Zersiedelung: Diesmal im Gäu (4)
Das solothurnische Gäu dürfte allen Schweizerinnen und Schweizern bekannt sein. Wenn vielleicht auch nicht vom Namen her, dann sicher aus der Perspektive eines Autos. Hier befindet sich das nationale Kreuz der beiden Autobahnen A1 und A2. Die Überschneidung der beiden Hauptachsen Nord-Süd und West-Ost verwandelte das Landschaftsbild des Gäus innert weniger Jahrzehnte. Wer heute so um die 60 Jahre alt ist, erlebte diese Landschaft zwischen Oensingen und Olten in der Kindheit noch mehrheitlich landwirtschaftlich. Das änderte sich gründlich mit der Eröffnung der beiden Autobahnen in den 1970iger Jahren. Dann setzte eine fast explosionsartige bauliche Entwicklung ein.
Das Gäu 1941. (Bild Schweizer Luftwaffe)
Wir fliegen über dem Ostrand des Gäu bei Olten, diesmal recht hoch, und blicken nach Westen. Aus der Flugperspektive gibt es für das Auge einige Leitlinien für die Orientierung. Eine davon ist das Trassee der Jurasüdfusslinie der SBB, das auf der historischen Aufnahme von 1941 leicht rechts der Mitte schnurgerade durch das Bild und damit durch die Ebene verläuft. Die gleiche Linienführung damals wie heute besitzt auch die Kantonsstrasse von Olten nach Solothurn und der Fluss mit dem Namen Dünnern, beides rechts im Bild. Das Netz der Strassen ist auf der alten Aufnahme weitgehend noch nicht asphaltiert. Beim genauen Hinschauen sieht man, wie die Dörfer von einem dichten Bestand an Hochstammbäumen umkränzt sind. Diese Obstgärten gehörten selbstverständlich zum Dorfbild und waren auch wichtiger Bestandteil der Nahrungsbeschaffung.
Zwischen den Dörfern sind auf der alte Foto noch klare Zwischenräume zu erkennen. Das Gäu ist hier im zweiten Jahr des Zweiten Weltkriegs noch eine fast ausschliesslich landwirtschaftlich geprägte Landschaft. Die Ortschaften sind viel kleiner als heute. Auf der linken Seite sind von unten nach oben zu erkennen: Gunzgen, Härkingen, Neuendorf und Niederbuchsiten. Auf der rechten Seite liegen Egerkingen und Oberbuchsiten, zwischen diesen beiden Dörfern sind damals wie heute zwei Steinbrüche zu sehen. Gut ist der Verlauf der Autobahnen zu erkennen und – im Vergleich mit der historischen Aufnahme – wie sie in die Landschaft gelegt wurden. Vom Autobahnkreuz weg nach rechts führt die Rampe den Jurahang hinauf Richtung Belchentunnel und damit Richtung Basel, Elsass und Deutschland.
Das Gäu 2015 (Bild Peter Brotschi)
Der Entschluss, an dieser Stelle das Autobahnkreuz zu bauen, gehört sicher zu den wichtigsten verkehrspolitischen Entscheiden auf nationaler Ebene des 20. Jahrhunderts. Er machte aus dem bäuerlich geprägten Gäu ein Logistikzentrum ersten Ranges und damit zu einer der am meisten gebeutelten Landschaften der Schweiz. Wenn in der nationalen Politik von Autobahnen die Rede ist, dann meist von den Kantonen Uri und Tessin im Zusammenhang mit dem Alpenschutz. Dabei geht gerne vergessen, dass der Kanton Solothurn mit dem Autobahnkreuz eine der ganz grossen Verkehrslasten der Schweiz trägt und gleichzeitig eine der fruchtbarsten Landschaften nachhaltig zerstört wurde.
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Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Peter Brotschi ist Lehrer, Aviatikjournalist und CVP-Kantonsrat im Kanton Solothurn. Er kämpft politisch gegen die Zersiedelung der Schweiz. Beim geplanten Ausbau der A1 auf sechs Spuren setzt er sich im Bereich des Gäu für eine teilweise Untertunnelung ein. Autor von sieben Büchern, sein letztes: «Ein wenig des Himmels für mich»