sich. Zwar steigt die Nachfrage nach Fleisch im Herbst normalerweise an, aber anders als über den Preis ist eine Absatzerhöhung kaum möglich.

60 Prozent der Schweinehalter würden mit einer Prämie aussteigen

In den Worten von Torsten Staack, Geschäftsführer der Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands (ISN) ginge es darum, «dass der Lebensmittelhandel nicht durch politische Aussagen dafür gerügt oder gar daran gehindert werden darf, wenn er in der jetzigen Krise durch Werbeaktionen den Absatz von deutschem Schweinefleisch ankurbeln will». Also wieder Billigfleisch, dem man gerade abgeschworen hatte.

Das bemerkte die Ministerin wohl auch. «Die Preise sollten nicht dermassen in den Keller gehen, dass man da psychologisch nicht mehr rauskommt», warnte sie und empfahl, stattdessen auf regional erzeugtes Fleisch hinzuweisen. Die Ironie daran: Deutschland ist das weltweit drittgrösste Schweinefleisch-Exportland. Ebenfalls bezeichnend: eine Ausstiegsprämie, wie es sie beispielsweise in den Niederlanden gibt, lehnt Klöckner ab. Nach einer Umfrage von «Agrarheute» würden 60 Prozent der Schweinehalter diese annehmen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Weiterführende Informationen

Zum Infosperber-Dossier:

Kuh

Landwirtschaft

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Eine Meinung zu

  • am 27.09.2021 um 15:28 Uhr
    Permalink

    Die meisten Bauern sind hoch verschuldet und können nicht einfach aussteigen. Eine Ausstiegsprämie würde sicher vielen helfen. Natürlich gibt es auch Akteure die gegen diese Prämien sind, nämlich all jene, die an diesen Bauern verdienen. Und von denen gibt es mehr als Bauern.

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