Kommentar
Und ist der Unsinn noch so gross: Hauptsache Wettbewerb
Ältere Leute mögen sich erinnern, wie öde es zu Monopolzeiten in unseren Stadtteilen und Dörfern war. Da fuhr nur einmal im Tag ein gelbes Auto voll beladen durch die Quartierstrassen, hielt oft an, worauf ein uniformierter Pöstler oder eine Pöstlerin ausstieg und Pakete zu den Häusern trug.
Heute lärmen gelbe, weisse und bunte Lieferwagen im Stundenrhythmus durch die Quartiere. Sie halten seltener an. Und wenn sie stoppen, liefern die – nicht mehr uniform gekleideten und entlöhnten – Boten die Pakete im Laufschritt zu den Empfängern; jawohl, jetzt seckeln auch die Pöstlerinnen. Seit die liberale Politik das Post-Monopol geknackt hat, raufen sich mehrere Firmen um den Paketzustell-Markt. Sie sorgen für mehr Verkehr im Quartier, mehr Burnout bei Angestellten, tiefere Skalenerträge, und damit senken sie die Effizienz bei der Verteilung von verpackten Waren.
Das Ganze dient einem höheren Prinzip: dem Wettbewerb. Dabei sind einige weitere unerwünschte Nebenwirkungen in Kauf zu nehmen: Um die verlorene Monopolrente durch einen marktorientierten Gewinn zu ersetzen, wie das der Bundesrat jetzt auch von seinen Staatsbetrieben verlangt, heckten Post-Angestellte allerlei Buchhaltungs-Tricks aus. Jetzt rollen die Köpfe, ohne dass falsche Strukturen oder komplizierte Regulierungen der Mischung aus Monopol und Markt in Frage gestellt werden.
Nach den Postdiensten – und der Stromversorgung – folgt jetzt die Marktöffnung bei der Bahn. Ebenfalls partiell, respektive nur ein bisschen. So bestätigte das Bundesamt für Verkehr (BAV) gestern seinen im April getroffenen Vorentscheid: Es knackt das Monopol der SBB im Personen-Fernverkehr, indem es die Konzessionen für den Betrieb der SBB-Interregio-Linien Bern–Burgdorf–Olten und Bern–Biel ab 2019 an die BLS (Bern-Lötschberg-Simplon-Bahn) vergibt. Diese Marktöffnung betrifft zwei Prozent des nationalen Bahn-Personenverkehrs und leitet eine Systemänderung ein.
Das BAV – jawohl, das ist das Bundesamt, das bei der Aufsicht über den Postauto-Betrieb krass versagte – maximiert damit erneut die Unzufriedenheit aller Beteiligten: Die BLS erhalten zu viel, um Nein zu sagen, und zu wenig für einen rentablen Betrieb. Die SBB verlieren mit dem Entzug des Monopols an Sicherheit, etwa bei der Fahrplanplanung oder Investitionen ins Rollmaterial. Die Mini-Marktöffnung fördert Doppelspurigkeiten, erfordert zusätzliche Regulierung und Aufsicht, um den Mix aus Markt, Monopol und subventioniertem Service Public auseinander zu dividieren. Von der Sache her ist die ganze Übung unnötig und unproduktiv. Sie schlägt alle negativen Erfahrungen bei der Post- und Stromliberalisierung in den Wind. Doch ist der Unsinn noch so gross – Hauptsache er fördert den Wettbewerb.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine
Ausgezeichneter Artikel von Herrn Guggenbühl. Als bisher einziger hat er die tieferliegenden Gründe des Subventionsbetrugs bei der Post thematisiert. Es ist die widersinnige Vorgabe des Bundes an seine Service-Public-Betriebe, Gewinn zu machen. Dabei finanziert sich ihre Kernaufgabe ausschliesslich aus (staatlich vorgegebenen) Gebühren und Subventionen. Wer dabei Gewinn machen will, kann dies nur mit kreativer Buchführung. Das Problem liegt demnach weniger in individuellem Fehlverhalten, sondern in widersprüchlichen Systemzwängen. Verantwortlich dafür ist die Politik. Die Politik will davon aber nichts wissen. Vielmehr sind bereits wieder Statements zu hören, es brauche halt mehr Markt. Das gemahnt an das Verhalten Süchtiger: Wir wollen noch mehr von dem, was uns krank macht. Reden wir hier doch einfach von Marktbesoffenheit.
Ich will aber nicht verschweigen, dass auch das Gegenteil festzustellen ist, etwa in der Energiebranche: Hier kaufen staatlich oder kommunal dominierte Energieversorger wie wild gewerbliche Elektroinstallationsfirmen auf. Das ist verheerend: Erstens einmal wird damit eine gewerblich strukturierte Branche, in welcher der Markt sehr wohl spielt, mittelfristig zu einer oligopolistisch strukturierten Branche, dominiert durch öffentlich-rechtliche bzw. staatsnahe Unternehmen. Zweitens wird so die Trennung zwischen Service-Public und Markt auch hier verwischt.
Angesichts dieser Beispiele (Bahn, Post, RUAG usw.) erscheint die Schweizer Politik allmählich als letztes Reservat für militante Marktfundamentalisen…
…und obenauf schwebt die marktheilige Leuthard.
hansueli w. moser-ehinger
Der liebe Postskandal und alle, die Politiker als erste, tun so, als ob sie keine Schuld träffe. Die Auswüchse bei der Post sind eine direkte Konsequenz der Zerschlagung der PTT im Jahre 1998, denn damals sorgte die Telecom dafür, dass das Defizit bei der Post gedekt wurde. Der Überschuss ging in die Bundeskasse und half auch andere Sektoren zu sanieren, wie zum Beispiel die Bahn. Da der Wettbewerb heilig ist, wurden die ehemaligen Staats- und Regiebetriebe zu privaten oder halbprivaten Unternehmenungen umgewandelt, was den Steuerzahler Miliarden kostet. Wen wunderts, wenn da nach den selben «Un"Regeln der Privatwirtschaft gehandelt wird? Die selbe Problematik findet sich in allen Ländern, welche diesen Schritt begangen haben und was ist der Lösungsansatz der Politik: Noch mehr privatisieren ohne Rücksicht auf Verluste, ob dies jetzt bei Telekomunikation, Transport, Energie oder der Sanität ist, spielt keine Rolle, hauptsache das Geld fliesst in die richtigen Taschen.