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Verunfallter Geländewagen oberhalb von Meilen ZH: Die Feuerwehr fischt ihn aus dem Wald. © Stützpunktfeuerwehr Meilen

Das grosse Auto – die grosse Gefahr

Marco Diener /  Fahrer von grossen Autos verursachen nicht nur schwerere Unfälle. Sie verursachen auch mehr Unfälle. Infosperber sagt, warum.

Geländewagen – oder besser gesagt: ihre Fahrer – verursachen 10 Prozent mehr Haftpflichtschäden als Fahrer anderer Personenwagen. Das stellte die Unfallforschung des Versicherungskonzerns Axa schon vor drei Jahren fest. Bei grossen Geländewagen mit einem Gesamtgewicht ab 2155 Kilo sind es sogar 27 Prozent mehr.

Bettina Zahnd von der Axa fasste zusammen: «Je grösser und schwerer ein Geländewagen, desto häufiger verursacht er eine Kollision.» Inzwischen sagt die Axa, das Problem betreffe auch «die beliebten Familienbusse, Transporter oder auch grössere Elektroautos». Doch warum ist das so? Das fragte Infosperber die Axa.

Unübersichtlich und übermotorisiert

«Dazu haben wir keine Daten», teilte die Axa mit. Aber Vermutungen:

  • «Bei schwereren Fahrzeugen handelt es sich in der Regel auch um grössere Fahrzeuge, die teilweise unübersichtlicher sind.»
  • «Das allenfalls subjektiv höhere Sicherheitsgefühl von Fahrerinnen und Fahrern von schweren/grossen Autos könnte sich möglicherweise auf das Fahrverhalten auswirken.»
  • «Die oftmals höhere Leistungsfähigkeit von schwereren Fahrzeugen dürfte die Unfallhäufigkeit ebenfalls erhöhen.»

Kurz gesagt: Grosse Autos sind unübersichtlich. Sie sind häufig übermotorisiert. Und die Lenker überschätzen sich. Das passt auch zu einem Umfrageergebnis der Axa, wonach sich «90 Prozent der befragten Geländewagenfahrer selbst als sichere Verkehrsteilnehmer beurteilen».

Schlimmere Unfälle

Hinzu kommt: Fahrer von schweren Autos verursachen auch schlimmere Unfälle. Einerseits weil die Aufprallenergie grösser ist. Andererseits weil die Stossstange bei vielen Geländewagen höher liegt als bei normalen Autos.

Benzin-Golf gegen Elektro-Golf

Letztes Jahr führte die Axa einen Crashtest mit zwei nahezu identischen VW Golf durch. Der Unterschied: Der eine war mit einem Verbrennungsmotor ausgestattet und wog 1,25 Tonnen. Der andere war ein Elektro-Golf mit einem Gewicht von 1,65 Tonnen. Die beiden Golf prallten mit einer Geschwindigkeit von 50 Kilometern pro Stunde frontal aufeinander. Der leichtere Golf wurde stärker beschädigt. Und vor allem: Er wurde nach dem Zusammenprall geradezu zurückgeworfen. Er erfuhr beim Aufprall also die deutlich grösser Geschwindigkeitsänderung. Die Belastung für die Insassen ist in einem solchen Fall im leichten Auto viel grösser als im schweren.

Elektro-Autos als Risiko

Die Axa-Unfallforschung hat – wie erwähnt – auch festgestellt, dass Autofahrer nicht nur mit schweren Autos häufiger verunfallen, sondern auch mit elektrisch angetriebenen. Michael Pfäffli von der Axa-Unfallforschung sagt: «Je leistungsfähiger das Fahrzeug ist, desto öfter verursachen die Lenkerinnen und Lenker einen Schaden.» Je nach Motorleistung seien es 50 bis 100 Prozent mehr Unfälle.

Enorme Beschleunigung

Der Grund laut Pfäffli: «Die meisten Elektroautos, insbesondere die leistungsstarken, haben ein sehr hohes Drehmoment, das sich beim Antippen des Pedals unmittelbar bemerkbar macht. Es kann daher zu einer ungewollten, ruckartigen Beschleunigung kommen, die der Fahrer oder die Fahrerin nicht mehr kontrollieren kann.»

Problem Hochleistungsfahrzeuge

Der Bund hatte bereits 2014 eine umfangreiche Studie erstellt – zu einer Zeit also, als es in der Schweiz noch kaum Elektro-Autos gab. Er stellte damals fest: «Hochleistungsfahrzeuge weisen signifikant höhere Unfallraten auf als die übrigen Fahrzeuge.» Als Hochleistungsfahrzeug gilt ein Auto mit einem Leistungsgewicht von weniger als 7,5 kg/PS.

Es werden immer mehr

Der erste VW Golf GTI von 1975 galt mit seinen 810 Kilo und 110 PS bereits als solches Hochleistungsfahrzeug. Sein Leistungsgewicht 7,36 kg/PS. Seither steigt der Anteil dieser Hochleistungsfahrzeuge stetig. Die Hälfte aller Golf-Modelle gilt heute als Hochleistungsfahrzeug. Der stärkste hat ein Leistungsgewicht von 4,73 kg/PS. Auch Familienlimousinen gibt es inzwischen mit so starken Motoren, dass die unter die Kategorie der besonders gefährlichen Hochleistungsfahrzeuge fallen.

Screenshot 2023-12-12 at 16-24-35 Neue Inverkehrsetzungen von Personenwagen nach Leistung und Jahr. Schweiz.. PxWeb
Wir Schweizer kaufen immer mehr Autos mit potenten Motoren. Hellblau dargestellt der Anteil der Autos mit 245 bis 272 PS beziehungsweise mit über 272 PS (die beiden Hellblau sind in der Grafik nicht unterscheidbar).

Der Bundesrat will nicht

Der Bundesrat kennt die Probleme. Verschiedene Parlamentarier und Parlamentarierinnen baten ihn, endlich zu handeln. Doch er will nicht:

  • Die Aargauer SP-Nationalrätin Gabriela Suter wollte den Bundesrat beauftragen, «dem Parlament die nötigen Gesetzesanpassungen zu unterbreiten, um eine PS-Beschränkung für Auto-Junglenker und -Junglenkerinnen einzuführen». Eine solche gibt es beispielsweise in Italien. Doch der Bundesrat fand, «die Motorleistung der Fahrzeuge» spiele «bei Autounfällen von Neulenkenden kaum eine Rolle».
  • Die Zürcher Grünen-Nationalrätin Marionna Schlatter fragte, ob der Bundesrat bereit sei, «Massnahmen zu prüfen, um den Verkauf von leichteren Fahrzeugen zu fördern bzw. das durchschnittliche Gewicht zu senken». Aber der Bundesrat setzt lieber «auf den verbreiteten Einsatz von Assistenzsystemen».

Die Reparaturen werden teurer

Der Versicherungskonzern Axa stellt fest, dass die zunehmende Verbreitung von Assistenzsystemen in Autos «einen positiven Einfluss auf die Schadenhäufigkeit» hat. Trotzdem steige die gesamte Schadensumme, da Ersatzteile – zum Beispiel Stossfänger mit Sensoren – immer teurer würden. Die Axa schreibt, 2021 habe die Teuerung bei Ersatzteilen 9,4 Prozent betragen, 2022 8,5 Prozent. Davor habe es während Jahren kaum eine Teuerung gegeben.

Weiterführende Informationen


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Keine
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8 Meinungen

  • am 7.01.2024 um 12:12 Uhr
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    Aussage von Axa: keine Daten. Nur Vermutungen. Und daraus machen Sie eine grosse Geschichte. Na bravo, so stelle ich mir Qualitätsjournalismus vor!

  • am 7.01.2024 um 12:37 Uhr
    Permalink

    Mein «bevorzugter» Begegnungsort mit SUVs sind die wenigen Meter vor dem Holdertor-Kreisel in Frauenfeld. Die Kreisel-Zufahrt ist schmal, links davon die weiss schraffierte Fläche mit den Gleisen der Frauenfeld-Wil-Bahn. Es scheinen insbesondere SUV-Fahrer zu sein, für die das Überholen eines Velofahrers in welcher Situation auch immer ein MUSS ist. Nur müssen sie während des Überholens (auf der weiss schraffierten Sperrfläche) vor dem Kreisel (d.h. links von mir) gleich abbremsen. Im Kreisel landen wir nebeneinander. Der SUV-Fahrer (für ihn bin ich aus den Augen aus dem Sinn) meist gradaus, ich aber will im Kreisel erst die nächste Ausfahrt benützen. Meinen Ärger muss ich herunterschlucken.

  • am 7.01.2024 um 12:44 Uhr
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    Der Artikel spart leider die grössere Massenträgheit schwererer Fahrzeuge aus; abgesehen von der Tatsache, dass leichtere Kollisionspartner «zurückgeworfen» – also stärker negativ beschleunigt wird, also ein Problem der Impulserhaltung. Ebenso gross ist aber das Problem der Massenträgheit, wenn Kurven untersteuernd verfehlt werden oder bei reduzierter Traktion. Elektrofahrzeuge sind naturgemäss schwer, die Konstrukteure legen den Schwerpunkt möglichst tief, so dass das Erreichen des Haftgrenzbereichs später an den Lenker rückgemeldet wird, wodurch dessen Reaktionszeit zur Rettung der Situation schrumpft. Übrigens ist der Mazda CX-5 auf dem Foto kein Geländewagen, sondern ein aufgepimpter Personenwagen auf high heels, ein sog. SUV, ein Sports Utility Vehicule oder wie ich zu sagen pflege, ein «Schwer Unsinniges Vehikel».

    • Portrait Marco Diener.1 Kopie
      am 7.01.2024 um 19:18 Uhr
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      «Sports Utility Vehicle» (SUV) ist ein Begriff, den die Autoifabrikanten erfunden haben. Deshalb meide ich ihn. Aber sie haben recht: «Geländewagen» ist auch unbefriedigend, denn die meisten fahren kaum je im Gelände. Vielleicht müsste man «Geländelimousine» schreiben oder — um den ganzen Widerspruch aufzuzeigen — «Stadtgeländewagen».

  • am 7.01.2024 um 15:11 Uhr
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    Das war schon immer so. Eine Studie von Versicherern aus dem Jahre 1984 zeigte eine ziemlich lineare Bezeihung zwischen Leistung und Unfallwahrscheinlichkeit. Wenn der Durchschnitt 100% ist bei ca. 70 kW, waren leistungsstarke Porsche, BMW und Mercedes ab 150 kW bei 200% Unfallwahrscheinlichkeit, während kleinere VW und Ford von 30-60 kW bei rund 60% Unfallwahrscheinlichkeit lagen.
    Es ist klar, dass der Bundesrat nichts machen will. Er hat sich ja selber extrem schwere Elektrolimousinen bewilligt und sich diesbezüglich völlig unglaubwürdig gemacht.

  • am 8.01.2024 um 21:36 Uhr
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    Und jetzt warten wir gespannt auf den ersten Kommentar, der aus den schwereren Unfallfolgen ein neues Argument gegen die Verkehrswende aus dem Hut der Absurditäten zaubert. Wobei einzuräumen ist, dass wir über die Mobilitätsreduktion noch überhaupt nie gesprochen haben.

    • am 9.01.2024 um 10:31 Uhr
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      Was die Autoindustrie und ihre Kunden mit der neuen, noch schwereren Elektromobilität machen, ist eben *keine* Verkehrswende, sondern es sind die alten übermotorisierten Fehlkonstruktionen einfach nun elektrisch.
      Die ersten Elektromobile für den Stadtverkehr waren inkl. Bleibatterien leichter als heutige Modelle und gemäss Untersuchungen mehrerer Unis in CH und AT, sowie der Winterthur-Versicherung, enspannter zu fahren, also aktiv sicherer, und bei geeigneter Konstruktion auch passiv gleich sicher oder sicherer, als konventionelle Benziner. Mit den heutigen Lithiumbatterien wäre eine echte Verkehrswende auch ausserorts ein Klacks, findet aber gerade nicht statt, weil die falschen Modelle gekauft werden. Wie auch vom Bundesrat.

      • am 9.01.2024 um 21:41 Uhr
        Permalink

        Diesen Ausführungen stimme ich gerne zu.

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