Bundesrat garniert sein Klimaziel mit schönen Worten
Die gestern veröffentlichte nationale Klimastrategie ist der neuste Teil eines fünfjährigen Prozederes: Ende 2015 beschlossen die Regierungen der meisten Staaten, darunter der Schweiz, das globale Klimaabkommen von Paris. Darin vereinbarten sie, die weltweite Klimaerwärmung sei auf weniger als zwei Grad, möglichst auf 1,5 Grad zu begrenzen; dies im Vergleich zur Durchschnittstemperatur in der Periode von 1870 bis 1900, als die von Menschen verursachten CO2-Emissionen noch gering waren.
Im Herbst 2017 ratifizierte (bestätigte) das Schweizer Parlament diesen Vertrag. Ende August 2019 legte der Bundesrat das Ziel fest, die Treibhausgas-Emissionen im Inland bis 2050 netto auf null zu senken. Als Synonym zum Begriff «Netto Null» verwendet die Regierung auch das Wort «klimaneutral», das heisst: Die verbleibende Menge an CO2 und weiteren Treibhausgasen, welche die Schweiz 2050 noch emittieren wird, muss sie gleichzeitig aus der Atmosphäre herausfiltern, sei es mittels Aufforstung oder anderer Filtertechniken.
Mit der Ratifizierung des Klimavertrags verpflichtete sich die Schweiz wie alle andern Vertragsunterzeichner-Staaten, dem Klimasekretariat der UNO bis Ende 2020 eine Strategie zu präsentieren, die zeigt, wie sie ihre Vertragsverpflichtung national umsetzen will. Das hat die Landesregierung jetzt in Zahlen und Worten getan: Die Zahlen präsentierte der Bundesrat schon Ende November 2020 mit seinen revidierten Energieperspektiven bis zum Jahr 2050. Demnach soll die Schweiz die Emissionen von Treibhausgasen von jährlich 46 Millionen Tonnen (Stand 2018) bis 2050 auf noch 12 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent senken und die verbleibenden 12 Millionen Tonnen pro Jahr mit den erwähnten Filtertechniken aus der Atmosphäre entfernen und sicher endlagern (Infosperber berichtete darüber hier und hier).
Klimastrategie: Nach den Zahlen die Worte
Am 27. Januar genehmigte der Bundesrat nun mit 27-tägiger Verspätung die von der Uno verlangte langfristige Klimastrategie der Schweiz. Mit dieser neuen, 65seitigen Schrift ergänzt er die Ende November präsentierten Zahlen seiner Energieperspektiven mit Worten. Genauer: Der Bundesrat formuliert «zehn strategische Grundsätze», die das klimapolitische Handeln der Schweiz bis 2050 «leiten sollen». Nachfolgend ihr Wortlaut:
- Die Schweiz nutzt die Chancen eines konsequenten Übergangs in Richtung Netto-Null.
- Die Schweiz nimmt ihre klimapolitische Verantwortung wahr.
- Die Emissionsminderung im Inland steht im Vordergrund.
- Die Emissionen werden über die gesamten Wertschöpfungsketten reduziert.
- Sämtliche Energieträger werden haushälterisch und unter Berücksichtigung ihrer optimalen Anwendungsmöglichkeiten eingesetzt.
- Bund und Kantone richten ihre planerischen Aktivitäten in allen klimarelevanten Bereichen auf Netto-Null aus.
- Der Übergang in Richtung Netto-Null erfolgt sozialverträglich.
- Der Übergang in Richtung Netto-Null erfolgt wirtschaftsverträglich.
- Der Übergang in Richtung Netto-Null verbessert gleichzeitig die Umweltqualität.
- Die langfristige Klimastrategie stützt sich auf das Prinzip der Technologieoffenheit.
CO2 aus Gebäuden und Verkehr eliminieren – aber wie?
Im Weitern bestätigt der Bundesrat, was schon seine vor zwei Monaten veröffentlichten Energieperspektiven zeigten: Die Schweiz soll die CO2-Emissionen in den Bereichen Gebäudeheizung und Verkehr bis 2050 weitgehend eliminieren. Dazu müssen die heute dominierenden fossilen Energieträger Erdöl und Erdgas nahezu vollständig ersetzt werden durch Elektrizität, erzeugt aus Wasser-, Solar-, Windkraft oder Biomasse. Die Kompensation mittels Filtertechniken will der Bundesrat auf Bereiche der industriellen und landwirtschaftlichen Produktion begrenzen, wo Techniken zur Verhinderung von Treibhausgasen nicht verfügbar sind.
Offen aber lässt der Bundesrat, welche politischen und rechtlichen Instrumente er in den kommenden 30 Jahren einsetzen will, um den Umstieg von fossiler auf erneuerbarer Energie durchzusetzen. Ein erstes Bündel an Vorschriften und Massnahmen sieht das revidierte CO2-Gesetz zwar vor, unter anderem die verlängerte Subventionierung der erneuerbaren Stromproduktion oder Förderbeiträge an die Sanierung von ölbeheizten Häusern.
Doch mit diesen vom Parlament beschlossenen Massnahmen lassen sich die CO2-Emissionen gegenüber dem Stand von heute lediglich um etwa 30 Prozent reduzieren. Zudem kann die Schweiz diese noch ungenügenden Massnahmen nur durchsetzen, falls das Schweizer Volk nächsten Juni das CO2-Gesetz befürwortet, gegen das Gegner das Referendum ergriffen haben. Konkrete Vorschläge zur Umsetzung der gestern veröffentlichten Klimastrategie wird der Bundesrat darum frühestens nächstes Jahr präsentieren, falls das hängige CO2-Gesetz dann in Kraft treten kann.
Das alles zeigt: Der bundesrätliche Weg zur «klimaneutralen Schweiz» ist nicht nur lang, sondern bis 2050 noch mit vielen Stolpersteinen gepflastert. Trotz aller Ungewissheit mimt der Bundesrat in seiner gestrigen Medienmitteilung Zuversicht: «Die Schweiz ist als innovations- und finanzstarkes Land mit fast CO2-freier inländischer Stromproduktion in einer guten Ausgangslage, um das Netto-Null Ziel bis 2050 zu erreichen.»
Schneller als der Bundesrat wollen hingegen die Klimastreikenden und die Grüne Partei der Schweiz voranschreiten. Sie präsentierten diesen Monat eigene Klimapläne mit einer Vielzahl von konkreten Vorschlägen und Forderungen, um das Ziel «Netto-Null-Treibhausgase» schon 2030 oder 2040 zu erreichen. Mehr darüber demnächst auf Infosperber.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine.
«Zum Weinen schön, zum Lachen bitter», unweigerlich kommt einem André Hellers Buchtitel in den Sinn, wenn man Hanspeter Guggenbühls Artikel über die jüngste Berner Heissluftproduktion liest. Derselbe Bundesrat, der noch vor ein paar Monaten das soziale, kulturelle und wirtschaftliche Leben des Landes abschaltete, redet nun angesichts der deutlich schwerwiegenderen, generationenübergreifenden Klimakatastrophe um den heissen Brei herum. Sozialverträglich, wirtschaftsverträglich, Verantwortung wahrnehmen, Technologieoffenheit: dasselbe Geschwurbel wie beim – u.a. wegen der Klimakatastrophe – andauernden Waldsterben, wie nach Tschernobyl, Fukushima oder angesichts wachsender, globaler und hiesiger Ungleichheiten. Dieselbe Bundesrätin, die uns noch vor Monaten, dicht am Wasser gebaut, als Bundespräsidentin mitteilte, dass nun ein Ruck durch die Bevölkerung gehen solle, es fünf vor Zwölf sei und wir uns alle an alles gewöhnen würden, wollten wir nicht alle in Kürze in den Abgrund der Seuche stürzen, kommt nun mit den gewohnten politischen Tranquilizern daher, um ja nicht den Eindruck zu erwecken, man wolle etwas überstürzen.
In Bern scheint man aus dem seit 50 Jahren währenden Traum vom ewigen Wachstum und Konsum noch immer nicht erwachen zu wollen. Die Schweiz, ein Land, wo man früh aufsteht, aber – immer – zu spät erwacht.
Dabei erleben wir alle gerade, wie innert kürzester Zeit alles möglich wäre, wenn man wollte. Wo bleiben – ausser Infosperber – die Medien? http://www.freystefan.ch
Tragisch. Zwei Drittel der klima- und umweltbelastenden Emissionen der Schweiz werden im Ausland produziert, finden aber in der Strategie keine Erwähnung. Mehr noch: die Autoren freuen sich darüber, dass der Anteil der Elektrofahrzeuge in der Schweiz laufend zunimmt, und dass damit immer mehr Verkehrsemissionen ins Ausland verlegt werden. Wie wenn das Klima der Schweiz nicht vom Klima der Aussenwelt abhängen würde…
Es ist halt schon einfach und bequem, sich über «Bern» oder «den Bundesrat» zu echauffieren, solange man selber nichts unternehmen muss! Diese meine Kritik richtet sich nicht an Herrn Guggenbühl, sondern an «empörte Leserbriefschreiber». Hier steht, was man tun müsste:
https://climatestrike.ch/de/posts/cap-download
Und der Bundesrat ist momentan mit seinem weichgespülten Programm prompt wieder in der Klemmne zwischen «Grün», die alles für zu wenig weitgehend, und «Rechtsbürgerlich», die alles für undurchführbar und überrissen halten. In dieser Zwickmühle steckt er eigentlich immer ..