Kommentar

Zu fragen ist: Wem dient es? Und wozu?

Hanspeter Guggenbühl © bm

Hanspeter Guggenbühl /  Wenn PR und Journalismus sich partnerschaftlich umarmen, wird die Unabhängigkeit erdrückt. Professionelles Misstrauen ist gefragt.

Dieser Beitrag erschien vor sechs Jahren erstmals im Medienmagazin «Klartext». Dass der Inhalt an Aktualität nichts eingebüsst hat, zeigt die Medienpartnerschaft zwischen TA-Verlag, TA-Redaktion und SBB bei der Berichterstattung zur neuen Zürcher Durchmesserlinie. In einer 28-seitigen Sonderbeilage des «Tages-Anzeigers» wird das «Jahrhundert-Bauwerk» von den TA-Redaktoren in den höchsten Tönen gepriesen. Die Kehrseiten der neuen Bahnlinie hingegen werden völlig ausgeklammert. (Siehe Artikel auf Infosperber: «Der Tages-Anzeiger in der SBB-Medienmappe».

Es war ums Jahr 1971, als erstmals eine Zeitung einen Text von mir druckte. Er handelte vom Neubau einer Sprudelwasser-Produzentin, und der Name Vivi-Kola tauchte darin mehrmals auf. Allerdings war ich damals weder Journalist, noch stand mein Name in der Zeitung. Sondern ich formulierte als Angestellter einer Werbeagentur die Pressedokumentation der Mineralquelle Eglisau, die der Redaktor der (Handels-)Zeitung dann wörtlich übernahm und mit seinem Namen firmierte. In meine Freude über die gelungene PR-Aktion mischte sich Verachtung für den Journalisten, der sich von der Werbung vereinnahmen liess.
Entsprechend sensibilisiert trat ich 1973 meine erste Stelle als Lokaljournalist an. Am zweiten Arbeitstag musste ich über eine Parfümerie berichten, die temporär einen Rennwagen in ihrem Lokal aufstellte, um damit der Öffentlichkeit ein englisches Duftwasser schmackhaft zu machen. Das reizte zur Widerborstigkeit. Während die Konkurrenzzeitung (die es damals noch gab) die Aktion ihres Inserenten bild- und wortreich lobte, erschien am 4. Mai 1973 im Lokalteil des Badener Tagblatts eine kurze Meldung. Titel: «Mit 440 PS auf Konsumentenfang». Inhalt: Beim ausgestellten Rennwagen handelt es sich um das Formel1-Modell, mit dem Bruce Mac Laren 1970 tödlich verunglückte. Danach verschonte man mich vor PR-Veranstaltungen.
Zwischen Public Relations und Journalismus bestehe eine «Partnerschaft», pflegen PR-Leute gerne zu sagen, und einige Journalistinnen und Journalisten glauben es. Allenfalls ergänzen sie das Wort Partnerschaft mit dem Adjektiv «kritisch». Diese Meinung teile ich nicht. Denn zwischen Leuten, die besoldet werden, um etwas zu verkaufen – sei es ein Staubsauger oder eine politische Botschaft –, und Leuten, die sich anheischig machen, eigenständig über Wirtschaft und Politik zu berichten, kann es keine Partnerschaft geben. Abhängigkeit und Unabhängigkeit (selbst wenn letztere mehr dem Anspruch denn der Realität entspricht) lassen sich nicht verbünden.
Dem Risiko, sich für eine Sache vereinnahmen zu lassen, können wir als Journalistinnen und Journalisten am einfachsten entgehen, indem wir prinzipiell allen Informanten und ihren Botschaften mit einem Abwehrreflex begegnen. Damit ist nicht persönliche Feindschaft gemeint oder pubertärer Trotz, sondern Misstrauen. Professionelles Misstrauen steht am Anfang des journalistischen Handwerks. Und zu diesem Handwerk gehört es – über den Umgang mit PR-Botschaften hinaus –, Fragen zu stellen. Stimmt die Information? Was verschweigt sie? Wem dient sie? Und wozu?
Soweit die Theorie. Die Praxis ist bedeutend mühsamer. Denn PR, die der Lokaljournalist einst spielend durchschaute und spielerisch durchkreuzte, ist raffinierter geworden und allgegenwärtig: In Unternehmen, Verbänden und Verwaltungen wacht und entscheidet ein wachsendes Heer an «Informationsbeauftragten» darüber, worüber und wann informiert wird.
Das beginnt mit Agenda-Setting: Der Fahrplan von Medienkonferenzen und Medienmitteilungen der Bundesverwaltung, abgestimmt durch staatsbesoldete PR-Leute, bestimmt zu einem wesentlichen Teil die innenpolitischen Themen abends in der Tagesschau und am andern Morgen im Inlandteil der Tageszeitungen. Bei der Blattkritik an Redaktionskonferenzen wurden früher primär jene Berichte gelobt, die exklusiv im eigenen Blatt erschienen. Heute müssen sich Redaktorinnen und Redaktoren rechtfertigen, wenn sie ein Thema, das auf der innenpolitischen Agenda stand, klein oder gar nicht ins Blatt rückten.
Bei den Informationen, die ungefragt die Medienschaffenden überfluten, handelt es sich nicht bloss um Rohstoff, sondern zunehmend um Fertigmahlzeiten. So formulieren Interessenorganisationen ihre Medienmitteilungen gerne wie Zeitungsartikel mit Titel, Lead und Einstiegszitat, was es überlasteten Redaktionen erlaubt, die bevorzugten Botschaften der Interessenorganisationen wörtlich zu übernehmen.
Beispiel: Am 12. November 2008, während ich an diesem Text arbeitete, veröffentlichte die Internationale Energieagentur (IEA) ihren «World Energie Outlook» (WEO). Über ihre Pressemitteilung setzte sie den ebenso griffigen wie nichtssagenden Titel: «WEO Calls for Global Energy Revolution.» Darauf titelte Spiegel Online: «IEA fordert weltweite Energierevolution». Der Berliner Tagesspiegel: «Energieagentur fordert Energierevolution». Die Nennung aller deutschsprachigen Medien, die den gleichen Titel setzten, würde diese Seite sprengen. Hätten die Medienschaffenden recherchiert, hätten sie feststellen können: Mit ihrer wachstumsgläubigen Politik, welche die Verknappung von Öl und die Probleme des Klimawandels bis vor wenigen Jahren völlig ausblendete, ist die IEA mitverantwortlich, dass die «Energierevolution» ausblieb. 
Die Überflutung mit interessenorientierten Informationen hindert Medienschaffende, eigene Menus zu kochen. Nur gut dotierte Redaktionen oder spezialisierte Journalistinnen und Journalisten können es sich leisten, Themen selber zu setzen und Informationen eigenständig zu recherchieren. Aber auch diese Arbeit wird zunehmend von PR-Leuten beeinflusst: Wer von der zuständigen Person in einer Firma oder einem Verband eine Auskunft will, wird an die interne Medienabteilung verwiesen, welche die gewünschten Informationen sammelt, filtert und dafür sorgt, dass nichts Unerwünschtes an die Öffentlichkeit dringt.
Die geschilderte Praxis wird gefördert durch steigende PR- und schrumpfende Redaktionsbudgets, aber auch durch persönliche Freundschaften, personelle Verflechtungen und schwindende Streitlust. Der Umstand, dass damit die Abhängigkeit der Medien gegenüber der PR zunimmt, darf aber nicht dazu führen, die grundlegenden Unterschiede mit Partnerschafts-Rhetorik einzuebnen. Zwischen Journalismus und PR bestehen klare Interessenkonflikte Aufgabe des Journalismus ist es, die unterschiedlichen Interessen darzustellen und die Konflikte auszutragen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

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